Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Deutschland im UN-Sicherheitsrat "Das Völkerrecht wird mit Füßen getreten"
Kaum ein Land leistet so viel humanitäre Hilfe wie wir. Doch machtpolitische Interessen behindern die Arbeit. Wie Deutschland dagegen im UN-Sicherheitsrat vorgeht, beschreibt Staatsminister Niels Annen auf t-online.de.
Wir können es täglich in den Nachrichten sehen: Weltweit nehmen Krisen, bewaffnete Konflikte und Kriege zu. Auch die Folgen des Klimawandels zeigen sich immer deutlicher; immer häufiger hören wir von verheerenden Überschwemmungen, Orkanen und Erdrutschen. Eine wachsende Zahl an Menschen ist daher dringend auf humanitäre Hilfe angewiesen. Häufig mangelt es an Überlebenswichtigem – an Nahrung, Trinkwasser, Unterkünften und sanitären Anlagen.
Und immer häufiger können oder wollen die staatlichen Strukturen vor Ort keine ausreichende medizinische Versorgung sicherstellen oder Schutz vor Gewalt bieten. Die Corona-Pandemie verschärft diese Probleme. Sie trifft diejenigen besonders hart, die schon vorher auf Schutz und Hilfe angewiesen waren. Deswegen wächst der Bedarf an humanitärer Hilfe immer weiter an, dieses Jahr allein werden 34 Milliarden Euro benötigt.
Embed
Die Bundesrepublik Deutschland bleibt den humanitären Prinzipien verpflichtet und ist zweitgrößter bilateraler humanitärer Geber weltweit. Allein in diesem Jahr stellen wir 2,14 Milliarden Euro zur Verfügung. Doch Geld alleine reicht nicht aus, um das Leben von notleidenden Menschen zu verbessern. Im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen habe ich selbst erlebt, wie die humanitären Prinzipien und die Grundsätze des humanitären Völkerrechts aus rein machtpolitischen Gründen mit Füßen getreten werden. Genauso müssen wir in vielen Krisengebieten beobachten, dass Konfliktparteien ihre humanitären Verpflichtungen missachten.
Krise in Syrien – Blockade im Sicherheitsrat
Ein besonders trauriges Beispiel dafür gab es im Juli dieses Jahres, als der Sicherheitsrat die Verlängerung der sogenannten „Cross-Border“-Resolution diskutierte. Diese Resolution soll sicherstellen, dass die Vereinten Nationen ohne die Zustimmung des syrischen Regimes dringend benötigte humanitäre Hilfe auch in nicht vom Regime kontrollierte Teile des Landes bringen können.
Um den Machtanspruch ihres Verbündeten, des syrischen Regimes, auf das gesamte Land zu untermauern, haben Russland und China ihre Vetomacht im Sicherheitsrat genutzt, um den Zugang zu lebensnotwendiger Hilfe für Millionen syrischer Frauen, Kinder und Männer bewusst einzuschränken. Nur durch einen Kompromissvorschlag, den wir als Co-Federführer vorgelegt hatten, war es möglich, die grenzüberschreitende humanitäre Hilfe überhaupt aufrechtzuerhalten.
Damit jedoch nicht genug. Nicht nur in Syrien mussten wir in den letzten Jahren immer wieder erleben, dass die im internationalen humanitären Völkerrecht verankerten Prinzipien ignoriert werden. Zivilisten werden immer häufiger Opfer gezielter Angriffe. Als besonders erschütternd empfinde ich die Berichte über die systematische Bombardierung von Krankenhäusern und medizinischem Personal.
Viel zu häufig konnte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in der Vergangenheit seiner Aufgabe, Frieden zu wahren und Menschenleben zu schützen, aufgrund der zuwiderlaufenden Interessen der ständigen Mitglieder nur unzureichend nachkommen. Deutschland hat deshalb den Erhalt und die Förderung des humanitären Völkerrechts und der humanitären Prinzipien zu einem seiner vier Schwerpunktthemen während seiner Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gemacht und engagiert sich im Bereich der „humanitären Diplomatie“. Unser Ziel ist, durch Dialog und Verhandlungen auf Konfliktparteien einzuwirken und alle beteiligten staatlichen und nicht-staatlichen Akteure auf die Einhaltung grundlegender Regeln zu verpflichten.
Humanitäre Krise in Jemen
Die Lage im Jemen zeigt beispielhaft, wie wichtig diese Form der Diplomatie geworden ist. Der bewaffnete Konflikt hat dort in den letzten fünf Jahren über 100.000 Leben gekostet. 24 Millionen Menschen, das sind 80 Prozent der jemenitischen Bevölkerung, sind mittlerweile auf humanitäre Hilfe angewiesen. Auch hier hat die Corona-Pandemie die Situation zusätzlich verschärft.
Eine politische Lösung des Konflikts scheint angesichts der komplizierten Lage leider in weiter Ferne. Umso wichtiger ist es, die Not der Menschen zu lindern. Seit 2017 hat Deutschland sein humanitäres Engagement daher erheblich ausgeweitet.
Auch im Jemen wird aber immer wieder verhindert, dass unsere humanitäre Hilfe die Menschen erreicht. Insbesondere die am Bürgerkrieg beteiligten schiitischen Huthis behindern die Arbeit der Hilfsorganisationen durch bürokratische Auflagen, indem sie Projekte systematisch verzögern, Genehmigungen nicht erteilen oder auf Hilfsmaßnahmen Einfluss nehmen. Durch die gezielte Behinderung humanitärer Einsätze im Jemen können nach Schätzungen der Vereinten Nationen derzeit rund neun Millionen Menschen nicht versorgt werden. Zudem werden humanitäre und medizinische Einrichtungen wie auch Zivilisten immer wieder zum Ziel von Angriffen der Kriegsparteien.
Bruch des humanitären Völkerrechts
Diese Brüche des humanitären Völkerrechts darf die internationale Gemeinschaft nicht länger hinnehmen. Als einer der größten humanitären Geber weltweit wird Deutschland sich auch weiterhin dafür einsetzen, dass die Hilfe bei den Bedürftigen ankommt: in Syrien, in Jemen und überall sonst, wo sie dringend benötigt wird.
Dabei müssen auch die Helferinnen und Helfer, die ihre Arbeit in einem unsicheren und oft lebensgefährlichen Umfeld leisten, noch besser geschützt werden. Der traurige Rekord von 483 getöteten humanitären Helferinnen und Helfern allein im vergangenen Jahr unterstreicht dies. Dabei gebührt gerade jenen, die große Gefahren in Kauf nehmen, um den Menschen vor Ort zu helfen, all unser Dank.
Der Autor Niels Annen ist seit dem 14. März 2018 Staatsminister im Auswärtigen Amt. Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten spiegeln die Meinung des Autors wider und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online.de-Redaktion.