Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Streit um deutsche Waffen Plötzlich stehen SPD und Kriegsgegner am Pranger
Deutschland streitet über Waffen. Eigentlich sollten Union und SPD über Exporte in Kriegsgebiete debattieren. Stattdessen geht es nicht mehr um Moral, sondern um die Zuverlässigkeit der Bundesrepublik.
Es ist ein historischer Streit, den Union und SPD aktuell in Berlin ausfechten. Rüstungsexporte spalten die Bundesregierung. Genauer geht es darum, ob Deutschland Waffen und Rüstungsgüter an Saudi-Arabien verkaufen sollte. Das Land führt seit vier Jahren im Jemen einen Krieg gegen die Houthi-Rebellen. Ein Ende ist nicht in Sicht – und die humanitäre Lage ist katastrophal, auch ausgelöst durch deutsche Waffensysteme. Deshalb beschloss die Bundesregierung nach der Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul einen Stopp der Waffenlieferungen an das Königreich.
Doch knapp fünf Monate später rudert die Union zurück, konservative Politiker versuchen die Debatte umzulenken. Plötzlich spricht Deutschland über Zuverlässigkeit bei gemeinsamen europäischen Rüstungsprojekten. Das eigentliche Thema, Waffenexporte in Kriegsgebiete, rückt in den Hintergrund. Zur Freude der Rüstungslobby.
"Das deutsche System ist unberechenbar"
Die Bundesregierung hatte im November entschieden, alle Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien auszusetzen. Der Exportstopp läuft noch bis Ende März, eine Einigung über das weitere Vorgehen wurde auch nach Beratungen des Bundessicherheitsrats am Mittwoch nicht bekannt. Der Bundesregierung sei bewusst, "dass die Zeit drängt", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Es würden weiterhin intensive Gespräche geführt.
Der Druck auf Deutschland wächst, auch von den europäischen Partnern. In Frankreich und Großbritannien wird der Koalitionskonflikt mit zunehmender Ungeduld beobachtet: Die harten deutschen Auflagen für Rüstungsexporte betreffen auch Gemeinschaftsprojekte, selbst wenn nur einige Komponenten aus Deutschland stammen. Die französische Botschafterin in Deutschland, Anne-Marie Descôtes, hatte in einem Artikel kritisiert, das deutsche Exportkontrollsystem sei "nicht restriktiv, sondern unberechenbar".
Für Frankreich und Großbritannien geht es in erster Linie um wirtschaftliche Interessen. Wenn ein Kampfflugzeug oder ein Panzer entwickelt wird, möchte man sich einen Teil dieser teuren Entwicklungskosten durch Exporte zurückholen. Andernfalls müsse man den Anteil der Rüstungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt deutlich erhöhen, gab auch Descôtes zu.
Deutschland unter Druck
In Deutschland dagegen dürfen "Rüstungsexporte kein Mittel der Wirtschaftspolitik" sein. Dennoch liegt der Bereich Waffenexporte im Kompetenzbereich des Wirtschaftsministeriums. "Die Bundesregierung hat sich in diesem sensiblen Bereich besonders strenge Regeln auferlegt und verfolgt eine äußerst restriktive Genehmigungspolitik", schreibt das Ministerium von Peter Altmaier (CDU) auf seiner Homepage.
Doch natürlich sind wirtschaftliche Interessen hier ein zentrales Thema. Die Waffenlobby und vor allem die an den Aufträgen beteiligten Rüstungsunternehmen kritisieren den Exportstopp nach Saudi-Arabien scharf. Auch ihnen geht es neben finanziellen Einbußen vor allem um Verlässlichkeit der deutschen Politik. Und auch sie versuchen Druck auszuüben: Mehrere Unternehmen behalten sich bei einer weiteren Verlängerung des Exportstopps nach Saudi-Arabien rechtliche Schritte gegen die Bundesregierung vor. Betroffen sind unter anderem 300 Arbeitsplätze bei der Lürssen-Werft in Wolgast in Mecklenburg-Vorpommern.
Embed
Die Union nutzt den europäischen und wirtschaftlichen Druck, um die Debatte davon abzulenken, dass es um Saudi-Arabien als Empfängerland für deutsche Waffen geht. "Wenn Deutschland an einem europäischen oder supranationalen Projekt beteiligt ist, dann müssen die Partner gemeinsame Regeln finden. Das kann auch bedeuten, dass diese Projekte nicht den strengen deutschen Regeln unterliegen", sagte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Anderenfalls würden "solche Projekte in Zukunft ohne Deutschland stattfinden".
Die SPD ist plötzlich am Pranger
Auch CDU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus verlangt von der SPD Bewegung. "Deutschland will eine gemeinsame europäische Verteidigungspolitik, auch um den europäischen Pfeiler der Nato zu stärken. Dazu müssen wir auch bei gemeinsamen Rüstungsprojekten stärker kooperieren", sagte er dem RND. Die CDU skizziert ein Bild, in dem sich Deutschland isoliert, weil die Rüstungspolitik der Bundesregierung für einige Partner zu restriktiv ist. "Und das ist nicht nur Frankreich", meinte Brinkhaus.
Plötzlich diskutierten die Medien nun, ob Deutschland in Rüstungsfragen ein verantwortungsvoller Partner ist. Ob Waffenlieferungen an Saudi-Arabien verantwortungsvoll sind, geht dagegen fast unter. Am Pranger steht nun die SPD, weil sie Rüstungsexporte in das Königreich strikt ablehnt. "Der Alleingang der SPD ist nicht europäisch", schrieb der Tagesspiegel darauf in einem Kommentar.
Trotz Drucks von der Union, den Medien und zweier Nato-Verbündeter bleibt die SPD aktuell bei ihrer Position. "Wir wollen keine Rüstungsexporte in Krisengebiete und Diktaturen", sagte Parteivize Ralf Stegner dem RND nachdem ein Treffen der Koalition im Kanzleramt und eine Sitzung des geheim tagenden Bundessicherheitsrat zu keinem Ergebnis kam. "Saudi-Arabien ist ohne Zweifel eine blutige Diktatur, und am Jemenkrieg beteiligt ist das Regime auch." SPD-Chefin Andrea Nahles trat nun erstmal dafür ein, den Exportstopp um ein halbes Jahr zu verlängern.
Angst vor einer neuen Friedensbewegung
Die Sozialdemokraten möchten natürlich vor den bevorstehenden Europawahlen ihr Profil schärfen und sich von der Union abgrenzen. Aber das macht die Politik, keine Waffen nach Saudi-Arabien zu liefern, nicht falsch. Es ist mittlerweile eine Grundsatzdebatte darüber, wie man mit Waffenexporten in Krisenregionen umgeht. Dabei wird es auch grundsätzlich um die Frage gehen, wie man mit bestehenden Genehmigungen umgeht, wenn sich die Lage in einem Empfängerland verändert und beispielsweise ein Krieg ausbricht. Diese Debatte muss auf europäischer Ebene geführt werden, wenn man gemeinsame Rüstungsprojekte anstoßen möchte.
- Waffen für Saudi-Arabien? Koalition findet keine Lösung im Streit um Rüstungsexporte
- Im Mittelmeer: EU stellt Rettung mit Schiffen ein
- Keine Einigung in Sicht: Rüstungsstreit zwischen SPD und CDU spitzt sich weiter zu
Deutschland kann sich allerdings nicht gleichzeitig als moralische Friedensnation geben und nicht darüber sprechen, dass auch deutsche Waffen in den Kriegen dieser Welt für Flucht und Tod verantwortlich sind. In einem so emotional aufgeladenen Feld, ist es schwierig, Kompromisse zu finden. Dafür müsste sich die Politik jedoch öffentlich zunächst einmal einigen, worüber eigentlich gestritten wird. Die Debatte um die Zuverlässigkeit Deutschlands ist der Schleier, mit der zumindest die Union versucht, eine grundsätzliche Diskussion über Waffenexporte innerhalb der Gesellschaft zu verhindern. Denn das Letzte, was die Befürworter liberaler Exportgesetze gebrauchen können, ist eine neue Friedensbewegung.
- ZeitOnline: Deutsche Unternehmen liefern weiter Waffen in Krisenregionen
- Tagesspiegel: Der Alleingang der SPD ist nicht europäisch
- Tagesschau: Fällt das Rüstungsembargo?
- FAZ: Kramp-Karrenbauer will Waffenexporte erleichtern
- SpiegelOnline: Brinkhaus verlangt mehr Verlässlichkeit in deutscher Rüstungspolitik
- Nachrichtenagenturen AFP, dpa