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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Bidens UN-Rede War's das mit den USA?
In seiner letzten Rede vor den Vereinten Nationen in New York beschwört Joe Biden den Wert der internationalen Zusammenarbeit. Die Welt kann derweil ahnen, was nach ihm kommen könnte.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
Als Joe Biden seine Worte zum letzten Mal in seinem Leben als US-Präsident an die Welt richtet, verbindet er seinen eigenen politischen Abgang mit einer Mahnung. Sie gilt besonders den Autokraten und Diktatoren dieser Welt. "Vergessen wir nie, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind, als an der Macht zu bleiben", sagt Biden. Es seien die Menschen, die am wichtigsten seien. "Vergessen Sie nie, dass wir hier sind, um den Menschen zu dienen, und nicht umgekehrt." Er selbst habe seine Entscheidung getroffen, weil er seine Arbeit im Amt zwar liebe, aber sein Land liebe er noch mehr.
Bei seiner vierten und letzten Rede bei der Generaldebatte vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen ging es dem scheidenden US-Präsidenten aber um mehr als sein eigenes politisches Vermächtnis. Joe Biden versuchte in seinen rund 20 Minuten deutlich zu machen, was seine Politik in den vergangenen Jahren angetrieben hat. Ohne Donald Trump zu erwähnen, seinen Vorgänger im Amt und möglichen Nachfolger, wurde dabei deutlich: Dies könnte für lange Zeit die letzte vereinigende Rede eines US-Präsidenten an die Welt gewesen sein.
Joe Biden tritt ab zu einer Zeit, in der die Widerstandsfähigkeit der Weltgemeinschaft auf nie dagewesene Weise auf die Probe gestellt wird. Der US-Präsident zeichnete ein klares Bild der globalen Herausforderungen durch Kriege, den Klimawandel und in besonderer Weise durch große technologische Umbrüche, wie etwa die Künstliche Intelligenz. Er forderte die Staats- und Regierungschefs darum auf, nicht in Verzweiflung zu verfallen. "Ich weiß, dass viele auf die heutige Welt blicken, diese Schwierigkeiten sehen und mit Hoffnungslosigkeit reagieren. Aber das tue ich nicht, und ich werde das auch künftig nicht tun. Als Politiker können wir uns diesen Luxus nicht leisten", appellierte Biden.
Wie oft in den vergangenen Monaten betonte der Präsident, was in der Welt unter einer Führungsmacht USA gelingen könne, wenn diese von einem Präsidenten wie ihm regiert werde. Deutlich machte er das am Beispiel der Verteidigung der Ukraine, Bidens außen- und sicherheitspolitisch wohl größtes historisches Vermächtnis: "Die gute Nachricht ist, dass Putins Krieg auf ganzer Linie gescheitert ist." Dieser habe vorgehabt, die Ukraine zu zerstören. "Aber die Ukraine ist immer noch frei", so Biden. Dafür erntete er starken Applaus.
Dann aber stieß er eine Warnung aus, die auch in Richtung seines größten politischen Gegners Donald Trump gerichtet war. "Wir dürfen nicht müde werden. Wir dürfen nicht wegschauen und wir werden unsere Unterstützung für die Ukraine nicht aufgeben", sagte Biden.
Als Kontrast zu dieser Aussage genügt ein Blick auf eine Rede, die Donald Trump am Vorabend beim Economic Club of New York gehalten hatte. Dort deutete der aussichtsreiche Präsidentschaftskandidat der Republikaner an, dass er womöglich die Sanktionen gegen Russland aufgeben könnte. "Wenn wir den Dollar als Weltwährung verlieren, wäre das, als würden wir einen Krieg verlieren", sagte Trump. Deshalb verhänge er Sanktionen sehr energisch gegen Länder, die sie verdienen, und dann nehme er sie wieder zurück. Länder wie Russland, China oder den Iran dürfe man aber nicht verlieren. "Deshalb möchte ich so wenig Sanktionen wie möglich verhängen", so Trump.
Nagelprobe Naher Osten
Vor den UN ging Joe Biden angesichts der globalen Herausforderungen durch den Klimawandel oder durch Pandemien wie zuletzt bei Covid-19 insbesondere auf den eskalierenden Krieg im Nahen Osten ein. Und hier wirkte der US-Präsident einmal mehr so machtlos wie im ganzen vergangenen Jahr. "Ein allumfassender Krieg liegt in niemandes Interesse. Selbst in dieser eskalierten Situation ist eine diplomatische Lösung immer noch möglich. Tatsächlich bleibt sie der einzige Weg zu dauerhafter Sicherheit", sagte Biden.
In Anbetracht der jüngsten Eskalation nicht nur im südlichen Gazastreifen, sondern auch im nördlich von Israel gelegenen Libanon bleibt das ein bloßer Appell des Präsidenten. Ob er gehört wird, entscheidet nicht nur über die Situation im Nahen Osten, sondern womöglich auch über die US-Wahlen im November. Denn vorwiegend bei Teilen der Demokraten wächst der Unmut seit Monaten, dass es Joe Biden und Kamala Harris nicht gelingt, ihren Einfluss auf die israelische Regierung konsequenter zur Geltung zu bringen.
Biden forderte erneut eine Zweistaatenlösung für Israel und die palästinensischen Gebiete. Bis eine solche auch nur annähernd in greifbare Nähe rückt, wird der US-Präsident wohl längst nicht mehr im Amt sein. Biden schloss seine Rede damit, dass es nun an einer neuen Generation sei, diese Verantwortung zu übernehmen – ein Hinweis auf seine Nachfolgerin als Präsidentschaftskandidatin, die US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Gemeinsam mit ihr wird er in dieser Woche noch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Weißen Haus empfangen.
Was wird der Frieden unter Trump kosten?
Biden und Harris wollen damit Kontinuität signalisieren und eine Wachablösung vorbereiten. Doch bevor es dazu kommen kann, muss die Demokratin ihren Wahlkampf gegen Donald Trump erfolgreich zu Ende bringen. Trotz ihrer bemerkenswerten Aufholjagd in den vergangenen Wochen bleibt das Rennen um Bidens Nachfolge im Oval Office denkbar knapp. Es ist möglich, dass bei der nächsten UN-Generaldebatte nicht die erste US-Präsidentin in der Geschichte sprechen wird, sondern ein alter Bekannter, der gleich gegenüber; auf der anderen Straßenseite der First Avenue in New York, eines seiner vielen Hotels besitzt.
Donald Trump betont in seinen Wahlkampfreden immer, dass er als erneuter Präsident Frieden schaffen würde – den Angriffskrieg Russlands könne er sogar innerhalb von 24 Stunden beenden. Zuletzt behauptete Trump sogar, der Krieg in der Ukraine sei die Schuld der USA. Die Welt kann also am Tag dieser letzten UN-Rede Joe Bidens ahnen, dass solche Versprechen von Donald Trump einen Preis haben dürften. Die Ukraine etwa müsste wohl auf viele Gebiete verzichten. Es wäre eine Abkehr von der UN-Charta, die Angriffskriege und daraus folgende Gebietsabtretungen strikt ablehnt.
Was eine Trump-Präsidentschaft international bedeuten kann, wurde schon in seiner ersten Amtszeit offensichtlich. Vom Multilateralismus hält er nicht viel. Weil sich die Mitgliedschaft angeblich "nicht lohne", ließ Trump die USA damals sogar aus der Weltgesundheitsorganisation austreten. Als tragische Wendung schlitterte die ganze Welt ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt in die Corona-Pandemie.
Joe Biden warnte in New York davor, seinen Ansatz in Bezug auf eine globale Zusammenarbeit durch einen transaktionalen Ansatz der Interessen einzelner, mächtiger Länder zu ersetzen, wie ihn Trump verfolgt. "Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns an einem weiteren Wendepunkt der Weltgeschichte befinden", sagte Biden. Die größte Aufgabe und Prüfung bestehe darin, sicherzustellen, dass die Kräfte, welche die Weltgemeinschaft zusammenhalten, stärker sind als jene, die sie auseinandertreiben wollten.