Wahlsieger Imamoğlu Er wird Erdoğan gefährlich
Die Opposition siegt erneut in Istanbul und bereitet damit auch Präsident Erdoğan eine bittere Niederlage. Ekrem Imamoğlu hingegen stärkt seine Position als Führungsfigur.
Es ist ein herber Rückschlag für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Eigentlich hatte er die Millionenmetropole Istanbul in den Kommunalwahlen zurückgewinnen wollen, schickte dafür seinen früheren Umweltminister als künftigen Bürgermeister ins Rennen. Doch der unterlag. Mehr zu der Wahl in der Türkei lesen Sie hier.
Stattdessen triumphierte Amtsinhaber Ekrem Imamoğlu, den viele Beobachter schon als einen möglichen künftigen Staatspräsidenten handeln. Doch wer ist der Mann, der 2019 überraschend zum Istanbuler Bürgermeister gewählt wurde und diesen Posten nun verteidigen konnte?
"Er aß Köfte in meinem Restaurant"
Von Istanbul in die Welt, diese Losung galt bereits für Erdoğan. Denn auch der Präsident begann in der Metropole seine politische Karriere, war in den Neunzigerjahren Bürgermeister der Stadt. Imamoğlu stammt aus der Schwarzmeerregion Trabzon, mehr als 1.000 Kilometer von Istanbul entfernt, ist verheiratet und Vater dreier Kinder. Als junger Mann kam der heute 53-Jährige an den Bosporus, studierte Betriebswirtschaftslehre, führte ein Köfte-Restaurant, und stieg in die Baufirma seiner Familie ein.
In einem Fernsehinterview berichtete er, dass Erdoğan als damaliger Bürgermeister in sein Köfte-Restaurant kam. "Er aß Köfte in meinem Restaurant. Ich habe sein Geld nicht angenommen", sagte er und fügte hinzu: "Er wird diese Rechnung nicht bezahlen, solange er lebt."
Seit Erdoğans Zeit als Bürgermeister war Istanbul bis auf einige Jahre in der Hand von Erdoğans islamisch-konservativer Partei AKP geblieben. Mit der Wahl Imamoğlus allerdings ging die Stadt an die Mitte-links-Partei CHP.
Probleme mit türkischer Justiz
Die AKP ließ die Wahl damals annullieren. In der zweiten Runde gewann Imamoğlu mit noch größerem Abstand – der Erfolg galt bislang als schwerster Rückschlag in Erdoğans politischer Karriere. Das lag auch daran, dass Imamoğlu nicht nur Anklang im klassischen CHP-Milieu findet, sondern auch konservativere Türken anspricht.
Dabei hat Imamoğlu Probleme mit der türkischen Justiz. Nach seinem ersten Wahlsieg wurde er wegen Beleidigung von Amtsträgern zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt, außerdem verhängte das Gericht ein Politikverbot. Imamoğlu legte Berufung ein, die Entscheidung steht noch aus. 2023 wurde ein weiteres Verfahren gegen ihn eröffnet, wegen angeblicher Wahlmanipulation.
Längst sind Vorwürfe laut geworden, Erdoğan und die AKP wollen so Imamoğlu ausbremsen. Die AKP streitet das zwar ab. Allerdings wäre es nicht das erste Mal, dass Erdoğan die Justiz nutzt, um unliebsame Gegner loszuwerden. Die juristischen Probleme Imamoğlus könnten also auch ein Ausdruck dafür sein, für wie gefährlich Erdoğan Imamoğlu hält.
Imamoğlu: "Demokratie wieder aufleben"
Dementsprechend aufgeheizt war nun auch die Wahl. "Dies ist mehr als eine Bürgermeisterwahl", sagte Imamoğlu während des Wahlkampfs. Es gehe darum, eine neue Mentalität zu prägen. Wenn diese in die Geschichte eingehe, "wird die Demokratie wieder aufleben, und Recht und Gerechtigkeit werden sich erholen".
Aus diesen Worten wird deutlich, um wie viel mehr als nur die Bürgermeisterschaft es Imamoğlu geht. Denn Erdoğan höhlt seit Jahren die türkische Demokratie aus, untergräbt Pressefreiheit und Bürgerrechte. Auch die Wahlen, ob nun die aktuellen Kommunalwahlen oder die vergangene Präsidentschaftswahl, galten nicht als fair. Denn ein Großteil der Medien in der Türkei steht unter direkter oder indirekter Kontrolle der Regierung. Imamoğlu beschrieb seine Mission im vergangenen August so: "Ich mache mich auf, um Istanbul erneut gegen Ungerechtigkeit und Umweltzerstörung zu verteidigen."
Imamoğlu als nächster Präsident gehandelt
Umso erstaunlicher erscheint nun sein Wahlsieg. 2019 war Imamoğlu noch für ein breites Oppositionsbündnis angetreten, das allerdings im vergangenen Jahr zerbrach. Dieses Mal sei die Unterstützung von "einer starken Allianz des Gewissens, gegründet von Millionen, die nach Demokratie und Gerechtigkeit dürsten", gekommen, sagte Imamoğlu laut der US-Nachrichtenagentur Reuters.
Bereits vor der Wahl sagten Analysten, dass Imamoğlu gute Chancen habe, in der Zukunft Präsident der Türkei zu werden. Wie Reuters berichtet, galten 25 Prozent Zustimmung türkeiweit für die CHP lange als die gläserne Decke. Imamoğlu aber, sind sich viele Analysten sicher, kann das übertreffen. Sein jüngster Erfolg dürfte diese Chancen noch einmal erhöhen. Bis zur nächsten Präsidentschaftswahl, die nach Plan 2028 stattfindet, aber muss Imamoğlu noch einige Hürden nehmen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- reuters.com: "Who is Ekrem Imamoglu, the Turkish mayor who could challenge Erdogan?" (englisch)
- Eigene Recherche