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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Putin will Kremlkritiker loswerden Was Nawalny jetzt droht
Russlands bekanntester Oppositioneller steht wieder vor Gericht. Er sitzt schon für zehneinhalb Jahre ein, jetzt drohen Alexej Nawalny weitere Jahrzehnte. Er selbst kommentiert das Ganze sarkastisch.
Alexej Nawalny sitzt in Haft, vergessen haben ihn die Menschen in Russland aber nicht. Erst am Sonntag, als er 47 Jahre alt wurde, gingen Hunderte Menschen in Russland und mehreren Städten auf der Welt für ihn auf die Straße.
In Russland griffen die Behörden dabei hart durch: Laut einer Menschenrechtsorganisation wurden mehr als 100 Menschen verhaftet, mehr als die Hälfte davon in Moskau. Nawalny ist dem Kreml auch weggesperrt und im Gefängnis ein Dorn im Auge.
Der Politiker und Blogger ist der bekannteste Gegner Wladimir Putins in Russland. Er ist seit mehr als zwei Jahren inhaftiert und macht aus der Strafkolonie heraus regelmäßig auf die Missstände und die Korruption im Straflager aufmerksam. Er fordert weiter lautstark das Ende des russischen Krieges in der Ukraine und die Absetzung des Kremldiktators Putin. Das Regime antwortet mit immer neuen juristischen Vorwürfen.
Nun steht Nawalny wieder vor Gericht. An diesem Dienstag beginnt ein weiteres Verfahren gegen ihn, unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nawalny drohen bis zu 30 Jahre Haft. Träte dies wirklich ein, wäre Nawalny bei seiner Entlassung weit über 70 Jahre alt.
Diesmal lautet der Vorwurf: Extremismus in der Haft
Ob Nawalny eine so lange Haft überleben könnte, ist fraglich. Er ist gesundheitlich stark angeschlagen, seit im Jahr 2020 ein Giftanschlag auf ihn verübt wurde. Der Wiener Politologe Alexander Dubowy meint, Nawalny diene dem Kreml zur Abschreckung: "Putin braucht Nawalny, um an ihm ein Exempel zu statuieren."
An diesem Dienstag wird außerdem ein weiteres Verfahren für Nawalny wichtig: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entscheidet am Vormittag über eine Beschwerde von Nawalny, die dieser nach seiner Vergiftung eingereicht hat. Dabei geht es um die Weigerung der russischen Behörden, den Vorfall strafrechtlich zu verfolgen.
Bei früheren Verfahren gegen Nawalny selbst, ging es unter anderem um vermeintliche Veruntreuung. Diesmal lautet der Vorwurf "Extremismus". Sieben Anklagepunkte hat die russische Justiz nun gegen Nawalny formuliert. Der Politiker soll aus der Haft heraus eine extremistische Organisation gegründet und finanziert haben sowie den Nazismus verharmlost haben. Der Kremlgegner weist die Vorwürfe als absurd zurück.
Kurz vor der neuerlichen Verhandlung waren Nawalny nach dessen Angaben 3.828 Seiten über Straftaten vorgelegt worden, die er im Gefängnis begangen haben soll. Er reichte Beschwerde ein und forderte mehr Zeit, um sich auf den Prozess vorbereiten zu können. Das Gericht in der Hauptstadt Moskau wies Ende Mai eine Beschwerde Nawalnys zurück.
Nawalny sitzt derzeit für zehneinhalb Jahre in Haft, in einer Strafkolonie 260 Kilometer entfernt von Moskau. Dort soll das Gericht laut Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch diesmal zusammenkommen, und damit nicht in der Hauptstadt Moskau. In der Vergangenheit war Nawalny häufig per Video in den Gerichtssaal nach Moskau zugeschaltet worden. Diesmal könnte er persönlich vor Gericht erscheinen, was mit Spannung erwartet wird – auch, um seinen Gesundheitszustand besser einschätzen zu können, der zuletzt immer wieder als kritisch galt.
Nawalny sitzt im sogenannten strengem Regime ein und darf nur eingeschränkt Briefe erhalten und verschicken. Er darf auch nur weniger Geld im Gefängnis besitzen als Mithäftlinge im sogenannten einfachen Regime. Mehr zu den Haftbedingungen von Nawalny und den unterschiedlichen Strafkolonien in Russland lesen Sie hier.
Zur Strafe in eine zwei mal drei Meter kleine Zelle
Nawalny und sein Team prangern die menschenunwürdigen Zustände seiner Haft regelmäßig an. So werde er seit Monaten fast ununterbrochen in eine zwei mal drei Meter kleine Isolationszelle gesteckt, "Schiso" genannt. Das erfolge häufig unter einem Vorwand, die Gefängnisleitung denke sich immer wieder neue Vergehen aus, die er begangen haben soll, beklagt Nawalny. Das Ziel sei, ihn psychisch und physisch leiden zu lassen.
Auch internationale Menschenrechtler sprechen von Folter. Mitte Mai sei er bereits zum 15. Mal in die "Schiso" gekommen, insgesamt habe er 165 Tage dort verbracht. Vorgeschriebene Ruhepausen zwischen den Aufenthalten dort würden nicht eingehalten, beklagt Nawalny.
Ein ihm nahestehender Aktivist, der nicht namentlich zitiert werden will, berichtete zuletzt, das Team sei "sehr besorgt" um Nawalny, der seit eines früheren Giftanschlags auf ihn gesundheitlich angeschlagen ist. Ihm würden Medikamente verweigert, kritisierte Nawalny selbst in sozialen Medien, auch gegen sein Rückenleiden.
Der ausgebildete Jurist Nawalny wollte einst Wladimir Putin im Amt des Präsidenten herausfordern. Seiner Kandidatur kamen die russischen Behörden zuvor: Wegen juristischer Verfahren gegen ihn wurde er von der Wahl ausgeschlossen. Dies wurde international als politisch motiviert eingeschätzt.
Nawalny hatte mit seinem "Fonds für die Bekämpfung der Korruption" (FBK) immer wieder Materialien über die grassierende Korruption in Russlands Machtapparat veröffentlicht, darunter auch über Verstrickungen Wladimir Putins und des früheren Präsidenten Dmitri Medwedew.
Känguru in der Haft: Abgelehnt
Aus der Haft heraus ist Nawalny in den sozialen Medien präsent. Er lässt über sein Team auf Instagram und Twitter Beiträge veröffentlichen, in denen er sich kämpferisch gibt und die Haftbedingungen mit sarkastischen Witzen kommentiert. So schrieb er am Sonntag: "Ganz sicher wird der Tag kommen, an dem das Aussprechen der Wahrheit und das Eintreten für Gerechtigkeit in Russland etwas Alltägliches und Ungefährliches sein wird."
In Haft habe er wenig "Unterhaltung", schilderte er außerdem, also stelle er offizielle Anfragen an die Haftleitung, etwa zu seinen häufigen Aufenthalten in der Strafzelle.
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Daraufhin habe er zur Antwort bekommen: "Nein, zwei Päckchen Tabak, eine Flasche Braga (ein leichtes alkoholisches Getränk, Anmerkung der Redaktion) und eine Balalaika können Ihnen in der Strafzelle nicht ausgehändigt werden." Auch werde seinem Zellennachbar, der immer so laut schreie, kein Megafon ausgehändigt.
Ebenso habe die Verwaltung sein Gesuch abgelehnt, ein Känguru in seiner Zelle aufnehmen zu dürfen, postet Nawalny auf Instagram und schreibt: "Ich werde weiterhin für mein unveräußerliches Recht kämpfen, ein Känguru zu besitzen."
- Instagram: @navalny (russisch)
- Twitter: @navalny (russisch)
- ovd.news: "Новости Свобода собраний. Задержания из-за акции 4 июня в поддержку Алексея Навального" (russisch)
- Eigene Recherche
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa