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Parlamentswahl in Italien: "Dann können wir Europa zusperren"


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Italien vor der Parlamentswahl
"Dann können wir Europa zusperren"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

23.09.2022Lesedauer: 4 Min.
Silvio Berlusconi, Giorgia Meloni und Matteo Salvini: Die Parteien der drei Politiker könnten die nächste Regierung Italiens stellen.Vergrößern des Bildes
Silvio Berlusconi, Giorgia Meloni und Matteo Salvini: Die Parteien der drei Politiker könnten die nächste Regierung Italiens stellen. (Quelle: IMAGO/Vincenzo Nuzzolese)
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Wie würde eine rechte Regierung Italien und Europa verändern? Der Politikwissenschaftler Günther Pallaver malt ein düsteres Bild.

Italien steht vor einer richtungsentscheidenden Wahl: Am Sonntag gehen bei der Parlamentswahl die postfaschistischen Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni als Favoriten ins Rennen. Gemeinsam mit der Lega von Ex-Innenminister Matteo Salvini und der Forza Italia des langjährigen Regierungschefs Silvio Berlusconi könnten die drei Parteien eine rechte Regierung bilden – und Meloni zur ersten Ministerpräsidentin Italiens machen.

Was würde eine solche Regierung für Italien und Europa bedeuten? Günther Pallaver, emeritierter Politikwissenschaftler der Universität Innsbruck, warnt vor dem Bündnis. Im Gespräch mit t-online erklärt Pallaver, wie Meloni innerhalb weniger Jahre Salvini und Berlusconi hinter sich lassen konnte, warum sie immer wieder auch Deutschland kritisiert und warum linke Parteien in Italien aktuell kaum Erfolg haben.

t-online: Die Fratelli d’Italia (FI) von Giorgia Meloni existieren seit zehn Jahren. In den letzten beiden Parlamentswahlen kamen sie nicht über die Fünf-Prozent-Marke. Warum ist das diesmal anders?

Günther Pallaver: Ein Grund ist, dass die Partei nicht Mitglied in den Regierungen der vergangenen Legislaturperiode war, insbesondere in der Endphase unter Mario Draghi. Dort waren auch die Lega von Matteo Salvini und die Forza Italia von Silvio Berlusconi vertreten. Meloni konnte stattdessen ihre Stimme für all diejenigen erheben, die gerade unter die Räder kommen: Fünf Millionen Menschen leben in Italien an der Armutsgrenze. Dazu kommt, dass man hier Parteien schnell hochlobt, ehe man sich wieder von ihnen abwendet. Zuerst hat man es mit der Forza Italia versucht, dann kamen die Fünf Sterne, danach die Lega. Doch sie haben viele Menschen enttäuscht. Jetzt geben sie Meloni eine Chance, aus dem einfachen Grund, weil sie noch nie an der Macht war.

Günther Pallaver
Günther Pallaver (Quelle: Universität Innsbruck)

Günther Pallaver, geboren 1955 in Bozen in Südtirol, ist am Institut für Vergleichende Föderalismusforschung der Eurac/Europäische Akademie in Bozen tätig. Davor lehrte er zwischen 1989 und 2020 Politikwissenschaft an der Universität Innsbruck. Zu seinen Fachgebieten zählen neben italienischer Politik auch politische Kommunikation und die Zeitgeschichte Südtirols.

Meloni war in der Jugendorganisation der postfaschistischen MSI aktiv, im Logo der Fratelli d‘Italia prangt die grün-weiß-rote Flamme, die an Benito Mussolini erinnert. Vom Faschismus will sie aber heute nichts mehr wissen. Ist ihre Distanzierung glaubhaft?

Es gibt in Italien seit 1946 eine starke neofaschistische Bewegung. Damals wurde die MSI gegründet. Die Partei ging in den Neunzigern in der neuen Alleanza Nazionale auf. Deren führende Köpfe haben danach die Fratelli d’Italia gegründet. Es zieht sich also eine Linie bis zu Meloni durch. Die neuen Faschisten kommen eben nicht mehr in schwarzen Stiefeln, sie demolieren scheibchenweisen die Demokratie. Genau das passiert gerade etwa in Ungarn.

Meloni könnte mit Salvinis Lega und Berlusconis Forza d‘Italia eine rechte Regierung bilden: Sie gibt sich USA-freundlich und unterstützt die Ukraine, im Gegensatz etwa zu Salvini. Wie passt das zusammen?

Meloni hat in den letzten Monaten sehr viel Kreide geschluckt. Der Amerikanismus war auch schon früher in der MSI nicht ungewöhnlich, um die Abgrenzung vom Kommunismus zu betonen. Die Frage ist allerdings, wie lange Meloni ihre Haltung zur Ukraine beibehält. Nicht nur Salvini stellt die Russland-Sanktionen infrage. Umfragen zeigen, dass mehr als 50 Prozent der Italiener das auch so sehen. Der Druck aus der Bevölkerung ist also da. Ich würde nicht ausschließen, dass Meloni nach der Wahl die Kreide ausgeht und sie ihre Meinung ändert.

Wie stabil wäre diese rechte Regierung überhaupt?

Es gibt eine Reihe von Bruchlinien in diesem Bündnis. Viele Beobachter glauben, dass diese Regierung maximal ein Jahr im Amt bleibt. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass eine konservative Partei wie die von Berlusconi zum Steigbügelhalter für Rechtsextreme wird. Dadurch werden rechte Kräfte immer wieder legitimiert. Ähnliches passiert gerade in Schweden, in der Vergangenheit gab es das auch in Österreich.

Was würde denn eine solche rechte Regierung für Italien bedeuten?

Innenpolitisch ist die größte Gefahr, dass die Grundrechte eingeschränkt werden. Meloni spricht immer von einer Nation, aber nie vom Staat. Zu ihrer Nation gehören nur Italiener – und keine ethnischen, religiösen oder sexuellen Minderheiten. Auch das Abtreibungsrecht dürfte eingeschränkt werden. Justiz und Pressefreiheit werden unter Druck geraten. Außenpolitisch wird das Motto lauten: Italien zuerst. Meloni will das italienische Recht über das der Europäischen Union stellen. Dann können wir Europa zusperren, falls sie damit Erfolg hat.

Das klingt nach einer Mischung aus der polnischen und ungarischen Regierung. Wie würden sich die Beziehungen zu Deutschland unter Meloni ändern?

Sie weiß, dass es eine schwelende antideutsche Haltung gibt und nutzt diese für sich. Die Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg und die Wehrmacht sind in Italien noch immer präsent. 2016 sprach sie noch davon, dass Deutschland der "Blutsauger Europas" sei und sich zulasten anderer Länder bereichere. Auch im Rahmen des EU-Aufbauplanes, aus dem Italien 220 Milliarden Euro erhalten soll, sprach sie davon, dass am Ende vor allem "deutsche Banken" davon profitieren. Darin steckt auch eine antisemitische Komponente.

In Deutschland und Italien beherrschen wegen des Ukraine-Krieges ähnliche Themen die Politik: Inflation, Krise, steigende Energiepreise. Gute Chancen für eine Partei mit sozialpolitischem Kern, könnte man meinen. Trotzdem werden der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) von Enrico Letta keine Siegeschancen eingeräumt …

… weil sie diese Politikfelder in der Vergangenheit vernachlässigt haben. Sie haben sich mehr den Grundrechten und den Minderheiten gewidmet. Das sind edle Motive. Aber Themen wie Arbeitslosigkeit sind vernachlässigt worden.

Lettas Problem ist auch, dass die PD und die Fünf Sterne kein Bündnis schmieden wollen. Besteht die Möglichkeit, dass sich die Mitte-Links-Parteien nach dem Wahlsonntag doch noch dazu aufraffen, Meloni zu stoppen?

Wenn es die Ergebnisse hergeben, bin ich sicher, dass die Parteien noch mal koalieren, um eine rechte Regierung zu verhindern. Dafür hat sich auch Beppe Grillo, der Gründer der Fünf Sterne, gerade erst ausgesprochen. Aber das italienische Wahlsystem belohnt Geschlossenheit, was bei der Linken gerade nicht vorhanden ist.

Umfrageergebnisse dürfen in Italien kurz vor der Wahl nicht mehr veröffentlicht werden. Laut den letzten Zahlen könnten allerdings bis zu 42 Prozent der Wahlberechtigten nicht zur Wahl gehen oder noch unentschlossen sein. Könnte es also noch zu einer Überraschung kommen?

Ich gehe davon aus, dass das rechte Bündnis gewinnt. Aber es wird kein überwältigender Wahlsieg. Unter den Nichtwählern könnte es durchaus zu einer Mobilisierung gekommen sein – und bei ihnen sollen etwa zwei Drittel eher mit linken Parteien sympathisieren.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Günther Pallaver
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