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Nato-Gipfel: Der "Trump-Schock" in der Nato sitzt tief


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Sicherheitsexperten sind sich einig
Der "Trump-Schock" in der Nato sitzt tief


Aktualisiert am 14.06.2021Lesedauer: 6 Min.
Donald Trump und Angela Merkel beim Nato-Gipfel 2019 in Wales: Trump hatte das Bündnis infrage gestellt.Vergrößern des Bildes
Donald Trump und Angela Merkel beim Nato-Gipfel 2019 in Wales: Trump hatte das Bündnis infrage gestellt. (Quelle: Kevin Lamarque/reuters)
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Donald Trump hatte als US-Präsident die Nato infrage gestellt. Nun soll das Bündnis reformiert werden. Das sei auch notwendig, meinen Experten. Die Bedrohungslage für Deutschland und Europa sei hoch.

Panzer rollen auf Zügen Richtung ukrainische Grenze, aus dem Nichts wird innerhalb weniger Tage ein riesiges Militärlager aufgebaut. Die Bilder vom Truppenaufmarsch Russlands an der Grenze zur Ukraine vor einigen Wochen haben Sicherheitsexperten und Politiker in Europa besorgt. Laut offiziellen russischen Angaben handelte es sich dabei nur um eine Übung, doch plötzlich war der Krieg im Osten Europas wieder im öffentlichen Bewusstsein der Deutschen.

"Das sind Szenarien, die wir sonst aus dem Kalten Krieg kannten, allerdings jetzt regional begrenzt", sagt Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) im Gespräch mit t-online.

"Honeymoon in der internationalen Politik"

Regional begrenzt und weit weg von Deutschland. 2014 beurteilten laut einem jährlichen Forschungsbericht des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr nur sechs Prozent der Befragten die Sicherheitslage in der Bundesrepublik als "unsicher". Nach der Annexion der Krim 2014 und der Flüchtlingskrise 2015 stieg der Anteil auf 30 Prozent (2017) an und sank bis 2020 dann wieder auf 16 Prozent. Dieses vermeintliche Gefühl der Sicherheit herrsche in einem Großteil der deutschen Bevölkerung seit 30 Jahren vor, schreibt Sicherheitsexpertin Ulrike Franke vom European Council of Froreign Relations in einem Essay. Vor allem die Generation der Millennials, die heute 25- bis 40-Jährigen, sei demnach über Jahre von geopolitischen Konflikten abgekapselt gewesen.

Johannes Varwick, Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg stimmt zu: "In Deutschland war mit dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Deutschen Einheit der Eindruck entstanden, dass jetzt ein ewiger Honeymoon in der internationalen Politik ausgebrochen ist und sich alles mit Diplomatie lösen lässt."

"Sicherung einer unsicheren Zukunft"

Ein solches Verständnis von Außenpolitik: Lässt sich das vereinen mit einem militärischen Verteidigungsbündnis wie der Nato? Tatsächlich sind die Deutschen in überwiegender Mehrheit für das Bündnis, wie aus dem ARD-Deutschlandtrend von 2019 hervorgeht. 85 Prozent der Befragten lehnten eine Abschaffung der Nato ab, nur 13 Prozent waren dafür.

Seit 70 Jahren existiert die Organisation. Am Montag kommen die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten zu einem Gipfel zusammen, um über die Zukunft der Nato zu beraten. Unter dem Namen "Nato 2030" wurde ein Reformprozess angestoßen. Das Motto: "Sicherung einer unsicheren Zukunft". Doch die Frage bleibt, ob es über drei Jahrzehnte nach dem Fall des eisernen Vorhangs noch ein transatlantisches Verteidigungsbündnis braucht.

Ja – sind sich die Sicherheitsexperten einig. Denn dass sich Konflikte ohne Militär lösen lassen, habe sich als Illusion erwiesen, so Varwick. Und der Politikwissenschaftler stellt klar: "Wir leben in einer harten, realpolitischen Welt mit einer Reihe an Herausforderungen, wo man sich nicht mehr wegducken kann."

Nato-Truppen im Baltikum

Eine dieser Herausforderungen ist Russland. Der große Nato-Nachbar im Osten treibt seine geopolitischen Ambitionen wie etwa in der Ukraine aggressiv voran. Die Nato hat deshalb in den baltischen Staaten Truppen stationiert. In Estland, Litauen, Polen und Lettland stehen jeweils eine multinationale Einheit mit jeweils einer Stärke von 1.000 bis 1.500 Soldaten. Putin kritisiert diese Initiative. "Wir werden auf solche aggressiven Schritte, die eine direkte Bedrohung für Russland darstellen, angemessen reagieren."

Joachim Krause entgegnet, dass von den Nato-Verbänden im Baltikum allein wegen der geringen Größe keine militärische Bedrohung für Russland ausgeht. Zudem "wird niemand behaupten, dass es militärische Lösungen mit Blick auf Russland gäbe. Aber wenn wir nicht militärisch stark und handlungsfähig wären, dann hätte Russland natürlich alle Möglichkeiten, uns zu erpressen", ergänzt Varwick.

180-Grad-Wende in der Sicherheitspolitik

Die genannte Initiative, die NATO Enhanced Forward Presence (eFP), war eine Reaktion der Nato auf die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland im Jahr 2014. Seit 2016 befinden sich die sogenannten "Battlegroups" in Osteuropa. Deutschland leitet die Gruppe in Litauen. "Die deutsche Sicherheitspolitik hat seit 2014 eine 180-Grad-Wende hingelegt und denkt wieder in Szenarien, bei denen man sich gegen einen militärischen Gegner auch wappnen muss", analysiert Varwick.

Deutschland hat seine Verteidigungsausgaben von 39 Milliarden US-Dollar bis 2020 auf 52,8 Millionen erhöht, das entspricht 1,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Das ist zwar ein deutliches Plus. Deutschland ist damit aber noch weit entfernt vom 2014 beim Nato-Gipfel in Wales zugesicherten Zwei-Prozent-Ziel. "Deutschland sollte sich fragen, was es heißt, ein guter Alliierter zu sein. Deutschland hat 40 Jahre davon gelebt, dass andere Staaten im Ost-West-Konflikt Deutschland eine Sicherheitsgarantie gegeben haben und wir müssen das jetzt zurückgeben – auch aus Eigeninteresse", so Varwick.

"Bittsteller auf der internationalen Bühne"

Die Erhöhung des Verteidigungsbudgets sei also kein Selbstzweck zur plakativen Aufrüstung, sagt auch Joachim Krause. "Wenn man die Diplomatie nicht durch Machtmittel untermauern kann, dann ist man im Grunde nichts anderes als ein Bittsteller auf der internationalen Bühne."

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Die USA, als größte Militärmacht der Welt, boten Deutschland durch die Nato auch nach dem Ende der Sowjetunion Schutz. Dieser Schutz versetzte Deutschland in die Lage, mit dem Wissen um die militärische Absicherung eine entsprechend starke Position in Verhandlungen einnehmen zu können. Doch dieses Sicherheitsverständnis Deutschlands wurde jüngst tief erschüttert und nachhaltig verändert.

Der Trump-Schock

Es kam zum "Trump-Schock". Der ehemalige US-Präsident pochte auf der Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels und bezeichnete das Bündnis in einem Interview mit der "Bild" mit Blick auf die Terrorismusbekämpfung als "obsolet". Die Verunsicherung, die Donald Trump ausgelöst habe, sitze bei allen Nato-Staaten tief, sagt Varwick. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel machte im Mai 2017 deutlich, dass sich die Welt für die Bundesrepublik verändert hat. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei", so Merkel.

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Donald Trump ist vorerst von der großen politischen Bühne verschwunden. Die USA sind noch Teil des Bündnisses und mit dem neuen US-Präsidenten Joe Biden ist wieder ein bekennender Unterstützer des Multilateralismus ins Weiße Haus gezogen. Dennoch, die Zeiten, in denen die USA in jedem Fall für Deutschland den Beschützer spielen, seien vorbei, vor allem wenn sich Deutschland nicht stärker engagiere, ist sich Krause sicher. "Man soll sich an internationale Vereinbarungen halten, wenn man wie die Bundesrepublik Deutschland im multilateralen Rahmen bleiben und handeln will."

Neue Bedrohung aus Asien

Doch auch mit größerem Engagement könnten die USA das Interesse an Konflikten innerhalb und an den Grenzen Europas verlieren. Denn westlich des amerikanischen Kontinents wird ein neuer Akteur auf der internationalen Bühne immer stärker.

Chinas Militärausgaben sind nach Schätzungen des Friedensforschungsinstituts SIPRI in den letzten 20 Jahren stark angestiegen und liegen mit 252 Milliarden US-Dollar 2020 weltweit auf Rang zwei der Militärausgaben – zwar noch weit hinter den USA aber bereits deutlich vor Russland, Indien, Frankreich oder Deutschland. Und die Atommacht könnte in den nächsten Jahren noch zulegen. Der Anteil der Militärausgaben gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt nur bei 1,7 Prozent.

"China teilt unsere Werte nicht"

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg warnte deshalb vor wenigen Tagen vor einem stärkeren und selbstbewussteren China. "China teilt unsere Werte nicht", sagte der Norweger. Kritiker sehen darin einer Überschreitung der Kompetenzen der Nato als nordatlantisches Verteidigungsbündnis. "Die Nato sollte im Wesentlichen ein Verteidigungsbündnis bleiben, aber sie kann sich auch nicht vor diesen globalen Debatten wegducken", stimmt Politikwissenschaftler Varwick der Aussage Stoltenbergs zu.

China setzt seine Nachbarstaaten zunehmend unter Druck. Mit Indien, das ebenfalls über Atomwaffen verfügt, gibt es Auseinandersetzungen im Himalaja. Malaysia hat die Verletzung seines Luftraums durch 16 chinesische Kampfjets beklagt und mit Japan streitet sich China um Inseln im Ostchinesischen Meer.

Autokratie oder Demokratie

"Für uns in Europa ist China keine militärische Bedrohung, aber China ist eine Herausforderung in Bezug auf die internationale Ordnung", ist sich Krause sicher. Auch Varwick stimmt zu: "China ist keine militärische Bedrohung für Europa, aber ein systemischer Rivale. Im Umgang mit China wird sich in den nächsten Jahren zeigen, wer gewinnt: Autokratie oder Demokratie."

Für Deutschland bedeutet das, dass die Politik sich auf einem schmalen Grad bewegt. Wirtschaftlich ist die Bundesrepublik auf China angewiesen. Vor allem für die Automobilbranche ist China ein wichtiger Markt. Die Verkäufe in dem Land mit mehr als einer Milliarde Einwohner machen mehr als ein Drittel am Gesamtumsatz aus. Auch die Klimakrise lässt sich ohne die neue Supermacht nicht bezwingen. Im internationalen Vergleich hat die Volksrepublik den höchsten CO2-Ausstoß. Was aber wiederum in Teilen auch an uns Europäern liegt. Mehr dazu lesen Sie hier.

"Militärisch stark, aber politisch schwach"

Auf der anderen Seite habe sich Deutschland lange Zeit blauäugig verhalten, so Krause. Doch das ändere sich nun. Deutschland und die Nato würden sicherlich kein Militär in das Südchinesische Meer entsenden, so Varwick, aber den Kontakt zu Staaten suchen, die die westlichen Werte teilen: Japan, Australien oder die Philippinen.

Doch um der neuen Herausforderung Chinas gewachsen zu sein, muss sich die Nato verändern. "Die Nato ist militärisch stark, aber politisch schwach und um zukunftsfähig zu sein, müssen wir eine politischere Nato haben", analysiert Varwick, ist sich aber sicher: "Über die Nato sind schon oft die Totenglocken geläutet worden, aber das ist auch dieses Mal falsch."

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