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Der Fall Skripal: Aus dem Bilderbuch der Sowjet-Propaganda


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Der Fall Skripal
Aus dem Bilderbuch der Sowjet-Propaganda

  • Jonas Mueller-Töwe
MeinungEin Kommentar von Jonas Mueller-Töwe

04.04.2018Lesedauer: 4 Min.
Ein sowjetisches Propaganda-Plakat: Die russische Außenpolitik folgt im Fall Skripal klassischen KGB-Taktiken.Vergrößern des Bildes
Ein sowjetisches Propaganda-Plakat: Die russische Außenpolitik folgt im Fall Skripal klassischen KGB-Taktiken. (Quelle: imago-images-bilder)
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Russland reagiert auf die Giftanschlag-Vorwürfe mit Desinformation und Propaganda. Das folgt alten Linien strategischer Außenpolitik – sie stammen aus Zeiten des sowjetischen KGB.

"Das Ziel der Maßnahmen ist die Erzeugung einer für uns günstigen Meinung im Ausland darüber, dass diese Erkrankung ein Resultat außer Kontrolle geratener geheimer Experimente der Geheimdienste der USA und des Pentagon mit neuen Arten biologischer Waffen ist" – aus einem KGB-Dokument, 1983.

Nach dem Giftanschlag auf den russischen Ex-Spion Sergei Skripal im britischen Salisbury geht das vom Westen beschuldigte Russland in die Offensive und erhöht den Einsatz. Eine "groteske Provokation" sei der Anschlag, gab der Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR am Mittwoch vor Journalisten zu Protokoll – das Attentat sei von den britischen und US-amerikanischen Geheimdiensten inszeniert worden.

Die Behauptung steht im offenkundigen Widerspruch zu den Äußerungen des russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem Außenministerium: Russland sei an einer "vollwertigen Aufklärung" interessiert. Russland hoffe, dass bald ein "Schlusstrich unter diese Diskussion gezogen" werde. Russland wolle bei den Ermittlungen konstruktiv mitwirken.

Britische Regierung nennt russisches Angebot "pervers"

Kein Wunder, dass die britische Regierung das Aufklärungs-Angebot des Kremls als "pervers" zurückweist. Denn tatsächlich hat Russland laut Aussagen westlicher Diplomaten bislang keine der offenen Fragen beantwortet. Dafür aber seinerseits Fragen übermittelt und sofort auch öffentlich verbreitet.

Die Schuldzuweisung gegen den Westen reiht sich damit in eine Vielzahl von Komponenten russischer Verschleierungstaktik, die ihre Traditionslinien in Methoden des sowjetischen Geheimdienstes KGB hat. Sogar der heute geläufige Begriff dafür ist eine russische Erfindung: "dezinformatsiya". Bereits im Jahr 1963 gründete der KGB eine Einheit mit diesem Namen. Das Ziel: Zweifel streuen, Vertrauen untergraben, Staaten destabilisieren.

Paradebeispiel der Kreml-Desinformation

Der Mordanschlag auf den russischen Ex-Spion kann als Paradebeispiel der Kreml-Desinformation dienen – er scheint aus dem Bilderbuch der Sowjet-Propaganda zu stammen. Zahlreiche sich zum Teil selbst widersprechende Behauptungen werden von staatlichen Stellen verbreitet – und stehen selbst in westlichen Qualitätsmedien scheinbar gleichberechtigt neben einem dichten Netz aus sachdienlichen Indizien, das Russland als Urheber des Giftattentats höchstwahrscheinlich macht. Alltagsverstand wird nebensächlich – Lügen werden Meinungen.

Da war die Behauptung des russischen Senators Igor Morosow, sämtliche Bestände des bei dem Anschlag in Großbritannien verwendeten Nervengifts Nowichok seien von der Sowjetunion vernichtet worden.

Dem widersprach der russische Außenminister Sergei Lawrow, es habe niemals ein Programm zur Entwicklung eines solchen Gifts gegeben. Entgegen der Erklärung dreier beteiligter Forscher.

Dem widersprach wiederum eine Sprecherin des russischen Außenministeriums: Auch Tschechien, die Slowakei, Schweden, Großbritannien oder die USA hätten das "niemals entwickelte" Nervengift produzieren können. Einer der russischen Forscher stützte diese These – das Interview wurde aber nachträglich abgeändert, weil er die Existenz des sowjetischen Nowichok-Programmes ebenfalls bestätigte.

Der vom Kreml finanzierte und gesteuerte TV-Sender "Russia Today" sattelte auf die staatlichen Verlautbarungen auf: In der Nähe des Tatorts liege die britische Biowaffen-Forschungsstation Porton Down. Sei es nicht naheliegend, dass das Gift von dort stamme? Abgerundet wurde das Netz skurriler Behauptungen nun vom russischen Geheimdienstchef Sergei Nariyschkin: Briten und US-Amerikaner seien für den Anschlag verantwortlich.

Russland hat sehr wohl ein Interesse an dem Anschlag

Ein Propaganda-Coup par excellence – denn entgegen der landläufig vorgebrachten Behauptung hat Russland sehr wohl ein Interesse an dem Anschlag. Und es ist nicht nur innenpolitischer Natur. Der Anschlag sendet ein Signal an mögliche Abweichler, dass Verrat nicht vergeben wird, auch Jahre später nicht. Der Anschlag kann innenpolitisch sogar als "anti-russische Kampagne" bezeichnet und zur Konsolidierung des Systems Putin instrumentalisiert werden.

Der Anschlag ist darüber hinaus eine Möglichkeit, außenpolitisch Macht zu demonstrieren – und gleichzeitig die Geschlossenheit der westlichen Allianz zu testen. Rund 25 Staaten haben in Solidarität mit Großbritannien russische Diplomaten des Landes verwiesen. Aber längst nicht alle EU-Staaten haben mitgezogen, auch nicht alle Nato-Verbündeten. Griechenland hat sich quergestellt, Österreich hat gemauert, die Türkei erst recht.

Und auch innerhalb der Staaten ist die Meinung über das Vorgehen geteilt – besonders rechte Parteien wie AfD, Front National und FPÖ sind dem autoritären Russland wohlgesinnt und gehen schon lange Schulter an Schulter mit ihm. Seit Jahren versucht die russische Außenpolitik in Europa an Parteien der politischen Ränder sowohl rechts als auch links der Mitte anzuknüpfen, um Europa dem Einflussbereich transatlantischer Sicherheit zu entziehen: Destablisierung als Programm. Denn auch die Linksparteien Europas sind aus falscher Sowjet-Nostalgie und antrainierten anti-imperialistischen Reflexen noch immer in der Lage, Hegemonialinteressen des russischen Nationalstaats mit Wohlwollen zu betrachten.

Die Wirtschaftsliberalen stören hingegen die den Geschäften wenig förderlichen Sanktionen. Sprich: Die Propaganda fällt in vielen politischen Spektren auf fruchtbaren Boden. Sie ist in diesem Sinne auch nicht ideologisch, sondern pragmatisch und dient als eine von vielen "aktiven Maßnahmen" der aggressiven Durchsetzung russischer Interessen im In- und Ausland.

Die Propaganda kommt auch nicht erst seit dem Anschlag zum Einsatz: Nach dem Mord an dem russischen Menschenrechtsanwalt Boris Nemzow beispielsweise wurden zahlreiche Lügen und Verschwörungstheorien verbreitet. Den völlig offensichtlichen Einmarsch russischer Truppen auf der ukrainischen Krim bestritt Wladimir Putin öffentlich vehement – bis er ihn schließlich Monate später fast beiläufig einräumte.

Und auch Verschwörungstheorien gegen den Westen hat der russische Geheimdienst schon lange im Repertoire. Das eingangs vorgestellte Zitat stammt aus einem KGB-Dokument des Jahres 1983. Es beschreibt die sowjetische Kampagne, die USA für den Ausbruch von Aids verantwortlich zu machen. Die "Operation Infektion" ist heutzutage weitreichend dokumentiert. Im Zuge der Entspannungspolitik Ende der 1980er Jahre wurde die Behauptung sogar von sowjetischen Stellen widerrufen.

Noch heute ist die Verschwörungstheorie in den USA weit verbreitet. Welche Auswirkungen die russische Desinformation im Fall Skripal haben wird, ist noch nicht abzusehen.

Verwendete Quellen
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