Zeichen der Schwäche? China markiert Anspruch auf russische Insel – Putin schweigt
Seit dem Überfall auf die Ukraine ist Russland noch abhängiger von China als zuvor schon. Diese Schwäche nutzt Peking nun offenbar aus.
Mit Landkarten lässt sich hervorragend Politik machen, das wissen sie im Kreml ganz genau. So zeigte sich Präsident Wladimir Putin im Frühjahr mit einer Karte, in der die Ukraine gar nicht eingezeichnet war. Die Botschaft des Auftritts war klar: Ein Staat, der nicht existiert, kann auch nicht illegal annektiert werden. Russlands Überfall auf das Nachbarland wäre nach dieser Logik völlig legitim. Doch jetzt wird Russland selbst zum Opfer des propagandistischen Spiels mit den Landesgrenzen.
In dieser Woche hat die chinesische Regierung einen neuen Satz Landkarten veröffentlicht, den die Medien des Landes jetzt verwenden sollen. Auffallend an den neuen Karten: Der nordöstlichste Punkt des Landes hat sich darauf um mehrere Kilometer in Richtung Russland verschoben. Die Insel Bolschoi Ussurijski im Grenzfluss Amur gehört demnach jetzt komplett zu China. Für den Kreml ist der als Karte formulierte Gebietsanspruch Chinas eine offene Provokation.
Indien und Malaysia protestieren
Seit den 1860er-Jahren haben Russland und China um das 350 Quadratkilometer große Eiland gestritten. 1929 besetzten sowjetische Truppen die Insel, die in China Heixiazi Dao heißt, Insel der Kragenbären. 1969 führte der Streit um eine andere Insel im Grenzfluss Ussuri beinahe zum Krieg zwischen China und der Sowjetunion.
2008 legten Peking und Moskau ihre Streitigkeiten um die Insel Bolschoi Ussurijski schließlich bei. Beide Seiten nahmen ihren Anspruch auf die gesamte Insel zurück. Ist diese Einigung nun hinfällig?
Das russische Außenministerium hat bislang nicht auf die neuen chinesischen Karten reagiert – anders als die Regierungen Indiens und Malaysias. Auch Teile von deren Territorien erscheinen in den neuen Karten als Teil Chinas.
"Wir weisen die Ansprüche zurück, da sie keinerlei Grundlage haben", sagte der indische Außenamtssprecher Arindam Bagchi der Nachrichtenagentur AP. "Solche Schritte der chinesischen Seite erschweren die Lösung der Grenzfrage." Der Konflikt zwischen Neu-Delhi und Peking über ungeklärte Grenzverläufe hatte sich zuletzt ohnehin verschärft.
Putin nicht beim G20-Gipfel
Auch das deutlich kleinere Malaysia hat das Erscheinungsbild der neuen chinesischen Landkarten nicht klaglos hingenommen. Die Regierung in Kuala Lumpur sprach von "einseitigen Ansprüchen Chinas", die für Malaysia "nicht bindend" seien. Umso erstaunlicher erscheint, dass die Regierung in Moskau bislang mit keinem Wort auf den "Landraub" am Amur reagiert hat. Ist Putins Schweigen also ein Zeichen der Schwäche?
"Im Kreml schaut man sich chinesische Landkarten definitiv sehr genau an, besonders solche mit Ansprüchen auf eigenes Gebiet", sagte der US-Politikwissenschaftler Mark Katz dem Magazin "Newsweek". "Aber selbst wenn sich Putin darüber aufregt, ist er nicht in der Position, sich laut zu beschweren. Dafür ist Russlands Wirtschaft viel zu abhängig von China." Tatsächlich bezieht Russland infolge der westlichen Sanktionen heute einen Großteil seiner industriellen Güter aus China; umgekehrt bezieht China billiges Öl und Gas aus Russland.
Offiziell steht China auch nach dem Überfall auf die Ukraine an Russlands Seite, allerdings nicht uneingeschränkt. So liefert China Russland zwar Komponenten zum Bau von Waffen, Mikrochips zum Beispiel, aber kein fertiges Kriegsgerät.
Chinas Staatschef Xi Jinping soll Kremlchef Putin auch klargemacht haben, dass Peking einen russischen Atomwaffeneinsatz in der Ukraine nicht akzeptieren werde. Am 9. und 10. September treffen Regierungsvertreter beider Länder beim G20-Gipfel in Indien aufeinander. Kremlchef Putin hat seine Teilnahme daran aber abgesagt.
- apnews.com: India and Malaysia protest China’s land claim in a newly published map ahead of the G20 summit (englisch)
- newsweek.com: Putin Powerless to Complain About China Claiming Russia Territory (englisch)