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Geheimdienst-Experte: "KGB-Leute verhalten sich anders als Putin"


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Geheimdienst-Experte über Putin
"Mittlerweile kommt bei ihm eine Art Endzeitstimmung auf"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

21.07.2022Lesedauer: 5 Min.
Wladimir Putin: Bevor er der Präsident Russlands wurde, war Putin für die Geheimdienste KGB und FSB tätig.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin: Bevor er der Präsident Russlands wurde, war Putin für die Geheimdienste KGB und FSB tätig. (Quelle: imago-images-bilder)
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Wie sehr wurde der russische Präsident durch seine Zeit beim Geheimdienst geprägt? Der Spionage-Kenner Erich Schmidt-Eenboom sieht in Putin bis heute den KGB-Mann.

"Absolute Treue" gegenüber Staat und Volk habe er beim KGB gelernt, erklärte Wladimir Putin 2014. In den sowjetischen Geheimdienst trat er in den 1970er-Jahren ein, ab 1985 war der junge Agent für fünf Jahre bis zum Fall der Mauer in Dresden stationiert. Auch nach dem Ende der Sowjetunion blieb er den Geheimdiensten treu, als er Ende der 1990er-Jahre Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB wurde.

Für Erich Schmidt-Eenboom ist in Putins Handeln noch immer die Handschrift eines Agenten erkennbar. Der 68-Jährige muss es wissen: Seit mehr als 30 Jahren befasst sich der Friedensforscher mit Spionage und hat selbst viele ehemalige KGB-Männer kennengelernt, wie er im Gespräch mit t-online verrät. Im Interview spricht der Experte auch davon, warum er Putin nur schwer einschätzen kann, warum vieles in seinem Handeln lediglich Fassade ist und warum die Anzeichen für einen Krieg in der Ukraine lange erkennbar waren.

t-online: Es heißt immer wieder, dass das politische Denken und Handeln von Wladimir Putin von seinen Tätigkeiten als Geheimdienstler geprägt ist. Wie und wo äußert sich das am deutlichsten?

Erich Schmidt-Eenboom: Putin wurde stark davon geprägt, wie er als KGB-Mann in Dresden erleben musste, dass eine bürgerliche Revolution die DDR zum Einsturz gebracht hat. Auch seine Zeit als Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB Ende der Neunziger war von Bedeutung, weil sich damals mehrere Nachfolgeorganisationen des KGB bekämpften. In dieser Zeit soll Putin mindestens drei Attentate überlebt haben. Putin ist ungemein vorsichtig, teilweise ängstlich geworden. Gleichzeitig scheut er nicht davor zurück, andere Politiker umbringen zu lassen.

Er fürchtet also ständig um sein eigenes Leben und hat gleichzeitig Angst, dass sein Volk die russische Ordnung zerstört?

2016 hat der Bundesnachrichtendienst eine Charakterstudie über Putin angefertigt. Dort heißt es: Sein Vorbild ist ein eiskalter, kluger Machtpolitiker. Die westlichen Geheimdienste gingen immer davon aus, dass er ausgesprochen rational und brutal handelt. Allerdings kommt mittlerweile auch eine Art Endzeitstimmung bei ihm auf, was mit seinem Alter und seiner Gesundheit zusammenhängen könnte.

Sein öffentliches Auftreten ist meistens kühl. Dabei soll er in Profilen von Geheimdiensten als impulsiv beschrieben worden sein, auch Risiken soll er schlecht einschätzen können.

Er unterdrückt in der Tat seine Emotionen. Es heißt immer wieder, dass Putin bei Tagungen oder Besprechungen cholerische Anfälle hat. Öffentlich ist er der coole Staatsmann. Gesichtsausdruck und Haltung zeigen aber, dass er sich oft dazu zwingen muss. Diese Rolle spielt Putin für die Medien.

Erich Schmidt-Eeenboom, 68, ist Vorsitzender des Vereins "Forschungsinstitut für Friedenspolitik" und gilt als einer der führenden deutschen Geheimdienst-Experten. Seit den Achtzigern beschäftigt er sich vor allem mit dem Bundesnachrichtendienst (BND) und hat zu dem Thema zahlreiche Bücher verfasst. In den Neunzigern wurde er jahrelang selbst von dem Geheimdienst beschattet, was einen Skandal auslöste.

Hat er sein Pokerface beim KGB erlernt?

Führende KGB-Leute verhalten sich anders als Putin – und ich habe mit der Zeit viele von ihnen kennengelernt. Diese KGB-Generäle waren gebildeter und ruhiger als Putin. Vielleicht ist er auch deswegen kein General geworden, sondern Oberstleutnant geblieben.

Es gibt Menschen, die ihn zu Beginn seiner Amtszeit als Präsident als vergleichsweise liberal bezeichnet haben. Andere sagen: Er war und ist bis heute ein KGB-Mann geblieben.

Ich würde der zweiten Einschätzung zustimmen: Putin hat systematisch die Demokratie beseitigt und sein Militär gestärkt. Aus meiner Sicht hat er kontinuierlich darauf hingearbeitet, so zu agieren, wie er es heute tut. Alles andere war Fassade. Für den Westen war Putin lange der Wolf im Schafspelz. Den Niedergang der Sowjetunion wollte er schon lange rückgängig machen, bereits zu seinen Zeiten beim FSB.

Zudem heißt es, er habe sich seit der Corona-Pandemie immer stärker isoliert und kaum mehr auf seine Berater gehört.

Ob die Pandemie dazu geführt hat, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber, dass er sich vor Kriegsbeginn mehrfach verschätzt hat: Putin dachte etwa, dass die Nato nach US-Präsident Trump am Ende sei. Gleichzeitig hielt er die EU für zerstritten und wegen Corona für kaum handlungsfähig. Zudem hat ihm sein Militär offenbar vorgegaukelt, er könne die Ukraine mit einem Blitzkrieg in wenigen Tagen einnehmen.

Das heißt, Putin ist wirklich nur noch von Jasagern umgeben?

Er umgibt sich vor allem mit Leuten aus den Geheimdiensten: Nach BND-Studien kontrollieren sie etwa 50 Prozent des Kremls und 30 Prozent aller Ministerien. Putin hat auch aus einigen Topagenten Oligarchen gemacht.

Dennoch wirkten viele bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs überrascht. Kurz davor hieß es noch vom Kreml, man werde Teile der Truppen aus dem Grenzgebiet verlegen. Beim Gas zeigt sich ein ähnliches Muster: Zwar fließt, wie von Putin zuvor angedeutet, wieder Gas durch die Pipeline Nord Stream 1. Gleichzeitig droht er aber mit dem Gegenteil.

Putin ist unberechenbar. Das ist sein Markenzeichen. Er und sein Außenminister Lawrow haben schlichtweg gelogen, als sie sagten, dass Russland keinen Krieg plane. Dabei hatten die westlichen Nachrichtendienste schon früh konkrete Informationen, dass das Gegenteil der Fall ist. Diese Unkalkulierbarkeit zeigt sich auch, wenn er immer wieder eine nukleare Drohkulisse aufbaut.

Auch beim Gas spielt er jetzt die Sphinx: All das dient dazu, seine Gegner zu verunsichern. Es war auch lange klar, dass das Militär zentral für seine Außenpolitik ist: Schon im zweiten Tschetschenienkrieg legten die Russen Grosny in Schutt und Asche. Das Gleiche taten sie nun in Mariupol. Die zaristische Außenpolitik und die Expansionsgelüste Russlands ziehen sich wie ein roter Faden durch die BND-Berichte. Doch das kam in der Politik nicht an.

Auf der anderen Seite heißt es, dass Putin trotz seiner Vergangenheit seine Geheimdienste an den konkreten Kriegsplänen kaum teilhaben ließ. Den Chef des Auslandsgeheimdienstes SWR ließ er öffentlich kurz vor Kriegsbeginn auflaufen. Wie passt das zusammen?

Den SWR hat Putin in der Tat kaum eingeweiht. Denn in seiner Erzählung ist die Ukraine ein Teil Russlands. Daher setzt er auf den FSB – und der ist dort ausgesprochen erfolgreich. Deshalb tauscht Selenskyj auch viele Personen gerade in seinen Nachrichtendiensten aus, da die Russen viele Bereiche unterwandert haben. Wie wichtig der FSB ist, sehen Sie auch daran, dass nach Kriegsbeginn viele ukrainische Bürgermeister sehr schnell getötet oder gefangen genommen wurden. Das geht nur, weil der FSB vorher sogenannte Todeslisten erstellt hat.

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Wenn Putins Handeln so stark von Spionen geprägt ist: Lassen sich daraus Schlüsse ziehen, was er als Nächstes tun wird?

Leider nicht, denn seine erwähnte Unkalkulierbarkeit macht das unmöglich. Er wird immer wieder neue Optionen ins Spiel bringen und andere wieder verwerfen. Aber ausrechenbar ist Putin nicht.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Erich Schmidt-Eenboom
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