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Faktencheck zum Grenzkonflikt: Hat sich Europa an EU-Türkei-Abkommen gehalten?


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Faktencheck zum Grenzkonflikt
Hat sich die EU nicht an den Flüchtlingspakt gehalten?


02.03.2020Lesedauer: 4 Min.
Angela Merkel im Januar in Istanbul: Bei einem Staatsbesuch unterhält sich die deutsche Bundeskanzlerin mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. (Archivbild)Vergrößern des Bildes
Angela Merkel im Januar in Istanbul: Bei einem Staatsbesuch unterhält sich die deutsche Bundeskanzlerin mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. (Archivbild) (Quelle: Turkish Presidency/Handout via Xinhua/imago-images-bilder)
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Das EU-Türkei-Abkommen soll Geflüchtete aus Syrien von der gefährlichen Einreise nach Europa abhalten. Das funktioniert, doch Erdogan wirft der EU vor, sie würde den Pakt nicht einhalten. Ein Faktencheck.

Seit neun Jahren müssen Syrer und Syrerinnen immer wieder vor dem Krieg in ihrer Heimat flüchten. Den meisten von ihnen erscheint die illegale Einreise in andere Länder als letzte Hoffnung. Kriminelle Schleuser haben daraus ein gigantisches Geschäft gemacht, indem sie diese Menschen für viel Geld in fragilen Booten über See schmuggeln. Um diesem Geschäft den Garaus zu machen, unterschrieben die EU und die Türkei am 18. März 2016 das sogenannte Flüchtlingsabkommen.

Welchen Nutzen hat das Flüchtlingsabkommen?

Mit dem Abkommen wollte die Europäische Union den Zustrom an Menschen, die vor dem Krieg in Syrien flüchten, eindämmen. Mit Erfolg: Die Zahl der Syrer, die über die Türkei nach Europa kommen, ist seitdem stark gesunken. Zum Verständnis: In Europa sind eine Million Flüchtlinge registriert, in der Türkei leben dagegen rund 3,6 Millionen geflüchtete Syrer.

Doch das Abkommen gerät immer wieder ins Wanken. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan wirft der EU vor, sich nicht an die Zusagen im Flüchtlingspakt gehalten zu haben. Ende Februar kündigte er in Istanbul an: "Wir haben die Tore geöffnet." Die Türkei wolle Flüchtlinge an den Grenzen zu Griechenland und Bulgarien passieren lassen.

Wozu haben sich EU und Türkei verpflichtet?

Mit dem EU-Türkei-Abkommen verpflichtet sich die Türkei zum Beispiel, die Grenzen nach Europa strenger zu kontrollieren. Schutzsuchende Syrer, die es von der Türkei auf die griechischen Ägäis-Inseln schaffen und dort kein Asyl bekommen, muss die Türkei zurücknehmen.

Allerdings hat die deutsche Bundesregierung im September 2019 eingeräumt, dass die vereinbarten Rückführungen in den vergangenen Jahren nicht im vorgesehenen Maß stattgefunden hätten. Die griechische Regierung schien damit überfordert, kündigte aber an, dies künftig besser umzusetzen.

Die EU versprach ihrerseits, für jeden Zurückgeschickten einen anderen Geflüchteten aus der Türkei aufzunehmen, der nicht eigenmächtig auf gefährlichem Weg in die EU eingereist ist. Dies war bisher auch der Fall. Zudem sagte die Europäische Union zu, Hilfsgelder für die Syrer in die Türkei zu schicken – insgesamt sechs Milliarden Euro. Das Geld wird in der Regel direkt an Hilfsorganisationen und -projekte verteilt.

Die Türkei forderte in dem Abkommen, dass die Verhandlungen über einen EU-Beitritt vorangetrieben werden. Auch die Visumpflicht für türkische Staatsbürger im Schengenraum sollte aufgehoben und die Zollunion ausgeweitet werden. Diese drei Punkte sind allerdings noch nicht erfüllt. Warum ist das so?

Diese Punkte im Abkommen wurden noch nicht erfüllt

Die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sagte der Nachrichtenagentur AFP: Bei den Verhandlungen über Visa-Erleichterungen für türkische Bürger gebe es zwar "viele Fortschritte". Die Türkei habe aber bisher sechs Kriterien nicht erfüllt, insbesondere bei der Anti-Terror-Gesetzgebung.

Bei den Gesprächen über einen EU-Beitritt der Türkei gebe es dagegen "keine Fortschritte", sagte die Kommissarin weiter. Die EU hatte Ankara im Zuge des Flüchtlingspaktes zugesagt, weitere Verhandlungskapitel beschleunigt abzuschließen. Wegen des harten Vorgehens gegen innenpolitische Gegner Erdogans liegen die Gespräche aber auf Eis.

Es geht vor allem ums Geld

Ein zentraler Streitpunkt ist die im Abkommen vereinbarte Unterstützung syrischer Flüchtlinge in der Türkei. Die EU hat Vorwürfe der Türkei zurückgewiesen, versprochene Gelder aus dem Flüchtlingspakt nicht auszuzahlen. "Wir zahlen jeden Monat", sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson der Nachrichtenagentur AFP. Von den sechs Milliarden Euro sei inzwischen alles konkreten Projekten zugewiesen. Dazu gehöre etwa der Bau von Schulen oder von Gesundheitszentren für die Flüchtlinge.

Die Türkei kritisiert die Auszahlung der Gelder regelmäßig als zu langsam. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hat schon in der Vergangenheit mehrfach mit der Aufkündigung des Flüchtlingspaktes gedroht. Zudem beschwerte sich die Regierung in Ankara, dass der Großteil der Gelder an teils internationale Nichtregierungsorganisationen überwiesen werde. Sie berechneten zu hohe Verwaltungskosten, berichtete das "Handelsblatt" im vergangenen Jahr.

Nach Angaben vom Dezember erwartet die EU-Kommission, dass aus dem Flüchtlingspakt in diesem Jahr nochmals rund eine Milliarde Euro fließt. Damit wären Ende 2020 rund vier Milliarden ausbezahlt. Der Rest soll bis 2025 folgen.

Was könnte die Lösung sein?

Der Kandidat für den CDU-Vorsitz Norbert Röttgen hat sich für eine Neuauflage des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei ausgesprochen. "Entweder wir Europäer helfen den Flüchtlingen in der Türkei unter Kooperation mit der Türkei, oder die Flüchtlinge werden aus ihrer Not getrieben und zu uns kommen", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag im ARD-"Morgenmagazin". "Darum brauchen wir eine Neuauflage eines solchen Abkommens." Es gehe nun darum, "ganz schnell" finanziell Hilfe zu leisten, um Flüchtlingen in der Türkei zu helfen.

Außerdem forderte Röttgen, im Syrien-Konflikt mehr Druck auf Russland auszuüben. "Wir müssen eindeutig Druck, politischen, wirtschaftlichen Druck auf Russland ausüben." Russland sei "politisch der entscheidende Spieler", um die Fluchtursachen in Syrien unter Kontrolle zu bekommen. "Wir schauen weg, und reagieren erst dann, wenn der Schaden da ist", kritisierte er. Alles, was nun passiere, sei "mindestens seit Wochen absehbar".

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Nachrichtenagenturen dpa, AFP
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