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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Verschleppung in den Gazastreifen Diese Deutschen halten die Hamas-Terroristen gefangen
Die Terrororganisation Hamas hält mehrere Deutsche in ihrer Gefangenschaft. Ihre Angehörigen appellieren verzweifelt an die Öffentlichkeit.
Sie fielen über die Grenze nach Israel ein und töteten und verschleppten Hunderte Zivilistinnen und Zivilisten: Die Terrororganisation Hamas hat am Samstag einen Großangriff auf Israel gestartet. Nach Angaben der israelischen Armee entführten die Terroristen dabei etwa 150 Menschen in den Gazastreifen, darunter auch Deutsche. Doch was wissen wir über die Geiseln, die in den Fängen der Hamas sind?
Nach bisherigen Erkenntnissen sollen mindestens fünf Deutsche durch die Terrororganisation entführt worden sein, heißt es nach Informationen von t-online aus Kreisen des deutschen Parlaments. Zuvor hatte das ZDF darüber berichtet. Demnach wurde mindestens eine Deutsche durch die Terroristen getötet.
Nähere Informationen zu den einzelnen Personen werden vom Auswärtigen Amt streng geheim gehalten. Die Behörde verfolgt damit eine ähnliche Strategie, wie bei anderen deutschen Staatsbürgern in ausländischer Gefangenschaft, etwa in den Foltergefängnissen des islamischen Regimes im Iran. Begründet wird dies mit dem Schutz der Betroffenen.
Shani Louk – entführt vom Festival
Einige der Angehörigen der entführten Deutschen haben sich dennoch an die Öffentlichkeit gewandt, darunter die Mutter der entführten Shani Louk. Die 22-Jährige war am Samstag auf dem "Tribe of Nova"-Festival im Süden Israels, als die Hamas-Terroristen ihren Angriff auf Israel starteten. Noch am selben Tag wurde ein Video veröffentlicht, das Louk mit dem Gesicht am Boden und verdrehten Gliedmaßen zwischen mehreren Terroristen auf einem Pick-up zeigt. Die Mutter konnte ihre Tochter anhand von Tattoos identifizieren.
Zunächst war unklar, ob Shani Louk noch am Leben war und an welchen Ort sie verschleppt worden war. Am Dienstag meldete sich jedoch ihre Mutter per Videobotschaft: Ihre Tochter sei am Leben, befinde sich mit schweren Kopfverletzungen in einer Klinik im Gazastreifen. "Wir haben jetzt weitere Informationen, dass Shani am Leben ist", sagte die Mutter der 22-Jährigen. "Jede Minute ist kritisch." Vollständig überprüfen lassen sich die Angaben nicht. Die Familie flehte die Bundesregierung an, "ihre Shani" wieder gesund nach Hause zu holen.
Yarden Romann – ihrer Familie gelang die Flucht
Auch die Familie von Yarden Romann hat sich an die deutsche Öffentlichkeit gewandt. Die Deutsch-Israelin sei während des Angriffs der Terrororganisation Hamas auf das israelische Grenzgebiet gemeinsam mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter von Terroristen entführt worden. Das sagte Amit Avraham, der Partner ihrer Schwester, der Deutschen Presse-Agentur am Dienstag. Sie sei Enkelin aus Deutschland geflohener Juden, die aus dem bayerischen Fürth stammten.
Die 36-jährige Frau habe sich zu Besuch bei ihren Schwiegereltern im Kibbuz Beeri im Grenzgebiet aufgehalten. Kurz vor der Grenze zum Gazastreifen sei es dem Paar gelungen, mit dem Kind aus dem Auto zu springen. Auf der Flucht seien sie getrennt worden. "Der Vater und die Tochter konnten sich 24 Stunden lang im Gebüsch verstecken", erzählte Avraham. Sie seien inzwischen in Sicherheit, von der Mutter fehle jedoch jede Spur.
Sie sei offenbar wieder von den Terroristen aufgegriffen und in den Gazastreifen verschleppt worden. Auch ihre Schwiegermutter und ihre Schwägerin seien entführt worden. "Die Familie Romann bittet um dringende Hilfe bei der Suche nach den Vermissten", hieß es in dem Appell.
Shoshan Haran – ihr Telefon wurde in Gaza geortet
Auch Shaked Haran hat sich an die Öffentlichkeit gewandt. So wie sie selbst hat auch ihre Mutter Shoshan Haran neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Zusammen mit ihrem Mann Avshalom soll sie in den Gazastreifen entführt worden sein. Das berichtet die "Süddeutsche Zeitung" unter Berufung auf Haran. Auch von ihrer Schwester und deren beiden kleinen Kindern fehle demnach jede Spur. Sie sollen ebenfalls deutsche Staatsbürger sein.
Einen Beweis dafür, dass ihre Familienmitglieder tatsächlich verschleppt wurden, hat Haran nicht. Doch die Indizien sprechen dafür: "Am Samstag versuchte ein enger Freund meines Vaters, ihn mehr als hundert Mal anzurufen. Schließlich wurde das Telefon abgenommen und er hörte, wie jemand am anderen Ende der Leitung auf Arabisch so etwas wie 'Geisel, Geisel, Gaza' rief", berichtet Haran im Gespräch mit der "Süddeutschen Zeitung".
Harans Familie habe zudem die Telefone der elf Vermissten tracken lassen. Einige davon sollen in Gaza geortet worden sein. Die Häuser ihrer Familienangehörigen sollen ausgebrannt und zerstört worden sein, Leichen habe man dort aber nicht gefunden. Nachbarn glauben zudem, sie hätten Harans Eltern in einem Video erkannt, das Geiseln in der Gewalt der Hamas-Terroristen zeigen soll.
Geiseln als Faustpfand der Hamas?
Was mit den deutschen Geiseln in Gefangenschaft der Hamas geschieht, ist unklar. Beobachter gehen davon aus, dass die Terroristen sie als Faustpfand für mögliche Verhandlungen nutzen könnten, etwa um ihre eigenen Leute aus israelischen Gefängnissen freizupressen. So war es bereits in der Vergangenheit geschehen – da ging es allerdings um weit weniger Geiseln als jetzt.
Angesichts der Abriegelung des Gazastreifens und der israelischen Luftangriffe auf das Gebiet, drohte die Terrororganisation zudem damit, die Geiseln zu töten, sollte Israel weiterhin das palästinensisch bewohnte Gebiet aus der Luft angreifen. Ismail Haniyeh, der Anführer der Terrororganisation, sagte, das Thema Gefangenenaustausch werde erst nach Ende der militärischen Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern angegangen, berichtet die "Times of Israel".
Die Kämpfe zwischen der Terrororganisation und der israelischen Armee gehen indes weiter. Auch fliegt die israelische Armee weiterhin Luftangriffe auf den Gazastreifen. Mehr dazu lesen Sie im Newsblog zum Angriff auf Israel.
Bundesregierung bemüht sich nach eigenen Angaben "intensiv" um Informationen
Die Bundesregierung bemüht sich nach Angaben von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) "intensiv" um Erkenntnisse über das Schicksal der in Israel entführten Deutschen. Deutschland arbeite hierbei mit Israel zusammen, sagte Scholz. "Wir versuchen genau zu ermitteln, um wie viele Personen es sich handelt und was wir dafür tun können, dass sie wieder in Freiheit kommen." Deutschland stehe auch in Kontakt zu anderen Ländern im Nahen Osten und versuche, "so viel wie möglich zu tun, damit die Freiheit und das Leben und die Gesundheit dieser Bürgerinnen und Bürger gewährleistet werden können".
Welche Maßnahmen die Bundesregierung genau eingeleitet hat, sagte er nicht. Doch auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) versicherte in den ARD-"Tagesthemen", dass ihr Amt rund um die Uhr an der Befreiung der Entführten arbeite.
- Nachrichtenagentur dpa
- sueddeutsche.de: "Wir versuchen alles, um meinen Eltern zu helfen"