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Militärische Eskalation zwischen China und USA? "Realistische Möglichkeit"


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Neue Gefahr im Osten
"Dadurch wächst Pekings Macht"


Aktualisiert am 20.09.2023Lesedauer: 6 Min.
Wladimir Putin und Xi Jinping: China hilft Russland massiv, sagt Janka Oertel.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin und Xi Jinping: China hilft Russland massiv, sagt Janka Oertel. (Quelle: Sputnik/Grigory Sysoev/Kremlin/reuters)

Russland will sein Imperium mit Gewalt restaurieren, China operiert bislang subtiler. Doch täuschen lassen sollte sich der Westen davon nicht. Die Politologin Janka Oertel erklärt, warum die kommenden Monate brandgefährlich werden könnten.

Starke Wirtschaft, florierende Beziehung: Seit Jahrzehnten ist China Deutschlands wichtigster Handelspartner. Doch Chinas Machtstreben führt zu einem Umdenken in der Bundesregierung, nun sieht sie in Peking einen "systemischen Rivalen". Peking bedroht nicht nur den demokratischen Inselstaat Taiwan, sondern greift auch nach globaler Macht. Wie strategisch, geschickt und rücksichtslos das Regime von Präsident Xi Jinping dabei vorgeht, beobachtet Janka Oertel genau.

Im t-online-Interview erklärt die Politologin, warum die Kriegsgefahr im pazifischen Raum wächst, welche Probleme Xi Jinping zu schaffen machen und warum Deutschland einen abrupten Bruch mit China kaum verkraften würde.

t-online: Frau Oertel, müssen wir China fürchten?

Janka Oertel: Furcht ist keine gute Grundlage für vernünftiges Handeln. Panik auch nicht. Aber wir müssen China sehr, sehr ernst nehmen. Vor allem das, was die chinesische Führung sagt – und erst recht das, was sie tut.

Macht die Bundesregierung das nicht?

In Deutschland haben wir bisher sehr optimistisch in die gemeinsame Zukunft mit China geblickt. Nach dem Motto: "Das wird schon irgendwie gut gehen." Jetzt setzt endlich Realismus ein.

War der deutsche Optimismus naiv?

Naiv ist vielleicht nicht der richtige Begriff, aber wir waren auch nicht besonders gut darin, die richtigen Schlussfolgerungen aus den Entwicklungen zu ziehen. Deutschlands Wirtschaft ist eng mit China verwoben; deshalb haben die verschiedenen Bundesregierungen lange einen vorsichtigen und zuvorkommenden Umgang mit der chinesischen Führung gepflegt und auf Maßnahmen gegen chinesische Wettbewerbsverzerrungen verzichtet – weder die Solarindustrie noch die Telekommunikationsindustrie wollte man vor zehn Jahren schützen, zu groß war die Sorge, den Marktzugang in China zu verlieren.

Bei Widerstand reagiert China hart: Wegen Litauens Taiwan-freundlicher Politik hat China hohe Strafzölle gegen das Land verhängt.

Selbst wenn der litauische Handel mit China deswegen um 97 Prozent einbricht, kollabiert die Volkswirtschaft dort aber nicht. Im Falle Deutschlands wären die Folgen schwerwiegender – für ganz Europa.

Janka Oertel, Jahrgang 1983, leitet das Asien-Programm der Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR). Kürzlich hat die promovierte Politologin und Sinologin ihr Buch "Ende der China-Illusion. Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen" veröffentlicht.

Deshalb fällt es der Ampelkoalition so schwer, sich gegenüber China klar zu positionieren?

Die Positionierung ist deutlicher geworden, aber es mangelt noch an der nötigen Dringlichkeit: Für Deutschland ist China eine ähnlich große Herausforderung wie die Klimakrise. In beiden Fällen haben wir es mit gravierenden strukturellen Verschiebungen zu tun, die viele unserer liebgewonnenen Grundannahmen infrage stellen. Das Problem bei diesen Herausforderungen ist, dass wir mit den gravierendsten Folgen zwar erst in der Zukunft leben werden, wir aber nun kurzfristig handeln müssen, um diese zu verhindern. Wenn wir jetzt nichts unternehmen, stehen wir mittelfristig vor existenziellen Risiken. Die Elektroauto-Debatte ist nur ein Vorgeschmack.

Wenn China kein verlässlicher Partner für Deutschland ist, was ist es dann?

China eine umfassende Herausforderung für uns, denn es verfolgt ganz andere Vorstellungen von der internationalen politischen und wirtschaftlichen Ordnung. Das tut Peking immer selbstbewusster – und erfolgreicher. Viele Staaten weltweit kooperieren intensiv mit China. Dadurch wächst Pekings Macht.

Die Bundesregierung bezeichnet China auch als "systemischen Rivalen".

Das trifft es recht gut, aber wir müssen diese Rivalität auch richtig ernst nehmen. Damit tun wir uns schwer, weil wir diese Form der Konfrontation nicht mehr gewöhnt sind. Nach dem Ende des Kalten Krieges 1989 nahm der Westen an, dass sich seine Ordnungsvorstellungen weltweit durchsetzen würden. Wie groß dieser Irrtum war, merken wir inzwischen deutlich: China stellt die Vormachtstellung des Westens infrage.

Wie also sollte Deutschland sich verhalten?

Wir in Deutschland und Europa müssen uns wieder bewusst machen, was wir selbst an unserem politischen und wirtschaftlichen System attraktiv finden. Und das müssen wir dann selbstbewusst vertreten und konsequent umsetzen. Ein Beispiel im Kleinen: Die EU-Kommission will bei Subventionen für chinesische E-Autos jetzt handeln. Das sollte Berlin unterstützen.

Haben wir dafür noch Zeit? In Ihrem Buch "Ende der China-Illusion" warnen Sie, dass die Sicherheitslage im Fernen Osten schon 2024 eskalieren könnte.

Eine militärische Eskalation zwischen China und den USA ist keine theoretische Vorstellung, sondern eine durchaus realistische Möglichkeit. Einen genauen Zeitpunkt zu nennen, ergibt aber keinen Sinn. Das Jahr 2024 birgt viele Risiken und Eskalationspotenziale. In den USA und in Taiwan finden Wahlen statt, die militärische Dynamik um Taiwan ist jetzt schon groß. Die Unsicherheitsfaktoren nehmen massiv zu. Wir sollten uns dringend dafür wappnen.

Aber wie konkret?

Zunächst müssen wir überlegen, was ein militärischer Konflikt um Taiwan für uns bedeutet. Daran schließen sich viele Fragen an: Was würde ein Krieg für die Handelswege bedeuten? Welche Auswirkungen hätten Sanktionen? Was sind die Erwartungen unserer Partner in der Region? Diese Szenarien lassen sich beziffern. Auf Basis der Ergebnisse sollten wir unsere eigene Resilienz stärken und unsere Interessen klar kommunizieren. Es darf in Peking keinen Zweifel daran geben, dass Europa im Falle eines chinesischen Angriffs auf Taiwan hart reagieren und Handelsbeziehungen einfrieren würde.

Das wäre in der deutschen Bevölkerung vermutlich schwer zu vermitteln. Im Unterschied zur Ukraine ist Taiwan weit weg.

Geografische Entfernungen sind in der globalisierten Welt von heute nicht mehr so relevant, wie sie einmal waren. Chinas Militär operiert längst global, chinesische Hacker attackieren schon heute Europa mit Cyberangriffen, und Industriespionage ist bei Weitem kein abstraktes Problem. Gleichzeitig beteiligen sich zum Beispiel Japan, Korea, Singapur oder Taiwan auch an den Sanktionen gegenüber Russland.

Nimmt die chinesische Führung Deutschland überhaupt ernst?

China nimmt uns durchaus ernst. Deutsche Technologie, vom Maschinenbau über die Robotik oder Automobilproduktion, ist derzeit noch gefragt, die chemische Industrie weiterhin willkommen. Deutsche Unternehmen operieren schon seit den Achtzigerjahren intensiv in China. Wir haben zu Chinas Erfolg und Wachstum beigetragen. Umgekehrt hat die deutsche Wirtschaft enorm vom Handel mit China profitiert.

Chinas Aufstieg wird durch die Folgen der harten Corona-Lockdowns gebremst. Ist das nur eine temporäre Schwäche oder ein dauerhaftes Krisensymptom?

Die chinesische Führung steht vor komplexen wirtschaftlichen Problemen, aber deshalb das Ende des chinesischen Aufstiegs zu besingen, halte ich für einen Fehler. Wenn die Kommunistische Partei eines bewiesen hat, dann ihre Fähigkeit, sich anzupassen, mit Krisen umzugehen und aus Fehlern zu lernen. Allerdings steht China vor gewaltigen strukturellen Herausforderungen.

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Welchen?

Es gibt kein funktionierendes Renten- und Sozialversicherungssystem. Der Immobiliensektor kommt nicht aus der Krise. Investitionen in unproduktive Sektoren haben Kapital vernichtet, das Vertrauen in den Markt ist gering. Der Fokus auf Sicherheit und Kontrolle überlagert das Streben nach Wachstum und Wohlstand. Dazu kommt eine alternde Gesellschaft und gleichzeitig sprechen wir gerade über Jugendarbeitslosigkeit von über 20 Prozent. Ein recht explosiver Mix.

Sehen Sie in der Bevölkerung Anzeichen für Unzufriedenheit mit dem Regime?

Die Proteste in zahlreichen Städten gegen die Corona-Lockdowns waren ein Zeichen, ein Warnsignal. Die chinesische Führung scheint von beständiger Furcht getrieben, attackiert zu werden, sowohl von innen als auch außen. Den Zusammenbruch der Sowjetunion hat man in Peking genau studiert. Ein ähnliches Szenario will Xi Jinping um jeden Preis verhindern, weshalb die Überwachung und Kontrolle immer weiter ausgebaut werden. Das ist durchaus effektiv.

Russland und China standen sich über Jahrhunderte eher feindselig gegenüber, heute ist Peking Putins wichtigster Unterstützer. Ob Russland in der Ukraine siegt oder verliert – in jedem Fall profitiert China.

Peking hat die Konfrontation zwischen Russland und dem Westen genau beobachtet – und seine Schlüsse daraus gezogen. Die Sanktionen gegen Moskau nach der Besetzung der Krim 2014 bestärkten China in seiner Politik, den Westen in zentralen Bereichen von sich abhängig zu machen, um andere Verwundbarkeiten auszugleichen. Das hat erstaunlich gut funktioniert, weil wir uns bereitwillig in diese Abhängigkeiten begeben haben. Etwa bei den 5G-Zugangsnetzen, in denen großflächig chinesische Technologie verbaut wurde.

Wie weit würde China bei seiner Unterstützung für Putins Krieg gegen die Ukraine gehen?

China hilft Russland massiv, getarnt durch die Simulation von Neutralität. Xi Jinpings erster Staatsbesuch zu Beginn seiner dritten Amtszeit ging nach Moskau. Es war ein Signal der Unterstützung an Putin und auch ein Signal an den Westen. Pekings Unterstützung für Moskau drückt sich in einem rasanten Wachstum im Handel zwischen den Staaten und einer Vertiefung der Kooperation auch im Bereich der Sicherheitspolitik und -technologie aus. In der Beziehung zu Europa hatte dies für die chinesische Führung bislang kaum einen Preis. Aber in den mittel- und osteuropäischen Staaten ist die Stimmung inzwischen gekippt. Vom Baltikum bis Tschechien sind Regierungen deutlich skeptischer geworden, was China angeht. Im Süden Europas sieht das noch anders aus. Hier liegt der Schwerpunkt oft noch auf den vermeintlichen wirtschaftlichen Chancen und nicht so sehr auf den Risiken.

Warum ist das ein Problem?

Weil das eine gemeinsame europäische Positionierung und entschlossenes Handeln erschwert. Der Druck auf Deutschland wächst, hier eine Führungsrolle zu übernehmen. Keine Berliner Alleingänge mehr, denn nur gemeinsam kann ein selbstbewussterer Umgang mit China gelingen.

Frau Oertel, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Janka Oertel via Videokonferenz
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