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Ukraine-Krieg: Putin schickt Krim-Urlauber in den Tod


Russlands Krim-Dilemma
Putin schickt Urlauber in den Tod


28.06.2024Lesedauer: 5 Min.
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Kreml-Chef Wladimir Putin lässt auch weiterhin Urlauber auf die Krim reisen, obwohl die ukrainische Armee regelmäßig militärische Ziele auf der Halbinsel angreift.Vergrößern des Bildes
Kremlchef Wladimir Putin lässt auch weiterhin Urlauber auf die Krim reisen, obwohl die ukrainische Armee regelmäßig militärische Ziele auf der Halbinsel angreift. (Quelle: X, t-online/imago-images-bilder)

Die Krim ist seit Jahren das Herzstück der nationalistischen Kreml-Propaganda. Auch deshalb lässt Wladimir Putin Zivilisten auf die von Russland annektierte Halbinsel reisen. Sie erwartet ein lebensgefährlicher Urlaub.

Es sind schreckliche Bilder, die man eigentlich nur aus Filmen kennt: Familien sonnen sich nichts ahnend am Strand oder liegen unter Sonnenschirmen. Einige Menschen baden im Meer, Kinder buddeln im Sand. Plötzlich schlagen Raketentrümmer und Sprengkörper im Wasser und auf dem Strand ein. Es kommt zu Explosionen, Rauch steigt auf, hohe Wasserfontänen sind zu sehen. Panik, Schreie. Es sind Videoaufnahmen aus Sewastopol, die in sozialen Netzwerken aktuell geteilt werden. Darin sind Menschen zu sehen, die vom Strand flüchten. Aus ihrem Urlaubstag ist schlagartig ein Kampf ums Überleben geworden.

Video | Plötzliche Explosionen an Stadtstrand – Menschen fliehen panisch
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Quelle: t-online

Diese russischen Touristen hatten sich für einen Urlaub in der Ukraine entschieden – auf der von Russland im Jahr 2014 völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim. Dabei liegt die Krim gerade einmal gut 200 Kilometer von der Front entfernt. Die Ukraine greift regelmäßig militärische Ziele auf der Schwarzmeerhalbinsel an, am vergangenen Sonntag soll sie dafür auch ATACMS-Kurzstreckenraketen eingesetzt haben. Mindestens eine davon wurde von der russischen Flugabwehr abgefangen. Die integrierte Streumunition der Raketen fiel ins Meer und auf den Strand, wo sie explodierte.

Insgesamt wurden laut russischen Angaben bei den Angriffen mindestens vier Menschen getötet, 151 weitere verletzt. Unter den Todesopfern sollen auch zwei Kinder sein.

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Kremlchef Wladimir Putin schützt am Schwarzen Meer zwar seine Kriegsschiffe, aber nicht das Leben russischer Touristen. Während weite Teile der russischen Schwarzmeerflotte aufgrund der ukrainischen Angriffe bereits von der Krim verlegt wurden, ist es Touristen noch immer erlaubt, auf die Krim zu fahren. Vielen ist wahrscheinlich nicht klar, dass dies ein lebensgefährlicher Urlaub ist. Denn Putin gibt sich vor allem in Bezug auf die Krim Mühe, der russischen Bevölkerung eine Normalität vorzugaukeln, die es auf der Halbinsel schon lange nicht mehr gibt. Mit jedem weiteren Vorfall bekommt die Kreml-Erzählung Risse.

"Was für ein Idiot jetzt Urlaub auf der Krim macht"

Noch im vergangenen Jahr ermutigte der Kreml russische Touristen dazu, auf der Krim Urlaub zu machen. Selbst als die Kertsch-Brücke, die das russische Festland mit der Krim verbindet, im Juli 2023 beschädigt wurde, empfahlen russische Medien Touristen, einen 400 Kilometer langen Umweg in Kauf zu nehmen. Der von Moskau eingesetzte Gouverneur der Krim, Sergej Aksjonow, hatte im vergangenen Jahr gesagt: "Ich bitte die Bewohner und Gäste der Halbinsel, von Reisen über die Krim-Brücke abzusehen und aus Sicherheitsgründen eine alternative Route über Land durch die neuen Regionen zu wählen."

Russische Urlauber sollten also über den Landweg durch die besetzten Teile der Südukraine auf die Krim reisen, teilweise weniger als 200 Kilometer von der Front entfernt, in Reichweite von ukrainischen Raketen, mitten durch ein Kriegsgebiet. Auf den ersten Blick scheint das mit einem Erholungsurlaub nicht vereinbar. Trotzdem kamen im vergangenen Jahr tatsächlich Zehntausende Russinnen und Russen auf die Krim, allein im Juli 2023 sollen es 70.000 gewesen sein.

Schon im vergangenen Jahr führte der Krim-Urlaub unter Russen in den sozialen Netzwerken zu Diskussionen. Ein Nutzer, der seine Reise offenbar abgesagt hatte, schrieb auf X: "Erst gestern habe ich gedacht, was für ein Idiot jetzt Urlaub auf der Krim macht. Sie werden sich bestimmt an den Urlaub erinnern, wenn sie über die Front nach Hause fahren. Sie stören die Logistik unseres Militärs mit Verkehrsstaus." Doch es gibt auch gegenteilige Meinungen.

Der 61-jährige Anatolij sagte im August 2023 dem Spiegel: "Verglichen mit den Terroranschlägen, die wir in den Neunzigerjahren in Russland erlebt haben, ist das nichts. Als eine wirkliche Gefahr nehme ich das hier nicht wahr, eher als Beweis dafür, dass, was Russland in der Ukraine tut, das Richtige ist." Der 35-jährige Alexej erklärte dem Nachrichtenmagazin: "Meine Frau und ich haben über ein Jahr unsere Krim-Reise mit unseren beiden Töchtern, 3 und 14 Jahre, geplant. Wir haben nicht ein einziges Mal daran gedacht, den Urlaub abzusagen." Er ergänzte: "Die Menschen, die die Krim besuchen, haben keine Angst. Diejenigen, die Angst haben, bleiben zu Hause. Jeder versteht doch, was auf der Krim passiert."

Strand zwischen zwei Militärstützpunkten

Trotz des Krieges verbringen also viele Russen weiterhin ihre Ferien auf der Krim. Sie nehmen neben der Gefahr durch den russischen Angriffskrieg in Kauf, dass auf der Schwarzmeerhalbinsel Benzin und Lebensmittel teurer sind als in Moskau. Ebenso, dass sie nur sporadisch Mobilfunknetz haben und sich bei den militärischen Checkpoints SIM-Karten besorgen müssen.

Vor allem Familien sind für die patriotische Propaganda des Kreml sehr empfänglich. Die Urlauber möchten damit zeigen, dass die Schwarzmeerhalbinsel für sie historisch zu Russland gehört. Sie besuchen Familienmitglieder auf der Krim oder reisen an den Ort, an dem sie schon in der Zeit der Sowjetunion Urlaub gemacht haben.

Aber warum lässt Putin das überhaupt zu? Der Strand in Sewastopol, auf dem am Sonntag offenbar die Streumunition der ATACMS explodierte, liegt nur drei Kilometer von einem Luftwaffenstützpunkt entfernt, vier Kilometer von einer Marinebasis. Die Ukraine hatte zuvor russische Urlauber immer wieder davor gewarnt, dass die Krim kein geeigneter Ort für Urlaub sei, weil hier Angriffe stattfinden könnten.

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Kreml kündigt "Folgen" für die USA an

Doch der Kreml benutzt russische Touristen als Schutzschilde. Für Putin ist die Annexion der Krim im Jahr 2014 einer der Grundpfeiler seiner patriotischen Erzählung. Dementsprechend wäre es ein Gesichtsverlust für ihn, müsste er öffentlich eingestehen, dass er die Halbinsel nicht schützen kann. Putin hat in Russland die Fassade aufgebaut, dass sich seine militärische Spezialoperation in der Ukraine – so nennt der Kreml den russischen Angriffskrieg – nicht auf den Alltag der Bevölkerung auswirkt.

Außerdem schützt der russische Präsident seit Beginn seiner Invasion in der Ukraine generell nicht das Leben einzelner Menschen. Seine Soldaten werden teilweise als Kanonenfutter an der Front genutzt, Kräfte, die sich zurückziehen möchten, wurden im Donbass von der russischen Armee erschossen. Und auch die am Sonntag getöteten russischen Touristen werden von der Kreml-Propaganda genutzt, um den Hass in der russischen Bevölkerung gegenüber der Ukraine und dem Westen weiter zu befeuern.

Das russische Verteidigungsministerium teilte mit: "Die Verantwortung für den vorsätzlichen Raketenangriff auf Zivilisten in Sewastopol liegt in erster Linie bei Washington, das die Waffen an die Ukraine geliefert hat." Kremlsprecher Dmitri Peskow drohte am Montag: "Es versteht sich, dass die unmittelbare Beteiligung der USA an Kampfhandlungen, in deren Ergebnis russische Zivilisten ums Leben kommen, nicht ohne Folgen bleiben kann."

Putin schlägt um sich. Es ist auch der Versuch, von der eigenen Verantwortung abzulenken. Denn es liegt vor allem auch an der Untätigkeit des Kreml, dass überhaupt Menschen auf der Krim Urlaub machen. Außerdem greift das russische Militär seit über zwei Jahren zivile Ziele in der Ukraine an. Die USA bestreiten in einer Reaktion, dass der Strand Ziel des Angriffes gewesen sei. Und in der Tat: Die Aufnahmen der Überwachungskamera, die russische Militärblogger vom Vorfall auf Telegram veröffentlichten, zeigen laut Militärexperten, dass es sich wahrscheinlich um eine von Russland abgeschossene ukrainische Rakete handelte. Bei einem gezielten Angriff wäre ein Großteil der Sprengmunition nicht im Meer gelandet. Auch der Kreml sprach am Sonntag zunächst von abgeschossenen ATACMS, aber diese Version wurde dann revidiert.

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