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Wagner-Söldner in Belarus: "Die Soldaten haben nie gelernt, zu kämpfen"


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Europas schwächste Armee
Jetzt sollen Wagner-Söldner helfen


Aktualisiert am 22.07.2023Lesedauer: 5 Min.
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Wagner-Kämpfer und belarussischer Soldat trainieren gemeinsam. (Quelle: IMAGO/VoyenTV television company)
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Söldner der Wagner-Armee bilden offenbar belarussische Truppen aus. Alexander Lukaschenko will so wohl sein Militär professionalisieren. Doch das Training hat seine Grenzen.

Gut einen Monat nach dem Aufstand der Wagner-Truppen in Russland zeigt sich: Die Rebellion unter Führung von Jewgeni Prigoschin hat fast nur Verlierer hervorgebracht. Kremlchef Wladimir Putin ist geschwächt, die russische Armee in Aufruhr, Prigoschin untergetaucht.

Doch einer geht als Gewinner aus der Sache hervor: der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko.

Der Langzeitdiktator in Minsk hat es geschafft, nicht nur Präsident Putin aus der Krise zu helfen, indem er – so geht die offizielle Erzählung – Prigoschins Marsch auf Moskau in letzter Minute stoppte. Lukaschenko hat auch sich selbst mehrere Vorteile verschafft. Seine unerwartete Vermittlerrolle beim Wagner-Aufstand hat ihn als Machthaber in der Region gestärkt. Ausgerechnet ihn, der eigentlich als Lakai des Kremlchefs galt.

Außerdem hat Lukaschenko offenbar einen Deal ausgehandelt, von dem seine Armee profitiert: Kampfwillige und kampferfahrene Söldner der Prigoschin-Truppe kommen derzeit offenbar zu Tausenden nach Belarus – und bilden dort belarussische Soldaten aus. Ein kluger Schachzug, denn das hat die belarussische Armee aus militärstrategischer Sicht dringend nötig.

10.000 Wagner-Kämpfer in Belarus?

Seit dieser Woche ist es wohl so weit: Wagner-Söldner haben offiziell mit Kampftraining begonnen. Wie viele Männer im Einsatz sind, ist schwer zu beziffern. Der Berater für das ukrainische Innenministerium, Anton Gerashshenko, geht von 10.000 Wagner-Söldner in Belarus aus.

Er beruft sich dabei auf eine Quelle aus Wagner-Reihen, die Zahlen sind nicht überprüfbar. Demnach sollen 78.000 Söldner "die Mission in der Ukraine" durchlaufen haben, allein 22.000 sollen getötet worden, weitere in Gefangenschaft sein. 25.000 von ihnen seien "munter", also einsatzfähig.

Dass Lukaschenko mithilfe einer Privatarmee sein Militär professionalisieren will, hat einen einfachen Grund. "Die belarussische Armee ist die am wenigsten erfahrene Armee in Europa", sagt András Rácz. Rácz ist Forscher bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin und erläutert: "Das liegt daran, dass die belarussische Armee nie in einem echten Kampf gekämpft hat. Sie war nie in Auslandseinsätzen, ausgenommen eine sehr kleine Operation in Kasachstan im Jahr 2022."

Da sei es für ein paar wenige Luftlandesoldaten aber um einen Einsatz im Krisenmanagement gegangen, nicht um den direkten Kampf im Territorium. "Die Soldaten haben nie gelernt zu kämpfen" sagt Rácz.

Trauma der belarussischen Gesellschaft

Die Schwäche der Armee hat historische Gründe. Als sowjetische Truppen in Afghanistan kämpften, habe Belarus vor allem technisches Know-how gestellt, sagt Rácz: logistisches Personal, Pipeline-Betreiber, Techniker. "Damals erlitten die Sowjettruppen extrem hohe Verluste – und unverhältnismäßig hohe Verluste. Das wurde zum Trauma für die belarussische Gesellschaft: Belarus sollte von da an nie wieder im Ausland kämpfen."

Auch nach der Unabhängigkeit im Jahr 1991 nicht. So stand es auch viele Jahre in der Verfassung. "Die Belarussen schicken noch nicht einmal Blauhelme zu UN-Friedensmissionen. Sie entsandten lediglich mal ein paar Stabsoffiziere", sagt Rácz.

Video | Video soll neue Wagner-Ausbildung zeigen
Quelle: Glomex

Lukaschenko hat vor allem Geheimdienst und Polizei gefördert

Belarus ist seit Jahrzehnten eine Diktatur, und Lukaschenko handelte stets wie ein typischer Diktator: Er stärkte vor allem die inneren Streitkräfte und den Geheimdienst. "Die Truppen des Innenministeriums, die Polizei und der KGB, das waren die Säulen seiner Macht. Die belarussische Armee blieb dabei unterfinanziert", so Rácz. Das Militär wurde zur Scheinarmee.

Doch was die Soldaten nun von den Wagner-Söldnern lernen können, ist begrenzt. Wagner-Einheiten kämpften in der Ukraine in der Regel losgelöst vom russischen Militär. Weil sie nicht als Truppen im Namen der Russischen Föderation kämpften, waren sie auch nicht an Gesetze gebunden. Vor Kurzem sagte Kremlchef Putin sogar, Wagner existiere juristisch gar nicht. Wagner-Kämpfer fielen durch besondere Brutalität auf, vielen von ihnen werden Kriegsverbrechen vorgeworfen.

Wagner-Kämpfer beherrschen großangelegte Kriegsführung nicht

"Die Wagner-Leute können den Belarussen vieles zum individuellen Kampf beibringen, wie man als Einzelner kämpft, wie man schießt, auch, wie man in einem Zug kämpft", sagt Russland-Experte Rácz. "Aber wie man auf Kompanieebene kämpft, können die Wagner-Leute nicht vermitteln. Also das, was eine Armee zu einer wirklich effektiven Kampftruppe macht: die Koordinierung von Befehlen und Kontrolle und die Koordinierung zwischen den verschiedenen Armeebereichen."

Außerdem mussten die Wagner-Kämpfer nach dem Aufstand ihr schweres Kriegsgerät an den russischen Staat übergeben. Den Einsatz von Panzern und Artillerie können die Wagner-Truppen ihren belarussischen Kameraden also auch nur beschränkt beibringen.

Sorge in Polen wächst

Trotzdem blickt ein Land derzeit besorgt auf die Vorgänge in Belarus: Nachbar Polen hat angesichts der Wagner-Präsenz in Belarus seinen Grenzschutz verstärkt. Die Sorge vor einem Angriff oder Sabotageaktionen ist groß. Auch Litauen ist deswegen in Alarmbereitschaft.

Die polnische Regierung teilte zunächst der Nachrichtenagentur PAP mit, man werde mehr Truppen in den Osten verlegen. Derzeit laufe schon eine Übung zweier Brigaden, so das Verteidigungsministerium. Polen zeige seine "uneingeschränkte Fähigkeit", auf jeden Versuch einer Destabilisierung sofort antworten zu können.

Weder Minsk noch Wagner hielt das davon ab, die ersten Militärübungen in direkter Grenznähe abzuhalten. Der Ort Brest liegt unmittelbar an der Grenze zu Ostpolen. (Lesen Sie in dieser Reportage mehr zur angespannten Lage an der Grenze zwischen Polen und Belarus).

Das polnische Verteidigungsministerium veröffentlichte ein Video, das die Kämpfer im Gelände bei Übungen zeigt. Bei den Übungen geht es offenbar zunächst um die Ausbildung von Spezialeinheiten. Zunächst vier Tage lang seien verschiedene Waffengattungen beim Angriff, der Einsatz von Drohnen und Tarnung sowie Aufklärung ein Thema, teilte das Ministerium mit.

Zuvor war anhand von Satellitenbildern bekannt geworden, dass auf Militärstützpunkten riesige Camps für die erwarteten Kämpfer eingerichtet wurden. Allerdings war zunächst die Rede davon, dass die Einrichtungen Platz für maximal 7.000 bis 8.000 Kämpfer bieten, nicht für 10.000 Kämpfer, wie es aktuell heißt.

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Dass Belarus mit den Wagner-Einheiten einen Nato-Staat angreifen könnte, gilt unter internationalen Beobachtern jedoch als sehr unwahrscheinlich. Als ebenso unrealistisch gilt ein Einmarsch von belarussischen und Wagner-Truppen in die Ukraine. Die Sicherung des belarussisch-ukrainischen Grenzgebiets ist massiv ausgebaut worden, seit im Februar 2022 von Belarus aus russische Truppen in die Nordukraine einfielen. Auch soll das Gebiet stark vermint sein.

Angst vor der Ukraine

Militärexperte Rácz geht daher von einer anderen Erklärung aus, warum Lukaschenko seine Truppen von Wagner ausbilden lassen will: Der Diktator sorgt sich vor einem ukrainischen Angriff.

"Minsk sieht, dass in der unmittelbaren Nachbarschaft seit 2014 ein Krieg herrscht. Seit Februar letzten Jahres ist Belarus aktiver Teilnehmer an diesem Krieg. Neben der Entsendung eigener Soldaten hat Belarus so ziemlich alles für die Russen getan, was geht."

Lukaschenkos Befürchtung liege daher nahe: Dass die Ukraine sich rächen und ihrerseits einen Angriff starten könnte. "Nicht, dass die Ukraine Belarus überrennen würde", sagt Rácz. "Aber Lukaschenko fürchtet gezielte Attacken, die den Glauben der Bevölkerung schwächen könnte, dass Lukaschenko die Sicherheit der Menschen garantieren kann."

Das Training kann daher auch als ein Zeichen nach innen verstanden werden: Lukaschenko demonstriert vorausschauendes Handeln, zeigt, dass er die Kontrolle behält. Zugleich kann es als Drohung gelesen werden: Der Diktator scheut die Nähe zu mutmaßlichen Kriegsverbrechern nicht und steuert diese, wie es ihm passt.

Nach knapp 30 Jahren an der Spitze des belarussischen Staates scheint es Lukaschenko einmal mehr geschafft zu haben, seine Macht zu zementieren.

Verwendete Quellen
  • Interview mit András Rácz am 20. Juli 2023
  • atlanticcouncil.org: "Wagner drama drags Belarus deeper into Russia’s wartime turbulence" (englisch)
  • Twitter: @HannaLiubakova, @Gerashchenko_en (englisch)
  • Telegram: t.me/modmilby (russisch)
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