Spekulation über Putins Gesundheit Wer das Land nach ihm führen könnte

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj spekuliert über eine schwere Erkrankung Wladimir Putins. Im Westen stellt sich die Frage, wer ihn beerben könnte.
Russlands Staatschef Wladimir Putin achtet penibel auf seine Gesundheit. Legendär sein Rückzug in die selbst gewählte Isolation während der Corona-Pandemie. Auch die Entscheidung zum Einmarsch in die Ukraine soll in dieser Zeit gefallen sein. Nun ließ der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einem Interview in Paris einen markanten Satz fallen: "Er wird bald sterben. Das ist eine Tatsache. Und dann wird alles vorbei sein."
Moskau ließ die Bemerkung unkommentiert. Doch stellt sich vielen die Frage des Übergangs. Wer könnte in Moskau die Lücke füllen? Aus seinem Machtapparat wurde Putin zuletzt 2023 von Jewgeni Prigoschin herausgefordert, dem Chef der Wagner-Söldnertruppe. Der Aufstand schlug fehl, Prigoschin starb kurz darauf bei einem mysteriösen Flugzeugabsturz. Seither fordert niemand mehr Putin heraus. Schon gar nicht offen. Doch gibt es einige Aspiranten für die Herrschaft.
Der Technokrat und Premier: Michail Mischustin
Michail Mischustin, 59, ist seit fünf Jahren Premierminister Russlands. Viele hatten nach der Präsidentschaftswahl 2024 mit seinem Rückzug gerechnet. Doch Putin ließ den parteilosen Mischustin weiter im Amt. Etwas überraschend. Allgemein war mit seiner Ablösung gerechnet worden. Stete Wechsel vermeiden die Festigung der Macht. Der IT-Spezialist Mischustin gilt als Technokrat und machte als Chef der Steuerbehörde Karriere. Andere erstaunt der für einen Staatsdiener gewaltige Reichtum mit zahlreichen Luxus-Immobilien. Der in Haft ums Leben gekommene Oppositionelle Alexej Nawalny bezichtigte ihn der Korruption.
Wie Putin pflegt der 59-Jährige eine innige Liebe zum Eishockey. Die Forschungsstätte Atlantic Council kommt in einer Studie zu dem Schluss: "Mischustin hat einen entscheidenden Vorteil und zugleich einen entscheidenden Nachteil. Er versucht, nicht mit dem Krieg in der Ukraine in Verbindung gebracht zu werden. Er sucht auch nicht das Rampenlicht und erfüllt genau das, was Putin von einem Premier erwartet." Mischustin wählt die Strategie des Unscheinbaren.
Der Geheimdienst-Sprössling: Dmitri Patruschew
Dmitri Patruschew, 47, amtiert seit 2018 als russischer Agrarminister. Sein Vater Nikolai ist ein enger Vertrauter Putins und folgte diesem einst an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes FSB. Zum Krieg in der Ukraine sagt der Vater: "Der Westen zerstört das ukrainische Volk für seine Ambitionen praktisch und zwingt die aktive Generation, auf dem Schlachtfeld zu sterben und den Rest der Bevölkerung in die Armut zu treiben."
Sein Sohn Dmitri studierte Ökonomie und machte bei einer Bank Karriere. Sein Aufstieg an die Macht ist bereits literarisch beschrieben. In seinem Roman "Der Tag des Opritschniks" schildert Wladimir Sorokin die Rückkehr Russlands zu einem autokratischen Regime. Das Land ist streng vom Westen abgeschottet, es regiert: der Sohn von Nikolai Platonowitsch, eine Anspielung auf Dmitri Patruschew. Ein bisschen zu viel Fiktion. Und zu viel "Der Sohn von ...". Und der Vater gilt als zu alt.
Der Platzhalter: Dmitri Medwedew
Dmitri Medwedew, 59, kennt sich aus in der Prinzenrolle. 2008 löste er Putin im Amt des Präsidenten ab, doch er war nur ein Platzhalter an der Macht. 2012 musste er das Amt wieder räumen und wurde zum Regierungschef relegiert. 2020 wechselte er als stellvertretender Vorsitzender zum Sicherheitsrat der Russischen Föderation. Seither formuliert er stetig schärfer. "Der Hauptgang ist ein Schnitzel nach Kiewer Art. Guten Appetit!", kommentierte er zuletzt die Gespräche zwischen Washington und Moskau zu einer möglichen Waffenruhe ohne die Beteiligung Kiews. Die verbale Radikalisierung könnte ein konkretes Ziel haben: die Nachfolge Putins. Doch räumen ihm Fachleute nur geringe Chancen ein.
Der Klempner der Macht: Sergei Kirijenko
Sergei Kirijenko, 62, ist ein Meister der Macht. Und das seit Jahrzehnten. 1998 beförderte ihn Russlands Präsident Boris Jelzin zum Premierminister. Da war Kirijenko 35 und galt als Reformer. Jetzt spielt er mit Macht und Positionen. Kirijenko war Leiter der Atombehörde, zuletzt organisierte er als stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung Putins Wiederwahl zum Präsidenten. Der Atlantic Council urteilt über ihn: "Während seiner Amtszeit hat Kirijenko bewiesen, dass er Putin gegenüber äußerst loyal ist und ein Technokrat ohne jegliche Überzeugungen oder Werte ist." Als Klempner der Macht wäre er ein möglicher Übergangskandidat.
Der loyale Leibwächter: Alexei Djumin
Alexej Djumin, 52, diente Putin als Leibwächter. Aus dieser Zeit stammt die Geschichte, er habe den schlafenden Putin auf einem Jagdausflug vor einem Bären gerettet. Sein Vater war General. Und auch Djumin jr. machte bei den Sicherheitskräften Karriere. Bis 2024 war er Gouverneur der Oblast Tula. Danach beauftragte ihn Putin mit der Rückeroberung der von ukrainischen Kräften besetzten russischen Region Kursk. "Im Laufe der ersten beiden Amtszeiten war es hauptsächlich die bedingungslose Loyalität gegenüber Putin, die Djumins Aufstieg begünstigte", heißt es in einer Analyse. Sein großer Vorteil ist die Unterstützung durch die Sicherheitskräfte.
Der Bürgermeister: Sergei Sobjanin
Sergei Sobjanin, 66, ist seit zehn Jahren Bürgermeister von Moskau. Er galt als loyaler Gefolgsmann Putins und übernahm nach Ausbruch der Corona-Pandemie die Führung der Krisenverwaltung. Doch zu viel Eigenmächtigkeit wird nicht belohnt in einem autokratischen System. Nur der Krieg in der Ukraine verhinderte seine Abberufung, heißt es. So schafft es Sjobjanin innerhalb des Systems als möglicher Kandidat des moderaten Aufbruchs zu gelten. Doch sind die Gegenkräfte in Putins Umfeld stark. Sobjanin gilt ihnen als "Liberaler".
Und noch herrscht Putin mit unumschränkter Macht. Seine Position hat sich seit Donald Trumps Amtsantritt in Washington entschieden verbessert. Der US-Präsident braucht ihn für einen möglichen Deal. Das wird Putin sich teuer entlohnen lassen. Als Verlierer will er wahrscheinlich nicht in die Geschichte eingehen.
- Eigene Recherche
- atlanticcouncil.com: "All the autocrat’s men: The court politics of Putin’s inner circle."
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP