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Russland: Putin setzt neue Regierung ein – alles auf Kriegswirtschaft


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Neue Regierung im Kreml
Putin löst ein Beben aus


20.05.2024Lesedauer: 7 Min.
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Wladimir Putin spricht bei einer Pressekonferenz: Zu Beginn seiner fünften Amtszeit hat der Kremlchef seine Regierungsmannschaft teils neu aufgestellt. (Quelle: IMAGO/Alexander Ryumin/imago)
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Seit vergangener Woche läuft Putins fünfte Amtszeit als russischer Präsident. Zunächst stand die Regierungsbildung an. Der Kremlchef berief dabei manch überraschende Person in den Zirkel der Macht.

Wladimir Putin überlässt nichts dem Zufall. Der russische Präsident gilt als absoluter Machtmensch, niemand im Regierungsapparat kann sich seiner Kontrolle entziehen. Loyalität, Ergebenheit und Effektivität sind Tugenden, die Putin belohnt. Wer die Voraussetzungen erfüllt, kann auf lange Jahre an der Spitze der Macht hoffen. Wer den Kremlchef aber enttäuscht oder verärgert, den sägt Putin schnell ab.

Mit großer Spannung wird daher stets die Regierungsneubildung nach der Präsidentenwahl in Russland beobachtet. Und Putin hat ein Beben ausgelöst: Mitten in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine tauschte der Kremlchef seinen Verteidigungsminister aus. Sergei Schoigu, der das Amt zwölf Jahre lang innehatte, muss weichen. Sein Nachfolger ist Andrej Beloussow, ein Wirtschaftsexperte und Technokrat ohne enge Bindung zum Militär.

Die Regierung tritt nach der Präsidentenwahl verfassungsgemäß stets geschlossen zurück, der Staatschef reicht dann Vorschläge für ein neues Kabinett ein, die vom Parlament bestätigt werden müssen. So hat sich Putin ein Team zusammengestellt, das aus alten und neuen Gesichtern besteht. Der Kremlchef setzt insgesamt auf Kontinuität. Manche Personalie lässt dennoch aufhorchen: Putin scheint jüngeren Technokraten langsam die Tore zur Macht zu öffnen. Außerdem wird ein Mann auf einen wichtigen Posten befördert, der schon länger als möglicher Nachfolger Putins gehandelt wird. t-online gibt einen Überblick über Putins Umbau des Machtapparats.

Die wichtigsten Änderungen in Putins Zirkel der Macht

Andrej Beloussow – Verteidigungsminister

Die Personalie des neuen Verteidigungsministers hat die meiste Aufregung ausgelöst. Immerhin führt Russland seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen die Ukraine, und Beloussows Vorgänger Sergei Schoigu leitete das Ministerium zwölf Jahre lang. Doch Russland hat in der Ukraine einen schweren Stand – und Putin scheint damit nicht zufrieden zu sein.

Zudem haben zuletzt Korruptionsskandale das Verteidigungsministerium erschüttert: Gleich zwei der Stellvertreter Schoigus werden verdächtigt. Zuerst wurde Timur Iwanow festgenommen, er soll einer der reichsten Politiker Russlands gewesen sein. Mehr zu Iwanow lesen Sie hier. Dann geriet ein weiterer Vizeminister, Ruslan Zalikow, wegen desselben Falls ins Visier der Behörden. Mehr dazu lesen Sie hier.

Von Beloussow, der eigentlich Wirtschaftswissenschaftler ist und bisher als Vizepremierminister die Wirtschaftspolitik überblickt hatte, erhofft sich Putin nun wohl mehr Ordnung in einem seiner wichtigsten Ministerien. Stimmen aus dem Westen, wie etwa des litauischen Präsidenten Gitanas Nauseda, gehen davon aus, dass Putin mit der Entlassung Schoigus vor allem ein Zeichen nach innen senden möchte: "Dies geschieht, um diesen Krieg fortsetzen zu können", sagte Nauseda Anfang der Woche.

Auch der britische Historiker und Putin-Experte Mark Galeotti ist sich sicher: Mit der Übernahme des Verteidigungsministeriums durch einen Ökonomen und der Übernahme einer politischen und beratenden Funktion durch den alten Minister seien die Technokraten auf dem Vormarsch, sagte er im Gespräch mit dem Sender Al Jazeera. "Das Ziel ist jedoch nicht der Frieden, sondern ein effizienterer Krieg." Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte hingegen, Putin wünsche sich mehr wirtschaftliche Expertise und Offenheit für Innovationen des Militärs. Mehr zu Andrej Beloussow lesen Sie hier.

Alexei Djumin – Präsidentenberater

Aufhorchen ließ auch die Ernennung Alexei Djumins zum Präsidentenberater. Djumin soll für Putin die Rüstungsindustrie im Blick behalten. Zuvor war der 51-Jährige Gouverneur des Oblasts Tula, davor hatte er Putin über viele Jahre hinweg als dessen ranghöchster Leibwächter gedient. Schon in den vergangenen Jahren wurde Djumin immer wieder als möglicher Nachfolger Putins ins Spiel gebracht. Dass er nun in den engsten Machtzirkel Putins vorrückt, unterstreicht diese Ambitionen nochmals. Die Stelle als Präsidentenberater sei ein "Talentbecken", sagte der ehemalige Kreml-Insider Sergej Markow der Nachrichtenagentur Reuters. Mehr zu Alexei Djumin lesen Sie hier.

Sergei Schoigu – Sekretär des Sicherheitsrats

Als Verteidigungsminister musste er abtreten, doch Putin lässt ihn weich fallen. Sergei Schoigu wird künftig Sekretär des Sicherheitsrates der Russischen Föderation. Er löst damit einen der engsten Vertrauten Putins, Nikolai Patruschew, auf dem Posten ab. Ob er das Amt mit der gleichen Macht ausfüllen kann wie bisher Patruschew, bleibt abzuwarten. Mehr zur Entlassung Schoigus und ihren Folgen lesen Sie hier.

Der Osteuropa-Experte Stefan Meister hält die Entscheidung für "völlig logisch für Putin", wie er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte. Schoigu sei ein langjähriger Weggefährte Putins und habe stets zu ihm gehalten. Dennoch sei sein Austausch "überfällig" gewesen. "Er ist sehr unbeliebt geworden, weil die Armee so schlecht funktioniert und überhaupt nicht auf einen so großen Krieg vorbereitet war." Dass Putin Schoigu nicht einfach fallen ließ, begründete Meister auch damit, dass der Ex-Minister Dinge über Putin wisse, "die vielleicht nicht an die Öffentlichkeit geraten sollten. Er ist Teil des Systems Putin."

Nikolai Patruschew – Präsidentenberater

Der 72-Jährige wurde von seinem Posten als Sekretär des nationalen Sicherheitsrates abgezogen, um dort Platz für Sergei Schoigu zu machen. Nikolai Patruschew und Putin kennen sich schon seit den 1970er-Jahren und stehen seitdem eng zusammen. In Putins Umfeld gilt Patruschew als Vordenker des russischen Großmachtstrebens und als einer der Ideologen des Angriffskrieges gegen die Ukraine. Patruschew solle künftig für Schiffbau zuständig sein, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Das ist zwar für Russland militärisch wie zivil eine wichtige Branche. Das Aufgabengebiet klingt aber so, als wäre Patruschew nicht mehr an strategischen Entscheidungen beteiligt.

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Die langjährigen Vertrauten

Michail Mischustin – Ministerpräsident

In der Position des zweitmächtigsten Mannes Russlands setzt Putin auf Kontinuität: Michail Mischustin, der seit 2020 an der Regierungsspitze steht, wird den Posten des Ministerpräsidenten behalten. Der 58-Jährige gilt als loyaler und effizienter Technokrat. Sein Amt ist besonders wichtig, denn immerhin würde er an die Spitze des Kremls vorrücken, sollte Wladimir Putin plötzlich sterben, zurücktreten oder in irgendeiner Art nicht mehr in der Lage sein, das Präsidentenamt auszuüben.

Bevor Putin Mischustin Anfang 2020 erstmals an die Regierungsspitze holte, hatte dieser sich als Chef der Steuerverwaltung verdient gemacht. Der Wirtschaftswissenschaftler und Digitalisierungsexperte trimmte die Behörde auf Effizienz und dämmte die Steuerhinterziehung ein. In seiner zehnjährigen Amtszeit verdoppelten sich die Steuereinnahmen. Als Ministerpräsident profilierte sich Mischustin als Organisationstalent während der Corona-Pandemie und bei der Lösung von Logistikproblemen in dem von Russland seit 2022 geführten Krieg gegen die Ukraine. Mischustin steht deswegen wie viele andere Regierungsmitglieder auch auf westlichen Sanktionslisten.

Sergej Lawrow – Außenminister

Ebenfalls auf seinem alten Posten bleibt Sergej Lawrow. Er ist der Minister, der Putin am längsten begleitet: Schon seit 2004 hat er das Amt des Außenministers inne. Dass er nun erneut in die Regierung berufen wird, ist dennoch keine Selbstverständlichkeit. Wie Sergei Schoigu galt Lawrow als Kandidat, der seinen Posten verlieren könnte – nicht aber, weil Putin mit ihm unzufrieden gewesen wäre. Lawrow wird nachgesagt, dass er seines Jobs müde sei.

Dennoch wollte der Kremlchef ihn offenbar nicht einfach ziehen lassen. Osteuropa-Experte Stefan Meister sagte dazu dem RND, dass Putin Lawrow noch immer vertraue. Daher sehe er auch keinen Grund, ihn gehen zu lassen. Das sei "typisch" für Putin und sein autokratisches System: "Ein Minister kann nicht entscheiden, wann er aufhört. Das kann nur Putin entscheiden."

Früher genoss der heute 74-Jährige international hohes Ansehen; Kollegen schätzten seine Erfahrung, sein rhetorisches Talent und – trotz oft harter Haltung – seine diplomatische Professionalität. Doch der brutale russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, den Lawrow immer wieder rechtfertigt, lässt ihn in großen Teilen der Welt mittlerweile isoliert dastehen. Stattdessen soll er wohl auch in den kommenden Jahren die diplomatischen Beziehungen zu moskaufreundlichen Staaten wie China weiter ausbauen – ganz im Sinne einer vom Krieg geprägten russischen Außenpolitik.

Dmitri Peskow – Kremlsprecher

Auch Dmitri Peskow begleitet den russischen Präsidenten schon eine ganze Weile. Als Kremlsprecher ist er seit 2012 das Sprachrohr Putins. Peskow entstammt einer Diplomatenfamilie und war selbst mehrere Jahre für die russische Botschaft in der Türkei tätig. Schon 2004 ernannte Putin ihn zum stellvertretenden Pressesekretär.

Peskows Haupttätigkeit liegt in Krisenzeiten und bei den heiklen Themen der russischen Politik. Ihm eilt deshalb der Ruf des "Pressesekretärs der schlechten Nachrichten" voraus. Schon mehrfach kam es vor, dass er Vorwürfe gegen den Kreml dementierte, die dann – manchmal Jahre später – doch auf die russische Regierung zurückfielen, so etwa bei der Ermordung des Ex-FSB-Offiziers Alexander Litwinenko im Jahr 2006. Peskow geriet auch ins Visier des Teams um den verstorbenen Kremlkritiker Alexej Nawalny, das ihm Korruption vorwirft.

Obwohl Peskow den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verteidigt und sich stets patriotisch gibt, lebten seine Kinder teils im Westen in Saus und Braus. Zu Beginn des Krieges erklärte etwa sein Sohn Nikolai, dass er nicht kämpfen wolle. Das Nawalny-Team hatte ihn mit einem Fake Anruf enttarnt, in dem sie sich als Militärkommissare ausgaben. Nikolai Peskow solle sich zur Musterung einfinden, sagten sie ihm. "Wenn Sie wissen, dass ich Herr Peskow bin, dann müssen Sie auch verstehen, wie sehr das falsch ist, dass ich dort sein werde. Ich werde es auf einer anderen Ebene lösen", antwortete der Sohn des Kremlsprechers damals.

Waleri Gerassimow – Chef des Generalstabs der Armee

Angesichts der Absetzung des bisherigen Verteidigungsministers Schoigu ist sein Verbleib im Amt überraschend: Waleri Gerassimow leitet weiterhin den Generalstab der russischen Armee. Seit Januar 2023 ist er zudem Oberbefehlshaber der russischen Truppen in der Ukraine. Seitdem sind die Truppen des Kremls in der Ukraine aus russischer Perspektive recht erfolgreich. Zumindest setzen sie die Ukraine fortwährend unter Druck und rücken mancherorts langsam, aber stetig vor. Putin scheint damit zunächst zufrieden zu sein.

Zu der Personalie erklärte Kremlsprecher Peskow: "Die militärische Komponente war schon immer das Vorrecht des Generalstabschefs, er wird seine Tätigkeit fortsetzen", zitiert ihn die Nachrichtenagentur Interfax. Beobachter gehen deshalb davon aus, dass Putin im Verteidigungsministerium auf eine Art Doppelspitze setzt: Andrej Beloussow soll gewährleisten, dass das Militär hat, was es für seinen Krieg braucht. Gerassimow soll sich derweil darum kümmern, dass sich die militärische Lage in der Ukraine weiter zugunsten Russlands entwickelt.

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