Unübersichtliche Lage Zehn Palästinenser bei Militäreinsätzen getötet
Israelische Soldaten liefern sich mit militanten Palästinensern im Westjordanland ein Feuergefecht. Mehrere Menschen werden getötet, Dutzende verletzt.
Bei Konfrontationen mit dem israelischen Militär sind im Westjordanland nach palästinensischen Angaben zehn Menschen getötet worden. Allein neun kamen am Morgen bei einer Razzia in der Stadt Dschenin ums Leben, wie das Gesundheitsministerium in Ramallah am Donnerstag mitteilte. Dutzende weitere wurden verletzt, darunter vier schwer.
Es war einer der tödlichsten Militäreinsätze seit Jahren in dem palästinensischen Autonomiegebiet. Am Nachmittag sei zudem ein 22-Jähriger nördlichen von Jerusalem bei Konfrontationen mit israelischen Soldaten erschossen worden. Das Blutvergießen schürt Befürchtungen vor einer weiteren Eskalation der ohnehin schon angespannten Sicherheitslage in Israel und den Palästinensergebieten.
Israels Militär zufolge waren die Einsatzkräfte in Dschenin beschossen worden bei dem Versuch, mehrere Mitglieder der militanten Palästinenserorganisation Islamischer Dschihad festzunehmen. Drei bewaffnete Verdächtige wurden demnach im Feuergefecht von Kugeln getroffen, weitere festgenommen. Die Palästinenser würden verdächtigt, einen Terroranschlag geplant zu haben, hieß es.
Autonomiebehörde kündigt Kooperation auf
Medienberichten zufolge handelte es sich bei den Toten um acht bewaffnete Kämpfer sowie eine 61-Jährige Frau. Dschenin gilt als eine Hochburg militanter Palästinenser.
Die Palästinensische Autonomiebehörde kündigte am Abend die Zusammenarbeit mit Israel in Sicherheitsfragen auf. Als Grund nannte die Behörde einseitige Schritte und Maßnahmen Israels im Westjordanland sowie die Vorfälle in Dschenin. Ähnliche Ankündigungen hatte die Autonomiebehörde schon bei früheren Gelegenheiten gemacht – sie wurden allerdings de facto nicht umgesetzt.
Israelische Medien berichteten unter Berufung auf politische Kreise, man müsse sich auf eine mögliche Eskalation einstellen. Verteidigungsminister Joav Galant teilte mit, die Sicherheitskräfte seien an den Grenzen zum Westjordanland und dem Gazastreifen in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt worden.
Hamas kündigt Reaktion an
Der Islamische Dschihad ist besonders im Gazastreifen aktiv und verübt von dort aus regelmäßig Raketenangriffe auf Israel. Einem Anführer der Organisation zufolge haben "die palästinensischen Fraktionen und ihre bewaffneten Flügel im Gazastreifen ihre Hand am Abzug". Berichten zufolge bemühten sich Ägypten und Katar am Donnerstag um eine Beruhigung der Lage.
Im Sommer hatte die israelische Armee einen großangelegten Militäreinsatz gegen führende Mitglieder des Islamischen Dschihads begonnen. Diese ließen daraufhin mehr als 1.000 Raketen vom Gazastreifen aus auf israelische Ortschaften abfeuern. Nach dreitägigen Kämpfen wurde eine Waffenruhe vereinbart. Im Gazastreifen waren da schon mehr als 40 Menschen ums Leben gekommen und Hunderte verletzt worden.
In einer Stellungnahme der im Gazastreifen herrschende Hamas hieß es nun: "Die israelische Besatzung wird den Preis für das Massaker in Dschenin zahlen." Eine Antwort werde nicht lange auf sich warten lassen. Die Hamas wird von der EU als Terrororganisation eingestuft.
UN-Gesandter besorgt
Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje rief die internationale Gemeinschaft auf, "dringend einzugreifen, um die palästinensische Bevölkerung zu schützen und das Blutvergießen an Kindern, Jugendlichen und Frauen zu beenden".
Der UN-Gesandte Tor Wennesland teilte mit, er sei "zutiefst beunruhigt". Es sei von entscheidender Bedeutung, "die Spannungen unverzüglich abzubauen und weitere Verluste an Menschenleben zu verhindern".
Die US-Regierung drückte ihr Bedauern über die Entscheidung aus. Es sei vielmehr wichtig, dass beide Seiten "die Sicherheitskoordinierung beibehalten und, wenn möglich, sogar noch vertiefen", erklärte Barbara Leaf, US-Chefdiplomatin für den Nahen Osten. Kommende Woche besucht US-Außenminister Antony Blinken Israel und die Palästinensergebiete. Unter anderem sind Treffen mit dem seit Januar wieder amtierenden israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und Palästinenserpräsident Abbas geplant.
Die Lage im Westjordanland ist schon seit langem sehr angespannt. Seit einer Serie von Anschlägen, die Palästinenser im vergangenen Jahr verübt haben, unternimmt Israels Armee dort vermehrt Razzien. Dieses Jahr wurden bereits 30 Palästinenser in Zusammenhang mit Militäreinsätzen oder eigenen Anschlägen getötet, darunter fünf Jugendliche. Im vergangenen Jahr waren es 172 gewesen – so viele wie zuletzt 2006.
Israel hatte 1967 das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Dort leben heute mehr als 600.000 israelische Siedler. Die Palästinenser beanspruchen die Gebiete für einen unabhängigen Staat Palästina mit dem arabisch geprägten Ostteil Jerusalems als Hauptstadt.
- Nachrichtenagentur dpa