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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Münchner Sicherheitskonferenz Ein fatales Signal
Der Konflikt mit Russland überschattet die Sicherheitskonferenz in München. Dort sollen eigentlich internationale Krisen im Gespräch entschärft werden. Doch in diesem Jahr ist das schon vor dem Start gescheitert.
Plötzlich sind sie wieder da: die Blockbildung und die Ängste, die viele Menschen in Europa im Kalten Krieg hatten. Bis zu 130.000 russische Soldaten stehen an der ukrainischen Grenze, Panzer und Kampfflugzeuge sind bereit zum Angriff. Im Angesicht der dramatischen Zuspitzung in dem Konflikt erscheint vor allem eines wichtig: Dialog.
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Eines der wichtigsten diplomatischen Gesprächsformate ist die Münchner Sicherheitskonferenz. Bei der Tagung kommen jährlich politische Entscheidungsträger zusammen, um über internationale Konflikte zu sprechen. Das Motto: Wer redet, der schießt nicht.
Deshalb sind es schlechte Nachrichten für den Frieden, wenn ausgerechnet Vertreter der russischen Regierung auf der Sicherheitskonferenz an diesem Wochenende fehlen. Der Kreml schlug die Einladung aus, zu groß war offenbar die Angst, in München öffentlich an den Pranger gestellt zu werden. Präsident Wladimir Putin bittet die Staats- und Regierungschefs lieber einzeln nach Moskau, anstatt ihnen gemeinsam in München gegenübertreten zu müssen. Die diesjährige Sicherheitskonferenz droht damit zur inneren Gesprächsrunde der Nato zu werden.
"Niemand bedroht Russland"
Der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat vieles versucht, um doch einen russischen Vertreter zur Sicherheitskonferenz zu lotsen. Hunderte Entscheidungsträger würden es sehr bedauern, "dass Russland sich nicht stellt", sagte Ischinger am Freitag im ARD-"Morgenmagazin".
Persönlich könne er nachvollziehen, dass der russische Außenminister Sergej Lawrow diesmal eine Teilnahme "nicht gerade als vergnügungssteuerpflichtig" ansehe. Es kämen aber durchaus erfahrene Personen aus Russland, versicherte Ischinger.
Das Hauptthema auf der von Freitag bis Sonntag laufenden Konferenz in München werde sein: "Was ist eigentlich notwendig, damit die russische Seite dieses Bedrohungsszenario entlang der ukrainischen Grenze endgültig aufgibt und an den diplomatischen Verhandlungstisch zurückkehrt?" Ob diese Frage letztlich ohne einen führenden politischen Vertreter Russlands praktisch erörtert werden kann, ist fraglich.
Ischinger bezeichnete die russischen Sicherheitsbedenken als "weit hergeholt", weil die Nato seit 18 Jahren keinen Schritt mehr zu einer weiteren Osterweiterung in Richtung russischer Grenze getan habe. "Wieso jetzt nach 18 Jahren diese Sache so hoch hängen? Die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine steht nicht zur Debatte."
Dahinter stecke der tiefere russische Wunsch, eine Lage wiederherzustellen, in der Russland von untergeordneten Ländern umgeben sei, die "auf ihre völlige Selbstständigkeit" verzichten sollten. "Das geht natürlich nicht", sagte Ischinger. "Wir werden uns hier in München gemeinsam noch einmal dazu aufraffen wollen zu sagen: Jeder europäische Staat muss seine Geschicke selbst bestimmen können. Und ohne andere zu bedrohen." Er fügte hinzu: "Niemand bedroht Russland."
Kanzler und zahlreiche Bundesminister in München
Während der Machtapparat von Wladimir Putin in München nur durch Abwesenheit glänzt, kündigte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj für Samstag zum Gespräch über die "Ukraine und die Europäische Sicherheitsarchitektur" an – sofern in seinem Land kein Krieg ausbreche. Dabei wird er noch einmal bekräftigen, dass die Ukraine keinen Krieg mit Russland wolle und dass das Land in Richtung der Europäischen Union und in Richtung Nato strebe.
Während die breite Öffentlichkeit die Veranstaltung als großes Treffen internationaler Politiker und Diplomaten wahrnimmt, die auf der Bühne zu verschiedenen Themen Stellung beziehen, geht der Charme insbesondere vom Veranstaltungsort aus, dem Hotel "Bayerischer Hof" im Herzen von München. Das noble Hotel lässt viel Raum für die so wichtigen inoffiziellen Gespräche in Hinterzimmern zu, die in zwei Jahren Pandemie de facto unmöglich waren. Hier besteht viel Nachholbedarf.
Für die neue Bundesregierung wird das Treffen zu einer weiteren Etappe im Marathon der Krisendiplomatie. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) kommen alle nach München, auch weitere Minister wie Karl Lauterbach (Gesundheit, SPD) stehen auf der Teilnehmerliste.
Baerbock wird als Vorsitzende der Außenminister der G7-Staaten am Samstag am Rande der Konferenz mit ihren Kollegen zudem zu Beratungen über die Ukraine-Krise zusammenkommen. Geplant sind außerdem Gespräche zwischen Deutschland, Frankreich und der Ukraine, also drei der vier Partner des Normandie-Formats, in dem mit Russland versucht wird, einen Weg aus dem Konflikt zu finden.
Russland, Klimawandel und Dialog mit China
Kurz vor der Konferenz sorgte die Ankündigung eines teilweisen Truppenabzugs am Dienstag für Hoffnung auf Annäherung. Der Westen sieht bislang jedoch noch keine tatsächlichen Truppenbewegungen weg von der Grenze, stattdessen sendet Russland laut US-Geheimdienstinformationen noch mehr Soldaten – und die russische Kriegspropaganda lässt im Moment das Schlimmste befürchten.
Obwohl die Spannungen mit Russland das dominierende Thema sind, wird auch der Kampf gegen den Klimawandel auf der Münchner Sicherheitskonferenz viel Raum einnehmen. Als eine der zentralen globalen Krisen wurde er bereits im vorab veröffentlichten Bericht, dem Munich Security Report, benannt.
Der Klimawandel trage zu einem Gefühl einer "kollektiven Hilflosigkeit" inmitten einer Vielzahl von Krisen bei, hieß es dort. Außenministerin Baerbock wird unter anderem bei einem Panel zur "Internationalen Klima-Diplomatie" gemeinsam mit dem Sondergesandten der US-Regierung für Klimafragen, John Kerry, diskutieren.
Mit Spannung wird auch ein Gespräch zwischen Ischinger und dem chinesischen Außenminister Wang Yi erwartet. Immerhin stehen sich der Westen und die Volksrepublik als Systemrivalen gegenüber und auch dieser Konflikt spitzt sich zu.
Zur Münchner Sicherheitskonferenz werden 35 Staats- und Regierungschefs, rund hundert Ministerinnen und Minister sowie die Spitzen von UN, Nato und EU erwartet. UN-Generalsekretär António Guterres wird das Treffen eröffnen, teilnehmen wollen neben den deutschen Regierungsvertretern auch US-Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken sowie Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg.
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp