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Alexej Nawalny: Russlandexperte Andreas Umland zur Nachfolge


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Experte nach Tod von Nawalny
"Eine Sache wundert mich"

InterviewVon Malte Bollmeier

Aktualisiert am 19.02.2024Lesedauer: 6 Min.
Gedenken an Alexej Nawalny vor dem russischen Konsulat in Frankfurt a.M.:Vergrößern des Bildes
Gedenken an Alexej Nawalny: Nawalny habe eine seltene Kombination von Intelligenz, Effektivität und Beliebtheit in sich vereint, sagt Russlandexperte Andreas Umland. (Quelle: Florian Gaul/imago-images-bilder)
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Nach dem Tod Alexej Nawalnys stellt sich in Russland die Frage, wer seine Lücke in der Opposition füllen kann. Politologe Andreas Umland spricht im Interview über die Chancen von Nawalnys Frau und was ihn an Putins Gegnern verwundert.

Seine Frau hat schon angekündigt, sein Werk fortzusetzen: "Ich werde weiter für die Freiheit unseres Landes kämpfen", sagte Julia Nawalnaja in einer Videobotschaft zum Tod ihres Mannes Alexej Nawalny. Sie wirft der russischen Regierung vor, Nawalny vergiftet zu haben. Die russische Bevölkerung müsse nun jede Gelegenheit nutzen, um gegen Krieg, Korruption und Ungerechtigkeit zu kämpfen.

Ob das ohne Nawalny möglich ist, bleibt aber unklar. Er galt als der wichtigste Oppositionelle des Landes und konnte auf eine breite Unterstützung in der Bevölkerung bauen. Zudem ist die russische Opposition zerstritten und Nawalny nicht der erste Gegner des Regimes, der mutmaßlich der staatlichen Unterdrückung zum Opfer gefallen ist.

Der Osteuropa-Experte Andreas Umland hält im Interview mit t-online jemand für geeignet, "der nicht mit Nawalny verbunden ist".

t-online: Herr Umland, Nawalnys Frau Julia hat angekündigt, die Arbeit ihres Mannes fortzusetzen. Hat sie eine Chance?

Andreas Umland: Das bleibt abzuwarten. Eine ähnliche Situation gab es 2020 in Belarus. Die belarussische Regierung hatte den Oppositionspolitiker Sergej Tichanowski verhaften lassen. Seine Frau Swetlana ist mittlerweile bekannter als er. Nawalnys Witwe könnte also seinen Namen und ihre eigene große Bekanntheit nutzen. Sie könnte womöglich immer beliebter werden und dann ebenfalls ihrem Mann nachfolgen. Aber das ist schwer abzusehen.

(Quelle: imago stock&people/imago-images-bilder)

Zur Person

Andreas Umland (*1967) ist ein deutscher Politikwissenschaftler und Publizist. Er arbeitet von Kiew aus als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien. Umland gründete die Buchreihe "Soviet and Post-Soviet Politics and Society" ("Sowjetische und postsowjetische Politik und Gesellschaft").

Gibt es in Nawalnys Antikorruptionsstiftung einen möglichen Nachfolger?

Es wird schwer, diese Lücke zu füllen. Nawalny war sowohl intelligent, politisch effektiv und beliebt in der russischen Bevölkerung – eine ganz seltene Kombination. Zudem war er tief in der Zivilgesellschaft verwurzelt und hatte eine breite Unterstützung im ganzen Land. Es gibt in der Stiftung zwar relativ prominente Persönlichkeiten, die die Stiftung fortführen könnten. Aber niemand von ihnen kann wirklich Nawalny ersetzen. Kurioserweise wäre als Nachfolger jemand geeignet, der nicht mit Nawalny verbunden ist.

Wen meinen Sie?

Der Oppositionelle Boris Nadeschdin hat ein gewisses gesellschaftliches und politisches Gewicht. Er eignet sich am ehesten als neuer Oppositionsführer, aber wahrscheinlich nur, falls das Regime stärker in die Kritik gerät.

Was unterscheidet Nadeschdin von Nawalny?

Nadeschdin gehört einem anderen Kreis von Oppositionellen an. Er ist auch zeitweise Teil der Schein-Opposition des Systems gewesen, er hat etwa mit Sergej Kirijenko zusammengearbeitet, der jetzt Teil des Regimes ist. Nadeschdin müsste daher auch innerhalb der Nawalny-Bewegung erstmal dafür kämpfen, von ihr akzeptiert zu werden.

Ist die russische Opposition also zerstritten?

Ja, das ist ihre Grundkrankheit. Im Grunde ist die Opposition schon seit der späten Sowjetunion zersplittert in verschiedene Zirkel, die oft miteinander im Streit liegen.

Nadeschdin hätte es also schwer?

Nadeschdin ist ein kleineres Kaliber als Nawalny. Aber er ist zumindest bekannt und hat große Unterstützung bei dieser Unterschriftensammlung für diese Pseudo-Präsidentschaftswahlen erhalten. Er wird aber von weiten Teilen gar nicht als Oppositioneller anerkannt, weil er zu nahe am Regime ist.

Warum gibt es in Russland so einen starken Fokus auf Einzelpersonen in der Opposition?

Ja, das ist eine weitere Grundkrankheit, nicht nur in Russland, sondern auch in vielen anderen postsowjetischen Ländern wie der Ukraine. Es gibt in diesen Ländern eine sehr starke Fixierung auf Einzelpersonen. Während der Jahrzehnte der Sowjetunion hat die Regierung die Zivilgesellschaft, die bürgerliche Gesellschaft und die politische Gesellschaft vernichtet. Jetzt braucht es Zeit, bis sich Organisationen etablieren, die nicht nur Eintagsfliegen sind.

Am Freitag sagten Sie, Nawalnys Tod könnte das russische Regime erschüttern. Könnte sich das ein Nachfolger Nawalnys zunutze machen?

Bei der Einschätzung war ich wahrscheinlich etwas zu optimistisch. Ich habe diese Aussage gemacht, weil es sich bei Nawalnys Tod um politischen Mord handelt. Egal ob er vergiftet worden oder einfach an Schwäche gestorben ist, ich betrachte das als Mord, und zwar den wichtigsten politischen Mord der letzten 30 bis 35 Jahre in Russland. Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow etwa war bei seiner Ermordung 2015 schon seit Längerem kein wichtiger Politiker mehr, Nawalny hingegen schon. Falls sich eine neue starke Führungsfigur für die Opposition findet, könnte sie Nawalny als Märtyrerfigur einsetzen und damit Druck auf die russische Regierung ausüben.

Aber warum sagen Sie, Sie seien zu optimistisch gewesen?

Weil angesichts der starken staatlichen Repression die russische Opposition noch zu deutlich mehr Opfern bereit sein muss. Ohne größere Opferbereitschaft wird Nawalnys Tod erst mal folgenlos bleiben. Erst, wenn weitere Ereignisse den Staat erneut erschüttern, könnte sich zusammen mit Nawalnys Tod etwas ändern.

Laut dem Politikwissenschaftler Alexander Libmann wird Nawalnys Nachfolger im selben Dilemma stecken wie viele russische Oppositionelle: Bleiben sie im Land, riskieren sie ihr Leben. Verlassen sie Russland, haben sie wenig Einfluss auf die Geschehnisse im Inland.

Über die richtige Strategie diskutiert auch die russische Opposition selbst. Die einen sagen, man muss den Kampf vor Ort austragen. Andere, wie Wladimir Milow, ein enger Vertrauter Nawalnys, sind ganz bewusst ins Ausland gegangen. Dabei verweisen sie darauf, dass die sozialen Netzwerke wie YouTube und Telegram noch offen und auch aus dem Ausland zugänglich sind.

Ist denn innerhalb Russlands überhaupt noch wirkliche Oppositionsarbeit möglich?

Aktuell ist im Inland wenig möglich. Demonstrationen sind kaum umsetzbar und an den Wahlen kann die Opposition auch nicht sinnvoll teilnehmen. Das spricht meiner Meinung nach auch für Oppositionsarbeit aus dem Ausland.

Das klingt so, als wäre auch Nawalnys Partei "Russland der Zukunft" zurzeit nicht besonders wichtig.

Ja, die ist eigentlich abwesend im politischen Geschehen. Es gibt in der russischen Politik einfach keinen Parteienwettbewerb wie in Deutschland. Wenn sich die Unzufriedenheit mit der russischen Regierung aber verstärken sollte, werden natürlich diejenigen Organisationen und Netzwerke, die es im Inland gibt, quasi über Nacht sehr viel bedeutsamer werden.

Der Opposition sind also die Hände gebunden. Hat sie denn gar keine Möglichkeiten?

Eine Sache wundert mich: Viele Russen sind kriegsmüde, trotzdem hat es seit Kriegsbeginn keinen Generalstreik oder zumindest den Versuch eines Generalstreiks gegeben – obwohl das eine einfache und sehr sichere Form des Protests wäre, die wahrscheinlich auch den Krieg beenden würde.

Wieso das?

Für den Krieg und seine Logistik braucht die Regierung ein enormes funktionierendes Hinterland. Wenn es tatsächlich in der Gesellschaft ein großes Verlangen gäbe, den Krieg zu beenden, wäre ein Generalstreik die einfachste Form. Wenn sich mehrere Hundertausend oder gar Millionen Menschen fänden, die einfach zu Hause blieben und nicht zur Arbeit gehen würden, dann wäre der Krieg wahrscheinlich sehr schnell vorüber. Zumal in Russland ohnehin Arbeitskräftemangel herrscht, weil viele Männer an der Front oder geflohen sind. Der Mangel ließe sich also als politisches Druckmittel nutzen.

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Warum denken Sie, dass so ein Streik sicherer für die Beteiligten wäre?

Für den Frieden auf die Straße zu gehen, ist hochriskant. Demonstranten wurden oft direkt von der Polizei abgefangen, verurteilt und ins Gefängnis gesteckt. Aber wenn sehr viele Menschen einfach zu Hause blieben, würden sie nur ein geringes Risiko eingehen.

Vielleicht gibt es niemanden, der diese Proteste überhaupt organisiert, weil die Menschen Angst haben, so wie Nawalny zu enden.

Wie gesagt, die sozialen Netzwerke funktionieren ja noch zum größten Teil. Es gibt also die Kommunikationsmittel, die man bräuchte. Und die Opposition bräuchte keine großen Teams, um einen Generalstreik zu organisieren und auch keine physischen Aktionen: Sie müsste nur einen Aufruf starten und dann sieht sie ja, wer sich daran beteiligt.

Warum kommt es also nicht zum Streik?

Der Hauptgrund ist wahrscheinlich, dass die Leute Angst haben, ihre Arbeit zu verlieren. Angesichts des Arbeitskräftemangels in Russland ist das aber keine so große Gefahr. Die meisten Russen meiden also selbst ein minimales Risiko. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis für die gesamte russische Gesellschaft: Die Menschen wagen es nicht einmal, zu Hause zu bleiben. Dabei sollte das doch nicht so schwer sein.

Oder sind die Russen vielleicht doch nicht so kriegsmüde?

Da kommt ein Verdacht auf: Die Leute wollen vielleicht ein Ende des Krieges, aber sie wollen ein Ende des Krieges durch Sieg. Ein Streik würde aber ein Ende durch Niederlage bedeuten. Das ist also ein noch schlimmeres Armutszeugnis für die russische Gesellschaft: Noch schlimmer als den Krieg finden sie die Vorstellung, ihn zu verlieren.

Herr Umland, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Andreas Umland
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