Reaktionen auf erneuten Drohnenangriff "Aber Moskau ist die am besten geschützte Stadt"
Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wieder traf es Moskau und wieder ein berühmtes Wolkenkratzerviertel: Die Drohnenattacken in der russischen Hauptstadt häufen sich. Im Netz zeigt sich viel Empörung und steigende Nervosität.
Erneut haben Drohnen Moskau attackiert, wieder traf es "Moskau-City", ein modernes, von Bürotürmen geprägtes Viertel im Herzen der russischen Hauptstadt. In der Nacht zum Dienstag flog eine Drohne in denselben Turm des Komplexes, der zuvor am Sonntag getroffen worden war.
Ein Passant, der sich eigentlich die Schäden des vorherigen Vorfalls ansehen wollte, wurde Zeuge des neuerlichen Angriffs und beschrieb einen lauten Knall (siehe Video). Verletzt wurde zwar niemand, das Gebäude aber ist schwer beschädigt.
Schnell zeigt sich, dass das Thema in Moskau und im russischsprachigen Netz hitzig diskutiert wird – aber weitgehend folgenlos bleibt. Dennoch zeichnet sich eine steigende Nervosität ab.
Das russische Verteidigungsministerium reagierte bereits in der Nacht und meldete, dass mehrere Drohnen nach Moskau geflogen seien. Dazu nutzte das Ministerium wie häufig den Kurznachrichtendienst Telegram. Dort war man bemüht, den Vorfall zu relativieren. Die Flugabwehr habe die zwei Drohnen im Moskauer Gebiet abgeschossen, hieß es. Die eingeschlagene Drohne im Wolkenkratzer bezeichnete das Ministerium umgehend als "Terroranschlag des Kiewer Regimes". Eine Erklärung, weshalb die Luftverteidigung in diesem Fall offenbar versagt hatte, liefert der Ministeriumsbeitrag nicht.
Der Telegram-Post widersprach den zuvor von Bürgermeister Sergej Sobjanin gemachten Angaben, die auf einen gezielten Treffer schließen ließen. Eine Drohne habe dasselbe Hochhaus getroffen, das bereits am Sonntag Ziel einer Attacke gewesen war, schrieb Sobjanin auf Telegram.
Unterdessen gingen die Reaktionen im russischsprachigen Netz auseinander.
Dass die Ukraine dahintersteht, wird im Netz aber kaum bezweifelt, obwohl sich Kiew nicht zu den Attacken bekannt hat. Auf Telegram kommentiert ein russischsprachiger Nutzer: "Sehr kluge Taktik", ein anderer, der sich "Gilmullin R. R." nennt, meint: "Ein Geschäftsviertel wird bombardiert. Sie haben Angst, auf das Militär zu zielen, weil sie wissen, dass sie eine Antwort bekommen werden."
Darauf reagiert eine Nutzerin mit Sarkasmus: "Sie [die russische Streitkräfte] haben gelernt, wie man Zivilisten bombardiert." Ablehnend reagiert ein weiterer Nutzer im selben Chat "Sibir Realii": "Im Sinne von Vergeltungsmaßnahmen? Moskau terrorisiert die Ukraine seit 2014 und du sprichst von Vergeltung!"
Eine Frau namens Julia wird ironisch: "Aber Moskau ist die am besten geschützte Stadt." Damit spielt sie offenbar darauf an, dass Moskaus Luftabwehr wohl versagt hat und nicht so effektiv ist, wie es der Kreml stets betont. Diese Einschätzung wird auch vom ukrainischen früheren Geheimdienstmitarbeiter Iwan Stupak geteilt, der der Auffassung ist, dass der Angriff "unfassbar schmerzhaft" für den Kreml sei, "weil das die Unfähigkeit zeigt, das Herz der Hauptstadt zu schützen".
Ein offenbar ukrainischer, russischsprachiger Nutzer kommentiert unter Pseudonym ("Die Zeit wartet nicht"), man möge beachten, dass es sich um ein in der Nacht verlassenes Bürogebäude handelt, also offensichtlich absichtlich nicht auf Zivilisten gezielt worden sei. "Darin unterscheiden wir uns von den Russen", schreibt er, kommentiert aber weiter: "Auch wenn ich persönlich mit solchen Taktiken überhaupt nicht einverstanden bin ... Es gibt viele Schlafbereiche in Moskau ..." Damit spielt er darauf an, dass viele Moskauer in die Innenstadt pendeln, aber häufig in dicht besiedelten Wohngegenden außerhalb des Zentrums leben.
In "Moskwa-City" sind die Bürotürme teils mehrere Hundert Meter hoch, nachts sind sie weitgehend verlassen. Die Gegend ähnelt optisch dem Potsdamer Platz in Berlin oder Teilen des Frankfurter Bankenviertels, beherbergt Geschäftsräume, Gastronomie, Veranstaltungshallen und liegt nahe am Ufer der Moskwa. Der Kreml ist nur etwas mehr als fünf Kilometer entfernt.
Auf Twitter merken einige Nutzerinnen und Nutzer kritisch an, dass dasselbe Gebäude zweimal getroffen wurde. Dennis Poluntschukow, Moderator beim russischen Staats- und Propagandasender Rossiya 1 schreibt auf Twitter: "Offensichtlich fängt die REB [elektronische Luftabwehr] sie nicht ab, sondern sie schlagen genau dort ein, wo sie einschlagen wollten." Die Führung versuche ständig, die Attacken "herunterzuspielen". Aber für ihn sei es "schmerzhaft", über jenes Viertel zu berichten, in dem er "persönlich mehr als einmal gearbeitet hat" und das er nun zerstört sehe.
"Wird Schoigu Moskau und die Frontbezirke gleichzeitig schützen?"
Weitreichende Folgen zeichneten sich am Dienstag allerdings zunächst nicht ab. Menschen in Russland und Moskau zeigten sich erschrocken über die Ereignisse, doch scheint gleichfalls die Erleichterung darüber groß, dass es keine schweren Schäden und Verletzte oder gar Tote gab.
Sehr wohl allerdings wird wahrgenommen, dass sich die Vorfälle häufen. "Der Punkt ist nicht der Schaden", kommentiert ein russischsprachiger Twitter-Nutzer namens Witali Pawlow, "sondern die Tatsache, dass die Ankünfte regelmäßig geworden sind". Ja, noch sei es ruhiger in Moskau als in Kiew oder Odessa, schreibt er, "aber wie lange noch?" Uns weiter: "Wird Schoigu (der russische Verteidigungsminister) in der Lage sein, Moskau, die Krim und die Frontbezirke gleichzeitig zu schützen?"
- Telegram: Минобороны России, Мэр Москвы Сергей Собянин, Москва 24, Сибирь.Реалии (russisch)
- Twitter: @dpolunchukof, @pavlov_vitali (russisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa, Video: Reuters