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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Nach dem Wikileaks-Urteil in London Drohen Julian Assange jetzt nicht mehr 175 Jahre Haft?
Julian Assange darf nicht an die USA ausgeliefert werden. Was nach einem Triumph für den Wikileaks-Gründer klingt, ist allerdings nicht viel mehr als ein Etappensieg.
Ein britisches Gericht hat entschieden, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert werden darf. Als Grund führt die Richterin mutmaßlich "brutale" Haftbedingungen an, die seinen psychischen Gesundheitszustand verschlechtern könnten. Doch das Urteil ist nicht rechtskräftig und kann angefochten werden.
Die Antworten auf die vier wichtigsten Fragen zum Verfahren.
Was wird Assange in den USA vorgeworfen?
Julian Assange müsste sich bei einer Auslieferung an die USA vor Gericht wegen seiner mutmaßlichen Beihilfe zum Hacking-Angriff auf die US-Regierung verantworten. Er soll Whistleblowerin Chelsea Manning geholfen haben, ein Passwort zu knacken, mit dem sie an Geheimmaterial über die Militäreinsätze in Afghanistan und Irak kam, das auch die vorsätzliche Tötung von Zivilisten enthüllte. Wegen dieses Anklagepunkts würde ihm nur eine Haftstrafe von bis zu fünf Jahren drohen.
Allerdings gibt es 17 weitere Anklagepunkte. Die Vorwürfe begründen sich auf eine angebliche Spionagetätigkeit und beziehen sich auf die Veröffentlichung des geheimen Materials, durch die das Leben von geheimen Informanten und die nationale Sicherheit der USA gefährdet worden sein könnten. Insgesamt könnten Assange bis zu 175 Jahre Haft drohen. Allerdings sind viele Vorwürfe umstritten.
Warum gibt es Kritik an der Anklage in den USA?
Journalistenverbände sehen im Fall Assange eine Bedrohung für die Pressefreiheit, da einige der Anklagepunkte auch die Arbeit von investigativ arbeitenden Journalisten kriminalisieren könnten. Unter US-Präsident Barack Obama hatte die Regierung in einer Prüfung keinen rechtlichen Unterschied zur Arbeit von klassischen Medien feststellen können.
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Menschenrechtler, Politiker und Organisationen wie "Reporter ohne Grenzen" warnen außerdem, Assange werde in den USA kein faires Verfahren bekommen. Es gibt allerdings auch in Journalistenkreisen Stimmen, die daran erinnern, dass sich Journalisten nicht strafbar machen dürfen – beispielsweise indem sie sich aktiv am Diebstahl geheimen Materials beteiligen. Medien wie die "New York Times" hatten in ihren Veröffentlichungen des Materials auch Namen geschwärzt, um das Leben von Informanten zu schützen, anders als Wikileaks.
Was hat das Gericht in London entschieden?
Das Gericht hat vorrangig nicht die Vorwürfe selbst geprüft, sondern die Rechtmäßigkeit einer Auslieferung gemäß des Auslieferungsvertrags zwischen Großbritannien und den USA. Die Richterin begründete ihre Entscheidung, dass Assange nicht ausgeliefert werden dürfe, mit seinem psychischen Gesundheitszustand und den Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Es sei damit zu rechnen, dass er in Isolationshaft Suizid begehen werde. Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, hatte bereits die Bedingungen der Isolationshaft in Großbritannien als Folter kritisiert.
Allerdings machte die Richterin deutlich, dass der Fall nicht politisch motiviert sei. Assanges Verhalten sei über das normale Verhalten eines investigativen Journalisten hinausgegangen. Er sei sich der Gefahr für Informanten bewusst gewesen, als er deren Namen in den veröffentlichten Dokumenten nicht schwärzte. "Das Recht auf freie Meinungsäußerung bietet Menschen wie Herrn Assange keinen uneingeschränkten Ermessensspielraum, um über das Schicksal anderer zu entscheiden", sagte die Richterin.
Wird Assange also auf keinen Fall ausgeliefert?
Mit dem jüngsten Urteil gegen eine Auslieferung dürfte sich die endgültige Entscheidung über Assanges Schicksal weiter hinziehen, da Revision möglich ist und der Fall letztlich bis vor den Obersten Gerichtshof in Großbritannien gehen könnte. Möglich ist auch, dass das Verfahren ein Fall für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wird.
Über Assanges Freilassung gegen Kaution wird an diesem Mittwoch in London entschieden. Ob sein Gesundheitszustand allerdings ein ausreichendes Argument dafür ist, wird sich zeigen. Assange hatte sich einem schwedischen Auslieferungsverfahren wegen Vergewaltigungsvorwürfen jahrelang durch seine Flucht in die ecuadorianische Botschaft entzogen.
- mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP, Reuters
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