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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Baerbock im Fokus Sie reiben sich ungläubig die Augen
Der Zusammenbruch der Ampelregierung und die bevorstehenden Neuwahlen überschatten die deutsche Außenpolitik. Annalena Baerbock wird in Berlin mit den Sorgen der internationalen Partner konfrontiert.
Es war ein Knall, der auch noch eine Woche später nachhallte. Am vergangenen Mittwoch standen viele Bundesbürger mit der Nachricht auf, dass Donald Trump überraschend deutlich zum kommenden US-Präsidenten gewählt wurde. Als sie abends wieder ins Bett gingen, war die Ampelkoalition auseinandergebrochen und Deutschland steht seither vor Neuwahlen.
Ein Schock, auch für Deutschlands internationale Partner. Am Dienstag fand wieder das Berliner Forum Außenpolitik statt, bei dem sich außen- und sicherheitspolitische Kreise seit 2011 regelmäßig über die aktuellen Herausforderungen in Krisenzeiten austauschen. Vor Ort sprachen unter anderem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sowie verschiedene Bundestagspolitiker und Regierungsmitglieder aus Polen, Luxemburg und Pakistan.
Eigentlich sollte es bei der aktuellen Konferenz um die großen Krisen und Herausforderungen dieser Zeit gehen: um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Umgang mit Kreml-Chef Wladimir Putin und seinem chinesischen Amtskollegen Xi Jinping, um eine Eindämmung des Nahostkonflikts.
Doch das alles steht nun im Schatten der Regierungskrise in Deutschland. Während sich die Lage in den Krisenherden dieser Welt immer weiter zuspitzt, zerlegt sich die deutsche Regierung auf offener Bühne selbst und die ehemaligen Ampelparteien verlieren sich in einem Streit um die Deutungshoheit. Das ist nicht nur eine Belastung für die deutsche Bevölkerung, sondern auch Deutschlands internationale Partner reiben sich ungläubig die Augen. Für die deutsche Außenministerin ist das eine doppelte Herausforderung.
"Bedauerlicherweise ist der vergangene Mittwoch passiert"
Das diesjährige Berliner Forum Außenpolitik beginnt mit einer Diskussion, an der auch Baerbock teilnimmt. Eigentlich möchte die Grünen-Politikerin vor allem über Außenpolitik reden, über ihren kürzlich erfolgten Besuch in der Ukraine. Sie lässt auch an diesem Dienstag keinen Zweifel daran, dass sie gerne nach der kommenden Bundestagswahl Außenministerin bleiben würde, in welcher Konstellation auch immer.
Das Wichtigste für die Ukraine sei nun "Hoffnung", erklärt Baerbock auf dem Forum. Man müsse umgehend mehr investieren, die Unterstützung der Ukraine vor dem Hintergrund des bevorstehenden Kriegswinters und der Wahl von Donald Trump zum nächsten US-Präsidenten weiter ausbauen. "Die Fesseln, die wir uns selbst gegeben haben, müssen nun auf den Tisch." Damit meint sie vor allem die Schuldengrenze, bei der sich die FDP und der ehemalige Finanzminister Christian Lindner beharrlich weigern, Ausnahmen zu erlauben. Baerbock setzt indirekt eine Spitze gegen ihren ehemaligen Koalitionspartner.
In der Diskussion erwähnt vor allem Lykke Friis von der Kopenhagener Denkfabrik Europa den Elefanten, der aktuell im Raum steht. "Wir wurden in den vergangenen Wochen alle Experten in deutscher Verfassung", meint die dänische Politikwissenschaftlerin und Politikerin der liberalen Partei Venstre an Baerbock gerichtet. Sie hätten außerdem gelernt, dass es Deutschland an Papier fehle. "Egal, ob sie über Schuldenbremse oder Sondervermögen reden. Wir schauen nach Deutschland."
Das ist unangenehm für die Bundesregierung. Doch es gibt bei der Veranstaltung keine Häme und keinen erhobenen Zeigefinger. Vielmehr herrscht die Sorge, dass Deutschland in den kommenden Monaten politisch ausfallen könnte – und das in einer Zeit, in der Trump wieder ins Weiße Haus einzieht.
Baerbock gibt zu: "Bedauerlicherweise ist der vergangene Mittwoch passiert und jetzt müssen wir uns um Papier kümmern." Sie spielt damit auf den Hinweis der Bundeswahlleiterin an, bei einem zu frühen Wahltermin könnte es Probleme bei der Beschaffung von dafür notwendigem Papier geben.
Aber auch bei Baerbock haben die vergangenen Tage des Koalitionschaos mit zahlreichen Terminen Spuren hinterlassen, die sich an diesem Dienstag in Fehlern niederschlagen.
So behauptet die Außenministerin, dass China nordkoreanische Soldaten nach Russland geschickt habe. Zwar hält Xi Jinping seinem Verbündeten Putin den Rücken frei, und ohne die politische und wirtschaftliche Unterstützung aus China könnte Russland seinen Krieg nur schwer weiterführen. Aber Peking sprach sich stets gegen eine Ausweitung des Konflikts aus und sieht wahrscheinlich auch den Schulterschluss zwischen Putin und dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un kritisch. Nicht zuletzt, weil Russland damit droht, die nordkoreanische Armee zu modernisieren. Und das ist nicht im Sicherheitsinteresse Pekings.
Deswegen löst Baerbocks Aussage am Dienstag auch in diplomatischen Kreisen Ärger aus. Missmut, der aber schon wenige Momente später wieder vergessen zu sein scheint.
Kampf um Deutungshoheit überschattet Veranstaltung
Etwa eine Stunde nach Baerbock betritt FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai die Bühne der Veranstaltung für ein Interview. Er vertritt dabei den ehemaligen Finanzminister Christian Lindner, der sich nach dem Ampel-Ende entschuldigen ließ. Noch vor einer Woche wären sich Baerbock und der FDP-Politiker in den meisten Fragen einig gewesen: etwa bei der Unterstützung der Ukraine, im Umgang mit Trump und dem Nahostkonflikt. Doch seit dem Koalitionsbruch der Ampel dominieren in Berlin die politischen Grabenkämpfe, auch beim Berliner Forum Außenpolitik.
"Warum liefern wir der Ukraine nicht das, was sie wirklich braucht?", fragte der FDP-Generalsekretär Djir-Sarai. Er kritisiert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sich weigert, den deutschen Marschflugkörper Taurus zu liefern. "Weil es ihm nicht um die Ukraine geht, sondern um die Aufweichung der Schuldenbremse." Das seien "Narrative" aus dem Kanzleramt. "Ignorieren Sie diese besser", meint der FDP-Politiker.
Wer hat Schuld am Bruch der Ampelregierung? Der Kampf um die Deutungshoheit zwischen SPD und Grünen auf der einen und FDP auf der anderen Seite überschattet auch diese außenpolitische Veranstaltung.
Dabei ging es Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nie um eine Aufweichung der Schuldenbremse. Mit Blick auf die Lage in der Ukraine und einen möglichen Wegfall der US-Unterstützung nach der Wahl von Donald Trump zum kommenden US-Präsidenten hatten SPD und Grüne angemahnt, eine Notlage auszurufen, was im Rahmen der Schuldenbremse möglich wäre. Scholz und Habeck werfen Lindner gar vor, genau dies seinen Koalitionspartnern Anfang 2024 zugesagt zu haben.
"Das Land braucht eine Richtungsentscheidung"
FDP-Generalsekretär Djir-Sarai trifft an diesem Dienstag auf ein Publikum, das weiß, dass die Frage um eine Ausnahme bei der Schuldenfrage und die Lieferung von Taurus einander nicht ausschließen. Zumindest größtenteils.
Im Gegenteil: Vielmehr packte die FDP das Taurus-Thema auf den Tisch, weil sie sich nach dem Koalitionsende nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, der Ukraine nicht ausreichend helfen zu wollen. Djir-Sarai wütet: "Ich lasse mir von diesen Leuten nicht einreden, dass wir die Ukraine nicht unterstützen wollen, weil wir die Schuldenbremse nicht aufweichen."
Es gibt in der Tat Möglichkeiten, die aktuell benötigten Ukrainehilfen aus dem bestehenden Haushalt zu finanzieren. Aber vor dem Hintergrund der Streitigkeiten der ehemaligen Ampelkoalition einerseits und Donald Trumps Wiedereinzug ins Weiße Haus andererseits lief es auf eine Richtungsentscheidung in Deutschland hinaus.
Doch war es der richtige Zeitpunkt, am Tag, an dem Trump gewählt wurde, die Regierung in Deutschland platzen zu lassen? Beim Berliner Forum Außenpolitik kritisieren das viele; auch Djir-Sarai wird mit dieser Frage konfrontiert.
"Es muss schnell geklärt sein, in welche Richtung sich Deutschland entwickelt, deswegen sind wir für schnelle Neuwahlen", erklärt er. "Das Land braucht eine Richtungsentscheidung." Eine Wirtschaftswende sei nötig. Hätte die Ampel noch ein Jahr weitergemacht, wäre es "ein verlorenes Jahr für Deutschland" gewesen. Außenpolitisch indes nicht unbedingt.
Für die FDP geht es ums Überleben
Denn die aktuelle Bundesregierung hätte schon jetzt anfangen können, eine Ebene der Zusammenarbeit mit der kommenden Trump-Administration zu finden und gleichzeitig die Brücken der Kooperation in Europa zu stärken.
Dafür fehlt es ihr nun wahrscheinlich an Kraft, Deutschland steht ein kurzer und intensiver Wahlkampf bevor. Und bis die Bundesrepublik gewählt hat und Koalitionsverhandlungen abgeschlossen sein werden, dauert es. Dementsprechend wird sich die kommende Bundesregierung mit einer Trump-Regierung auseinandersetzen müssen; sie erwartet ein Kaltstart inmitten von Krisen.
Djir-Sarai erwähnt in Berlin nicht, dass es der FDP beim Verlassen der Ampel natürlich auch um das Überleben der eigenen Partei gegangen ist. Sie liegt in Umfragen aktuell bei drei bis vier Prozent, fliegt womöglich bei der kommenden Wahl aus dem Bundestag. Lindner hat die Notbremse gezogen und sah offenbar die Notwendigkeit, seiner Partei mehr Profil geben zu müssen.
Daraus resultierte in den vergangenen drei Jahren immer wieder Streit innerhalb der Ampel, was der Partei bei Landtagswahlen und in den Umfragen nicht geholfen hat. "Es ist nett, dass Sie die schlechten Umfragewerte für meine Partei auch noch vor internationalem Publikum ansprechen", scherzt Djir-Sarai. "Aber die Umfragen werden sich noch verändern", gibt er sich zuversichtlich.
- Teilnahme am Berliner Forum Außenpolitik 2024