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Putins Propaganda: So kämpfen Programmierer gegen Russlands Zensur


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Kampf gegen Putin
"Putin führt diesen Krieg extrem inkompetent"

InterviewVon Clara Lipkowski

Aktualisiert am 25.06.2023Lesedauer: 7 Min.
Medien in Russland: Mit Propaganda gegen die deutsche Flüchtlingskrise.Vergrößern des Bildes
Propaganda im Vorbeigehen: In Russland sind die Menschen im Alltag den staatlich kontrollierten Medien ausgesetzt. Kremlkritische Newsseiten sind gesperrt, Verstöße werden rigoros bestraft. (Quelle: reuters)

Die Propaganda in Russland infiltriert die Menschen in Dauerschleife. Doch es gibt Widerstand. Softwareexperten haben ein digitales Werkzeug programmiert – und informieren die Menschen trotz Zensur.

Die Menschen in Russland sind derzeit permanent Putins Propaganda ausgesetzt. Sie sehen sie auf Plakaten in den Straßen, auf Werbetafeln in der Metro, wenn sie im Internet surfen oder das Fernsehen einschalten, das längst vom Kreml kontrolliert wird und Kriegsparolen und antiwestliche Hasstiraden in Dauerschleife sendet.

Kritische Plattformen hingegen sind blockiert, unabhängige Journalistinnen und Publizisten ins Ausland geflohen, wenn sie nicht im Gefängnis sitzen. Vor der Infiltrierung gibt es kaum Entkommen.

Einer, der dagegen kämpft, ist Jewgeni Simkin. Mit einem Kollegen hat der russische Softwareentwickler eine Internetseite aufgesetzt, die Links verbreitet, mit denen Menschen unerkannt kremlkritische Medien lesen können, ganz ohne technisches Wissen oder Spezialzugänge. Davon erzählt Simkin, der sich aus Kanada zum Video-Interview mit t-online einschaltet: Putin, sagt er, sei bekanntlich kein guter Stratege oder Taktiker. Doch Propaganda – das könne er. Simkin, sagt er selbst, wolle ihm Paroli bieten.

t-online: Herr Simkin, die Menschen in Russland werden dauerbeschallt mit Propaganda. Viele haben sich an den Krieg gewöhnt, akzeptieren ihn und wollen mit Politik nichts zu tun haben. Warum sollten solche Leute Ihr Angebot nutzen?

Jewgeni Simkin: Wissen Sie, wir zählen nicht auf die Russen, die jetzt plötzlich aufwachen und realisieren, dass sie bislang Propagandamärchen Glauben geschenkt oder den Krieg einfach ignoriert haben. Es geht darum, dass kritische Themen wieder in Gesprächen auftauchen, zirkulieren, und wieder diskutiert wird, in privaten Chats, auf WhatsApp zum Beispiel.

Wie genau?

Über "Samizdat Online" erhält man Links zu in Russland verbotenen Medien. Die sehen dann aus wie Fantasie-Kauderwelsch. Statt BBCRussia.com heißt es dann https://pdxfzokbl.com/.

Das heißt, der Link verrät nicht, dass man damit zu einem kritischen Medium gelangt.

Exakt. So kann die Zensurbehörde die Medien hinter den Links nicht als "kritisch" identifizieren – und auch Menschen nicht dafür belangen, sie zu lesen. Denn das ist traurige Realität in Russland: Man kann für so was heutzutage aufgespürt, verhaftet und für bis zu 15 Jahre ins Gefängnis wandern.

Dennoch: Menschen müssen erst aktiv Ihr Angebot ansteuern, vielen ist das schon zu aufwendig.

Das stimmt. Manchen ist der Nachrichtenkonsum generell zu kompliziert, andere sind bequem, wieder andere arm; viele kämpfen mit ihren eigenen Problemen.

Aber was ständig übersehen wird: Die Welt ist nicht geteilt in Menschen in Russland und den Westen. Es gibt sieben Millionen russischsprechende Menschen mit Verbindungen nach Russland. Sie halten Kontakt zu Freunden, früheren Nachbarn, Verwandten. Da setzen wir an.

Sie sprechen die Diaspora an.

Ja, die ist der Schlüssel. Wir müssen die Diaspora mobilisieren. Und ihnen ein Werkzeug in die Hand geben.

Jewgeni Simkin
Jewgeni Simkin (Quelle: Jewgeni Simkin)

Jewgeni Simkin ist in den 1970er-Jahren von St. Petersburg in die USA und später nach Kanada ausgewandert. Der Softwareingenieur betreibt die Entwicklerfirma A♭Minor und hat kurz nach dem 24. Februar 2022 mit dem Programmierer Michael Sprague "Samizdat Online" aufgebaut. Zwei der Samizdat-Softwareentwickler arbeiten von Russland aus. Weitere sind unter anderem in der Ukraine ansässig.

Haben Sie ein Beispiel?

Eine Ukrainerin, die wir bei uns zu Hause mit ihrer Tochter aufgenommen haben, steht in täglichen Austausch mit ihrer Mutter, die in Moskau lebt. Solche Konstellationen sind sehr typisch, Familien in Russland haben oft Verwandte in der Ukraine und andersherum. Die Mutter in Moskau also glaubt der allgegenwärtigen Propaganda, dass die Ukraine Russland angreife. Obwohl das Gegenteil der Fall ist. Ihre aus Charkiw geflohene Tochter hat natürlich ein Interesse daran, dass die Mutter die Wahrheit erfährt. Also teilt sie unsere Links.

Auf solche starken Motive setzen wir. Unser Werkzeug ist nicht die Lösung. Aber unser Werkzeug ist ein Mechanismus. Für die Millionen Menschen außerhalb von Russland, denen unabhängige Medien wichtig sind und die unabhängige Informationen weitergeben wollen.

Sie betonen, dass "Samizdat Online" leicht zu handhaben ist, leichter als VPN, Netzwerke, mit denen man in Russland gesperrte Medien lesen kann.

Das ist wirklich wichtig: Es darf für Nutzerinnen und Nutzer keine Reibungen geben, es soll so einfach wie möglich sein. Um "Samizdat" nutzen zu können, braucht man keine technischen Kenntnisse, kein VPN. Man klickt einen Link an, das ist alles.

Wie viele Menschen erreichen Sie?

Bislang sind es ein paar Tausend pro Tag. Wir arbeiten mittlerweile mit 75 Publikationen zusammen, darunter "Meduza", BBC Russia, "Ukrainiskaya Pravda". Zusammengenommen haben sie grob 100 Millionen Leserinnen und Leser. 50 dieser Publikationen warten schon ungeduldig darauf, dass sie ihr Publikum offiziell mit eigenen Kampagnen auffordern können, "Samizdat Online" zu nutzen. Aber davon halten wir sie noch ab, weil wir sonst überrannt würden.

Ein paar Tausend Menschen sind bei 143 Millionen Russinnen und Russen nicht viel ...

Wir haben etliche anekdotische Belege, dass unsere Links schon jetzt einen Effekt haben. Sie werden weitergereicht und diskutiert. Unsere Links zirkulieren in Chatgruppen, bei VKontakte (dem russischen Pendant zu Facebook, Anm. d. Red.). Statistisch können wir das kaum erheben. Der Effekt ist da, ganz sicher.

Sie sind also auch Widerstandskämpfer aus dem Exil.

Man muss bedenken, was sich schon beim Zerfall der Sowjetunion gezeigt hat: Man braucht nicht die gesamte Gesellschaft, um ein System zum Sturz zu bringen. Für den Systemsturz braucht es nur ein Drittel des Volkes. Man braucht bei Weitem nicht 100 oder 90 Prozent, eher 30. Die anderen ziehen mit.

Trotzdem haben Sie Sorge, demnächst überrannt zu werden. Warum?

Noch fehlen uns die Kapazitäten, einem run auf unsere Internetseite gerecht zu werden. Würden die Publikationen, deren Inhalte wir bereits verschlüsselt anbieten, ihre Lesenden auffordern, uns zu nutzen, wie gesagt, es sind etwa 100 Millionen, hätten wir in kürzester Zeit auch Millionen Zugriffe. Das schaffen unsere fünf, sechs Server, die wir haben, noch nicht. Dafür bräuchten wir 30 oder 40.

Wir sind allerdings derzeit mit Investoren in Gesprächen. Michael (Sprague, Co-Gründer, siehe Infobox) und ich haben privat etwa 250.000 Dollar investiert, Spenden haben wir keine. Derzeit warten wir auf Zusagen der Investoren. Wenn wir in einem Monat noch mal sprechen, sieht die Sache hoffentlich schon ganz anders aus. Dann wollen wir so weit sein und den Publikationen grünes Licht geben.

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Sie betreiben eigentlich eine Softwarefirma, nun kämpfen Sie gegen Propaganda. Samizdat war einst in der Sowjetunion ein Verlagswesen im Untergrund, mit dem man sich untereinander – am Staat vorbei – über verbotene Themen informierte. Wie kam Ihnen die Idee zum digitalen "Samizdat"?

Anfangs sagte man mir: So etwas gibt es doch schon! Aber ich habe lange gesucht und nichts dergleichen gefunden. Als der Krieg begann, war ich persönlich betroffen. Ich komme aus Russland und ich beschäftige Mitarbeiter in Russland und in der Ukraine. Mir ging die Frage nicht mehr aus dem Kopf, wie man gegen Putin vorgehen könnte.

Denn die Realität ist doch die: Putin führt diesen Krieg extrem inkompetent. Putin ist kein guter Militärtaktiker, kein guter Stratege und er ist noch dazu ein furchtbar schlechter Manager. Worin Putin aber richtig gut ist, ist Propaganda. Die hat er unglaublich effektiv ausgebaut.

Und das Prinzip von "Samizdat" kannte ich noch aus der Sowjetunion. Das ging von unten aus, von den Menschen. Genau das ist auch unser Ansatz: Menschen zu mobilisieren und Russland von den Wurzeln zu verändern, nicht von den Eliten.

Wie stellen Sie sicher, dass Sie die Menschen, die "Samizdat" nutzen, nicht gefährden?

Wir ermöglichen Zugang zu in Russland verbotenen Inhalten, das ja. Aber wir sammeln keine Daten. Überhaupt keine. Bevor ein Link von Lesern angeklickt werden kann, entfernen wir alles, was eine Internetseite identifizierbar machen kann, alle Cookies, das Java-Skript. Damit sind Nutzerinnen und Nutzer im Grunde in der sichersten Internetumgebung unterwegs, in der sie nur sein können.

Und wie schützen Sie Ihre Mitarbeiter in Russland?

Mit ihnen kommunizieren wir nur über verschlüsselte Plattformen, wir nennen nirgendwo ihren Namen oder Standorte. Und ich sage ihnen: In dem Moment, wenn ihnen das Risiko zu groß wird, können sie jederzeit die Notbremse ziehen. Dann unterstützen wir sie, das Land zu verlassen.

"Samizdat Online" schafft eine Win-win-Situation: Verbotene Medien wie "Meduza" haben durch die Zensur viele Leserinnen und Leser verloren. "Samizdat" kann als Multiplikator dienen.

Korrekt. Wobei "Meduza" der 350-Kilo-Gorilla im Raum ist, sehr einflussreich trotz der Verbannung ins Ausland. Doch auch "Meduza" hat das Problem, dass es sehr gefährlich ist deren Artikel in Russland zu lesen, und rät deshalb davon ab, etwa Artikel in Chats bei Telegram oder VKontakte zu posten. Menschen riskieren damit Strafverfolgung.

Wie steht es um kleinere Newsseiten?

Um die sorge ich mich mehr, "iStories", "Agentura", aber auch belarussische Medien, "7by7" zum Beispiel. Oder russische kritische Prominente auf YouTube, Blogger wie Maxim Katz oder Ilja Warlamow. Eine große Sorge in Russland ist, dass auch YouTube gesperrt wird. Wenn wir unsere Finanzierungszusagen erhalten, können all diese Medienschaffenden auf uns verweisen und profitieren davon – und wir genauso.

Wie lange dauerte die Programmierung von "Samizdat"?

Ironischerweise hatte Michael den Code dazu schon geschrieben und fertig in der Schublade. Er ist Erfinder, Denker, er arbeitet ständig an irgendetwas. Die Kerntechnologie zu programmieren, hat vielleicht zwei Wochen gedauert. Als ich dann mit meiner Idee zu Michael kam, haben wir am Code drei oder vier Monate gefeilt. So ist das mit jeder Software: Sie ist niemals fertig, man verbessert laufend.

Die russische Zensurbehörde Roskomnadsor hat Sie bereits im Visier. Wurden Sie schon gehackt?

Ach, sie haben es versucht. Und ganz ehrlich: Sollen sie doch! Wir haben absolut keine Daten, die ihnen von Nutzen wären. Und Daten darüber, wer in welchen russischen Regionen zum Beispiel "Meduza" liest oder die "Ukrainskaya Pravda", diese Informationen gibt es bereits. Dafür muss Roskomnadzor sich nicht die Mühe machen.

Eine Sache allerdings: Leser können sich für unseren E-Mail-Newsletter registrieren, für tägliche Kauderwelsch-Links zu ausgewählten Artikeln und zu unserer Webseite. Das ist völlig ungefährlich. Würden wir aber gehackt, könnte jemand an die Mailadressen gelangen. Zwar sind auch die verschlüsselt. Aber ein Restrisiko bleibt.

Doch die Zensurwächter verfolgen genau, was Sie tun.

Ja, und andersherum. Ich denke dabei immer an "Hau dem Maulwurf". Unsere "inside operators", also die Entwickler in Russland, checken, ob unsere Links blockiert wurden. Wir nutzen beispielsweise ein VPN in Moskau, mit dem das alle paar Minuten kontrolliert wird. Sind Links gesperrt, kreieren wir neue, das geht ganz schnell. Also wie bei dem Kinderspiel: In dem Moment, wenn die Zensurbehörde einen Maulwurf in seine Höhle zurückhaut, aktivieren wir einen neuen Maulwurf. Und wir haben viele Maulwürfe.

Herr Simkin, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Videointerview mit Jewgeni Simkin
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