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Diese 6 Krisen-Szenarien kommen auf uns zu


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Krisen-Szenarien
Die Vollkasko-Jahre sind vorbei

MeinungVon Marcus Ewald

22.06.2022Lesedauer: 5 Min.
Dunkle Wolken: Bei den kommenden Krisen wird es nicht einfach möglich sein, die Probleme mit Geld zuzuschütten.Vergrößern des Bildes
Dunkle Wolken: Bei den kommenden Krisen wird es nicht einfach möglich sein, die Probleme mit Geld zuzuschütten. (Quelle: Florian Gaertner/photothek.de/imago-images-bilder)
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Überall nur Krisen, selten war die Welt so unsicher. Deshalb erwartet Krisenberater Marcus Ewald: Es kommen richtig harte Zeiten auf uns zu.

Ob Finanz-, Corona- oder zuletzt Ukraine-Krise: Das deutsche Management dieser Krisen bestand meistens darin, so lange Geld auf die Probleme zu werfen, bis die größten Schmerzen gelindert waren. Seien es Kurzarbeit und Bankenrettungen 2009, massive finanzielle Unterstützung für zahlreiche Branchen während der Lockdowns oder eben seit Kurzem der Tankrabatt.

Ob die steigende Inflation, zusammengebrochene Lieferketten, drohende Energieengpässe oder sich abzeichnende Dürren: Die Themen sind so vielfältig und so bedrohlich, dass in den meisten Hauptstädten der Welt niemand so recht weiß, wo er eigentlich anfangen soll.

Droht uns nun ein globaler Worst Case, also das schlimmstmögliche Szenario? Sicherlich nein. Tritt überall der Best Case ein, also das bestmögliche Szenario? Leider lautet auch hier die Antwort: ziemlich sicher nein.

Diese Unvorhersehbarkeit hat Folgen. Gut möglich, dass sich aus dem Potpourri all der globalen Probleme Krisen ergeben, die so gigantisch sind, dass der deutsche Staat sie nicht mehr wegsubventionieren kann. Jede und jeder in unserem Land würde sie dann dramatisch spüren. Auf einen solchen Schock wäre unser politisches System nicht vorbereitet.

Aber was ist zu tun? Erst einmal muss man sich für jeden Problembereich natürlich die Ausgangslage klarmachen, dann die sogenannte Kernunsicherheit definieren und schließlich die Spanne der möglichen Szenarien skizzieren. Kernunsicherheit wird im Krisenmanagement der Treiber von Szenarien genannt.

Die Kernunsicherheit ist jene entscheidende, aber vollkommen unvorhersehbare Variable, die letztlich darüber entscheidet, welche Realität zwischen Best und Worst Case schließlich eintritt.

Marcus Ewald ist hauptberuflicher Krisenmanager und Krisenberater. Seine jahrelange Erfahrung in der Arbeit mit Unternehmen, Kirchen und Verbänden lehrte ihn: Alles kann passieren. Szenarien sind das wichtigste Werkzeug, um in unübersichtlichen Lagebildern die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Ich will meine Überlegungen im Folgenden für sechs Problembereiche darlegen: Sie reichen vom Anstieg der Zinsen über die Zukunft der Energieversorgung bis zur globalen Instabilität.

1. Zinssteigerungen: Weiche Landung oder das Platzen der Everything-Blase?

Die Ausgangslage: In den USA endet eine lange Niedrigzins-Periode, und die Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) Christine Lagarde hat am 20. Juni angekündigt, dass auch die EZB im Juli und September die Zinsen erhöhen wird. Der Grund für diesen Schritt ist die Bekämpfung der Inflation, die in den USA bereits ungefähr auf dem Niveau von 1980 liegt.

Die Kernunsicherheit: Wie stark wirken sich die Zinserhöhungen auf die Realwirtschaft aus? Die Szenarien gehen stark auseinander. Im Best Case gelingt den Notenbanken ein sogenanntes "Soft Landing", also eine graduelle Abkühlung der Wirtschaft ohne Rezession. Im Worst Case platzt das, was einige Ökonomen die "Everything Bubble" nennen – demnach wären fast alle Finanzanlagen derzeit hoffnungslos überbewertet und die Korrektur entsprechend dramatisch. Die Folge wäre ein massiver Rückgang der Steuereinnahmen in Europa und den USA oder sogar die Rückkehr der Arbeitslosigkeit.

2. Die Eurokrise: Normalisierung der Staatsanleihen oder die Rückkehr von 2012?

Die Ausgangslage: Um die Inflation zu bekämpfen, könnte die EZB die Kaufprogramme für Staatsanleihen der Euroländer zurückfahren. Die Folge wären wieder steigende Zinsen auf Staatsschulden.

Die Kernunsicherheit: Lassen steigende Zinsen für Staatsanleihen die Eurokrise wieder auflodern? Im besten Fall ist hier nichts zu befürchten. Im Worst Case fangen wir wieder da an, wo uns der damalige EZB-Chef Draghi 2012 mit seiner "Whatever it takes"-Rede gerettet hatte: Die Notenbank werde alles tun, was in ihrer Möglichkeit steht, um die Gemeinschaftswährung zu retten.

3. Exportmarkt China: Business as usual oder breite Entflechtung?

Die Ausgangslage: Deutschland ist eine Exportnation – und die braucht Märkte. Die finden wir zuvorderst in Europa und den USA. Russland fällt weg – und der Sehnsuchtsmarkt China beginnt zu wackeln. Die Weigerung der Bundesregierung vom 27. Mai, staatliche Garantien für ein neues VW-Werk in China zu gewähren, sind hier eventuell ein Vorbote für kommende Probleme.

Die Kernunsicherheit: Nehmen die Spannungen mit China zu oder ab? Im Best Case bleibt der chinesische Markt für deutsche Unternehmen offen. Im Worst Case sehen sich der deutsche oder der chinesische Staat gezwungen, die wirtschaftlichen Verbindungen zu kappen.

4. Die Energieversorgung: Bleiben Gaslieferungen stabil oder wird Gas zur Waffe?

Die Ausgangslage: Russland ist im Krieg und kann sich eine Niederlage nicht leisten. Es ist absolut rational für Putin, jeden Hebel zu nutzen, um die westliche Unterstützung für die Ukraine zu minimieren. Der beste Hebel gegen Deutschland: Gaslieferungen.

Die Kernunsicherheit: Wird Putin Gaslieferungen als Waffe nutzen? Im Best Case hält sich Putin an bestehende Verträge und irgendein Kompromiss sichert die Lieferungen. Im Worst Case werden die Lieferungen noch im Laufe des Jahres enden – und sich damit die negativen ökonomischen Konsequenzen in der deutschen Chemieindustrie realisieren.

5. Corona: Eine zweite Grippe-Saison oder neue Mutationen?

Die Ausgangslage: Die Corona-Pandemie ist nicht zu Ende. Sie ist in einer neuen Phase: Es droht derzeit nicht ständig eine unmittelbare Überlastung des Gesundheitssystems, den Impfungen sei Dank. Allerdings waren im Frühjahr die Arbeitsausfälle durch Corona bereits eine erhebliche Belastung für deutsche Unternehmen und das Gesundheitssystem.

Die Kernunsicherheit: Niemand kann vorhersagen, ob und wie das Virus weiter mutiert. Im Best Case reicht die geplante Impfkampagne aus, um im Herbst und Winter die einigermaßen reibungslose Funktionsfähigkeit der Gesellschaft zu erhalten. Im Worst Case mutiert das Virus abermals weiter und es drohen im Winter 2022/23 wieder massive Arbeitsausfälle oder sogar Kontaktbeschränkungen.

6. Globale Instabilität: Wirksame Hilfsprogramme oder neue Massenmigration?

Die Ausgangslage: Zusätzlich zu den genannten fünf Bereichen drohen global Hunger und Dürren, die dazu führen, dass einerseits die Prognosegüte für globale Entwicklungen sinkt und anderseits Migrationsbewegungen auf Europa zukommen.

Die Kernunsicherheit: Wie gelingt es der internationalen Gemeinschaft, Hunger und Konflikte einzudämmen? Im Best Case bleibt alles ungefähr gleich. Im Worst Case droht eine Flüchtlingskrise wie 2015, die dann wiederum zu erheblicher europäischer Unstimmigkeit führen könnte.

Fazit: Die Vollkasko-Jahre sind vorbei

Wird überall der Worst Case eintreten? Eher nein. Aber wie gesagt: Es ist genauso unwahrscheinlich, dass diese Krisen alle im Best Case enden.

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Ein Szenario wird also immer wahrscheinlicher: Die fetten Jahre sind vorbei. Denn der deutsche Staat und deutsche Unternehmen können sich nicht mehr zum Nulltarif verschulden. Beide haben diese Jahre nicht für langfristige Investitionen in Infrastruktur, Bildung oder Technologie genutzt. Die Zinsausgaben im Staatshaushalt werden zudem zunehmen.

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Und schließlich kann das Diktat der Schuldenbremse großflächige Subventionen unterbinden. Und selbst ohne Schuldenbremse könnte das Geld aus Steuereinnahmen und Neuverschuldung schlicht nicht reichen.

Szenarien sind keine Prognosen – dennoch müssen Entscheider in Deutschland und Europa damit planen: Vermutlich sind die Vollkasko-Jahre vorbei.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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