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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wann stoppt China Russlands Krieg? "Xi hat sich über Putin geärgert"
Xi Jinping lässt die Muskeln spielen. China schickt nicht nur erneut Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in Richtung Taiwan, sondern der chinesische Präsident weist auch Wladimir Putin in die Schranken. Ein Überblick.
Es ist ein beängstigendes Schauspiel: Am Donnerstag und Freitag umzingeln chinesische Einheiten die Inselrepublik Taiwan. Kriegsschiffe steuern auf die Insel zu, 35 Kampfflugzeuge sollen in den taiwanesischen Luftraum eingedrungen sein. Der chinesische Präsident Xi Jinping hält an seinem Ziel fest, Taiwan mit dem Festland wiederzuvereinigen – notfalls möchte China dabei auch Gewalt einsetzen. Bei dem Militärmanöver wollte das chinesische Militär dagegen trainieren, wie die Insel von Versorgungswegen abgeschnitten werden kann. Eine deutliche Drohgebärde.
Das Militärmanöver fällt in eine Zeit, in der China außenpolitisch sehr aktiv ist. Xi reiste nach Europa, empfing kurz darauf Kreml-Chef Wladimir Putin in Peking. Dabei wurde deutlich, dass die chinesische Führung bereit ist, auch Russland zu zeigen, wer aktuell am längeren Hebel sitzt.
Im Gespräch mit t-online erklärt China-Experte Klaus Mühlhahn, was die Drohgebärde Richtung Taiwan bedeutet und wann Peking bereit wäre, den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu stoppen.
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t-online: Herr Mühlhahn, das chinesische Militär hat am Donnerstag und Freitag ein großes Manöver im Seegebiet um Taiwan durchgeführt. Waren das militärische Muskelspiele oder bereitet China eine Invasion vor?
Klaus Mühlhahn: China hat in der Vergangenheit schon vergleichbare Manöver durchgeführt. Schon früher haben sie Raketen direkt über Taiwan geschossen und oft waren diese Aktionen eine Reaktion auf etwas, was die chinesische Führung verärgert hat. Dieses Manöver ist zwar keine neue Eskalationsstufe, aber wir sollten es nicht auf die leichte Schulter nehmen. China überschreitet immer mehr Linien.
Was könnte diesmal der Auslöser für dieses Manöver gewesen sein?
Wir wissen es nicht. Diese Militärübung fiel auf die Amtseinführung des neuen taiwanesischen Präsidenten Lai Ching-te, und das ist kein Zufall. Vielleicht hat der chinesischen Führung die Rede von Lai Ching-te bei seiner Amtseinführung nicht gefallen oder sie lehnt ihn allgemein ab.
Klaus Mühlhahn
1963 in Konstanz geboren, studierte er in Berlin Sinologie und wurde dort promoviert. Es folgten Forschungsstationen in Berlin und im US-amerikanischen Berkeley. 2004 wurde Mühlhahn als Professor an die Universität Turku in Finnland berufen. Seit 2020 ist er Präsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen.
Bei diesem Militärmanöver hat China die Belagerung von Taiwan trainiert, auch mit Blick auf ein mögliches Einschreiten der USA. Diese Übungen wirken mittlerweile erschreckend konkret.
In der Tat. China lässt nicht einfach ein paar Raketen über Taiwan fliegen, sondern sie zeigen, dass sie konkrete Pläne haben. Sie haben die Isolierung der Insel und das Abschneiden Taiwans von seiner Logistik trainiert. Das alles ist sehr beunruhigend.
In den vergangenen zwei Jahren haben wir erlebt, wie sich der russische Präsident Wladimir Putin mit seiner Invasion in der Ukraine komplett verschätzte. Hat sein chinesischer Amtskollege Xi Jinping daraus gelernt?
Mit Sicherheit. Xi wird es nicht machen wie Putin, der die Widerstandsbereitschaft der Ukraine komplett unterschätzt hat. China wird nur dann Krieg führen, wenn es sicher ist, diesen Krieg zu gewinnen.
Putin war wahrscheinlich auch sicher, schnell zu gewinnen. Er hat sich aber geirrt.
China ist da bedeutend vorsichtiger. Die Frage in Bezug auf Taiwan ist außerdem, wie groß der taiwanesische Verteidigungswille wäre. Immerhin ist die taiwanesische Gesellschaft gespalten und ein Großteil der Opposition lehnt eine kriegerische Auseinandersetzung mit China ab. Es ist also nicht wie in der Ukraine.
Würde Xi Jinping denn tatsächlich einen Krieg mit den USA riskieren, um diese Insel zu erobern?
Das möchte er natürlich verhindern. Deswegen schaut China genau auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und sieht dabei auch, wo die westlichen Grenzen sind. Die Ukraine wird mit Waffen unterstützt, aber nicht mit westlichen Truppen. Peking glaubt wahrscheinlich, dass dies mit Blick auf Taiwan ähnlich laufen würde. Die Amerikaner legen sich nicht fest, ob sie einschreiten würden, sie halten sich das offen.
Trotzdem könnten sie einschreiten und die Folge wäre ein Krieg zwischen zwei Atommächten. Warum ist Taiwan für China so wichtig?
Die Wiedervereinigung mit Taiwan ist ein lang gehegtes Ziel chinesischer Nationalisten. Seitdem die Insel 1895 an Japan abgetreten wurde, ist das ein chinesisches Trauma. Als dann die Japaner nach dem Zweiten Weltkrieg abzogen, gehörte Taiwan vier Jahre zum Festland, ein großer Triumph. Doch dann flohen die Kuomintang (Anm. d. Red.: Chinesische Nationalisten) unter Chiang Kai-shek nach Taiwan und die Insel war wieder politisch vom Festland abgekoppelt. Die Pläne von Xi Jinping sind also vor allem nationalistisch geprägt.
Dieser chinesische Nationalismus ist in Asien an vielen Orten zu beobachten, denn Peking beansprucht immer mehr Gebiete für sich. Xi macht dabei auch vor Russland nicht halt.
Trotzdem waren Xi und Putin in diesen Fragen oft sehr pragmatisch und haben die meisten Gebietsstreitigkeiten im Norden beigelegt und Kompromisse gefunden. Das Problem für Putin liegt momentan woanders.
Wo?
Er hat Russland gegenüber China komplett in eine Position der Schwäche manövriert. Chinesische Unternehmen machen sich etwa in Sibirien breit und Russland ist nicht mehr in der Position, etwas dagegen unternehmen zu können. Putin hat sein Land an China gewissermaßen ausgeliefert.
Was ist denn das chinesische Interesse in Bezug auf Russland?
Xi möchte vor allem seinen Hinterhof kontrollieren. Die Nordgrenze mit Russland und Nordkorea birgt extreme Sicherheitsrisiken für Peking. Deswegen möchte es unbedingt verhindern, dass sich dort fremde Mächte ausbreiten und dass Russland etwa durch eine Kriegsniederlage in der Ukraine kollaboriert. Das wäre der ultimative Albtraum für China. Aktuell hat die Volksrepublik diese Grenze aber durch die massive russische Abhängigkeit gut unter Kontrolle und es könnte für Xi gar nicht besser laufen. Er könnte Putin jederzeit den Hahn zudrehen, ohne Zweifel.
Aber glaubt China wirklich, Putin kontrollieren zu können?
Schwer zu sagen. Diktatoren wie Putin sind Soziopathen, die nie völlig unter Kontrolle zu bekommen sind. China kann ihn abhängig machen, ihn ermahnen, ihm drohen, aber ein Risiko bleibt natürlich immer.
Zum Beispiel hat sich Xi gegen die russischen Atomdrohungen ausgesprochen – das war die einzige rote Linie, die China mit Blick auf die aktuelle Krise gezogen hatte. Während der chinesische Präsident Frankreich besucht, kündigt Putin neue Atommanöver an. Hat Xi das vor dem Westen brüskiert?
Mit Sicherheit wird sich Xi über Putin geärgert haben. Die chinesischen Vertreter sind in derartigen Fragen besonders sensibel und achten stets auf das öffentliche Bild, das von China gezeichnet wird. Russland hat Xi in Frankreich in eine schwierige Situation gebracht und er wird garantiert unzufrieden damit gewesen sein.
Wie wird denn die deutsche China-Politik in Peking wahrgenommen?
Da gibt es deutliche Unterschiede. Aus chinesischer Perspektive war der Besuch von Xi in Frankreich ein Erfolg, weil es trotz aller Unterschiede einen guten Dialog gab und die chinesische Führung schöne Bilder in die Heimat schicken konnte. Auch mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ist China zufrieden, weil dieser mit einer großen Wirtschaftsdelegation nach Peking kam. Aber Deutschland agiert auch sehr unglücklich, es ist keine China-Politik aus einem Guss. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat die chinesische Führung mit ihren Aussagen verärgert. Deswegen, so hört man, soll sie keine Einladung mehr nach China bekommen.
Baerbock hat bei ihrem China-Besuch deutliche Kritik geäußert. Aber das chinesische Außenministerium schlägt oft noch viel schärfere Töne an. Zuletzt hat es Taiwan mit "zerschmetterten Schädeln und Blut" gedroht.
Das ist in der Tat bemerkenswert und eindeutig die Handschrift von Xi Jinping. Das ist sein Politikverständnis und mit diesen Worten will er die Welt warnen. Doch stattdessen setzt er damit andere Staaten in Aufruhr und das ist diplomatisch sehr ungeschickt. Das sehen auch viele Chinesen kritisch, weil sie bemerken, dass sich westliche Unternehmen aus China zurückziehen. Viele wünschen sich durchaus, dass ihr Präsident gemäßigter auftritt und wirtschaftlichem Pragmatismus wieder mehr Priorität gibt. Sie verstehen auch nicht, warum Xi sich öffentlich mit Putin zeigen muss. Das schadet China letztlich.
Xi scheint diese kritischen Stimmen nicht wirklich zu beachten. Erst im Mai empfing er den russischen Präsidenten in Peking. Welches Signal ging von diesem Aufeinandertreffen aus?
Es war Putins erster Auslandsbesuch nach dem Beginn seiner neuen Amtszeit als Präsident und er kam mit einer großen Delegation nach China. Es sah so aus, als wolle der Kreml China seinen Tribut erweisen und öffentlich demonstrierten Xi und Putin ihre Blutsbrüderschaft. Aber letztlich musste die russische Führung fast mit leeren Händen wieder abreisen. Das hat sich Putin sicherlich anders vorgestellt.
Wurden denn konkrete Vereinbarungen getroffen?
Zumindest wurde das nicht bekannt. Es gab nur die allgemeinen Zusicherungen, dass man auch in Zukunft noch enger zusammenarbeiten wird. Momentan bauen Russland und China eine neue Gaspipeline, aber das Projekt stockt. Darüber sollen Putin und Xi nicht einmal geredet haben. Unvorstellbar, vor allem, weil die Rohstoffgeschäfte für Russland eine zentrale Bedeutung haben.
Droht dieses Projekt zu scheitern?
Nein, die Pipeline wird wahrscheinlich kommen. Ich glaube, dass Xi Putin zeigen möchte, wer am längeren Hebel sitzt. Wir wissen außerdem nicht, wie ihr persönliches Verhältnis tatsächlich ist. Das, was vor den Kameras passiert, ist natürlich eine Fassade. Es ist gut vorstellbar, dass Xi sich schwertut, Putin zu steuern. Deswegen ist es für Peking gut, im Notfall einen Hebel – wie etwa eine Gaspipeline – in der Hand zu haben.
Trotzdem könnte Xi diese Treffen mit Putin weniger zelebrieren.
Genau, und das sehen viele Chinesen kritisch. Sie werden mittlerweile in Europa und in Deutschland weniger empfangen, bekommen schwieriger Termine. Deswegen sehen sich chinesische Geschäftsleute teilweise als Kollateralschaden von Xi Jinpings Politik. Sie verstehen den Präsidenten in dieser Frage nicht. Immerhin könnte er Putin auch in einem seiner abgelegenen Paläste am Schwarzen Meer treffen.
Sie haben gesagt, dass Xi am längeren Hebel sitzt. Wie wahrscheinlich ist es, dass China in naher Zukunft einen Schlussstrich unter Putins Krieg in der Ukraine zieht?
Es kommt darauf an, wie geduldig Xi ist und wie lange er diesen Krieg noch tolerieren möchte. Das lässt sich nicht genau sagen. Es ist unwahrscheinlich, dass außenpolitischer Druck Xi dazu bewegen würde, sondern es müsste innenpolitische Diskussionen geben – und dafür gibt es schon Zeichen.
Zum Beispiel?
Das wichtige Dritte Plenum der chinesischen Kommunistischen Partei wurde von November auf Juli verschoben. Bei diesem wichtigen Treffen bereitet das Zentralkomitee traditionell Reformen für die nächsten fünf bis zehn Jahre vor. Es wurde eigentlich in der Vergangenheit nur verschoben, wenn China größere Veränderungen plante – auch in der Außenpolitik. Also denke ich schon, dass es momentan sehr große Unzufriedenheit in China gibt. Xi steht unter Druck.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Mühlhahn.
- Gespräch mit Klaus Mühlhahn