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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ukrainischer Außenminister bei "Anne Will" Kuleba: "Dann werden wir mit Schaufeln kämpfen"
Wird Scholz für seine Ukraine-Politik zu Unrecht "abgewatscht"? Aus Sicht von Dmytro Kuleba hat sich die Haltung des Bundeskanzlers zwischenzeitlich geändert.
In Anne Wills Talkshow zum Thema "Solidarität mit der Ukraine – wozu sind Deutschland und Europa bereit?", zeigte sich EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuversichtlich, dass der Europäische Rat positiv über den Kandidatenstatus der Ukraine abstimmen werde. "Ich gehe fest davon aus", sagte sie im Interview mit der Moderatorin am Sonntagabend in der ARD.
Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba begrüßte diese Aussicht, mahnte aber ein stärkeres Engagement bei der Lieferung von Kriegsmaterial an. "Wenn wir keine Waffen erhalten, dann werden wir mit Schaufeln kämpfen, aber wir werden uns verteidigen, denn dieser Krieg ist ein Krieg um unsere Existenz", erklärte der ukrainische Regierungsvertreter.
Russland habe im Donbass die gesamte Feuerkraft konzentriert und mache die Ukraine platt, warnte auch Militärexpertin Claudia Major. Die Rückeroberung dieses umkämpften Gebiets wie auch der Krim bezeichnete sie vor diesem Hintergrund als militärisch "extrem schwer vorstellbar".
Die Gäste:
- Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin
- Dmytro Kuleba, Außenminister der Ukraine
- Michael Müller, SPD-Bundestagsabgeordneter
- Johann David Wadephul, CDU-Bundestagsabgeordneter
- Christoph Schwennicke, t-online-Kolumnist
- Claudia Major, Politikwissenschaftlerin
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach im Zusammenhang mit dem wahrscheinlichen Beitrittskandidatenstatus der Ukraine von einem historischen Schritt, den sich das osteuropäische Land verdient habe.
"Die Ukraine ist eine robuste parlamentarische Demokratie, sie hat eine ganz lebhafte Zivilgesellschaft", lobte sie. Allerdings benannte die CDU-Politikerin auch Defizite, beispielsweise in der Korruptionsbekämpfung. "Da hat die Ukraine noch Arbeit vor sich, aber es ist zu schaffen", resümierte die EU-Spitzenpolitikerin optimistisch.
Kandidatenstatus laut Kuleba "ganz klare Botschaft"
Der zur Diskussionsrunde zugeschaltete ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba machte deutlich, dass von der Anerkennung seiner Heimat als Teil des europäischen Integrationsprojektes eine "ganz klare Botschaft" ausgehen würde. Über die Dauer eines eventuellen Beitrittsprozesses machte sich der ukrainische Politiker keine Illusionen. "Es geht mir im Augenblick gar nicht so sehr um die Zeit", betonte er.
Kuleba äußerte sich auch zur Ukraine-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz und lobte dessen Entgegenkommen im Bereich der Verteidigungszusammenarbeit. Er habe Scholz als signifikant verändert und deutlich verständnisvoller wahrgenommen, konstatierte der Außenpolitiker. Als Ursache für diesen Wandel vermutete Kuleba, dass Scholz' Besuche in Irpin und Butscha einen bleibenden Eindruck der russischen Kriegsverbrechen hinterlassen haben könnten.
Mit Blick auf die immer wieder von der Ukraine geforderten Waffenlieferungen sah der Minister Deutschland und Europa moralisch in der Pflicht. "Je später Sie uns die Waffen schicken, desto mehr Menschen werden früher sterben", fasste Kuleba die Situation zusammen.
Wird Bundeskanzler Scholz zu Unrecht "abgewatscht"?
"Ich finde, Politik sollte nicht von Moral aufgeladen sein, sondern von Realismus und Pragmatismus geprägt sein", befand hingegen Christoph Schwennicke. Ihm widerstrebe, "wie Deutschland und insbesondere der deutsche Bundeskanzler da so zum Watschenbaum gemacht" würden, sagte der t-online-Kolumnist.
Die Ukraine vertrete ihre Interessen zwar "sensationell gut", Deutschland und die Nato verfolgten aber auch legitime eigene Ziele, beispielsweise das, nicht Kriegspartei zu werden. "Es ist nicht zwingend Zögern, sondern es kann einfach auch Abwägen sein", äußerte Schwennicke hinsichtlich der vielfach als zu zurückhaltendend kritisierten Vorgehens- und Kommunikationsweise der Bundesregierung.
Damit positionierte sich der Journalist nahe bei SPD-Politiker Michael Müller, der vor der Gefahr einer verbalen und militärischen Eskalation des Konflikts warnte. Man müsse genau darauf achten, "was man in Aussicht stellt, was man versprechen kann, was man unterstützen kann", so der ehemalige Regierende Bürgermeister Berlins. Finanziell und humanitär tue Deutschland sehr viel. "Auch das ist wichtig, damit die Ukraine sich jetzt behaupten kann", führte der Sozialdemokrat zur Verteidigung der Bundesregierung an.
CDU-Mann zieht bittere Bilanz aus Scholz-Reise
Kritischer fiel erwartungsgemäß das Urteil des Oppositionspolitikers Johann David Wadephul aus. Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zog aus dem Ukraine-Besuch des Bundeskanzlers die "bittere Bilanz", dass dieser mit leeren Händen gekommen sei. "Man muss jetzt alles tun, was irgend möglich ist, und das tut Deutschland nicht", kritisierte der Christdemokrat angesichts der "humanitären Ungeheuerlichkeit, die hier mitten in Europa geschieht". Einen Konflikt zwischen den eigenen und den ukrainischen Interessen stritt Wadephul ab: "Je schneller wir diesen Krieg beenden, umso besser auch für Deutschland."
Dass eine Niederlage der Ukraine enorme Nachteile mit sich brächte, unterstrich die Politologin Claudia Major. "Wenn Russland diesen Krieg gewinnen sollte und die Ukraine als eigenständiger Staat nicht mehr existieren sollte, wäre es um unsere deutsche und europäische Sicherheit extrem schlechter bestellt als jetzt", erläuterte die Militärexpertin. Daher gehe es nun darum, der Ukraine ausreichend Mittel zur Verfügung zu stellen, damit diese überlebe.
Dem Land mangele es "in einer Phase, wo der den Krieg gewinnt, der länger durchhält", und die Wirtschaft voraussichtlich um 35 Prozent einbrechen werde, an Ausrüstung, Treibstoff, Munition und langfristig auch an Personal. Auf die Frage danach, ob die Ukraine dem russischen Druck also noch standhalten könne, hatte die Sicherheitsexpertin der Stiftung Wissenschaft und Politik eine ernüchternde Antwort parat: "Ohne unsere westliche Unterstützung nicht mehr lange."
- "Anne Will" vom 19.6.2022