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Zum journalistischen Leitbild von t-online.TV-Ansprache von Olaf Scholz Wieso, weshalb, warum
Olaf Scholz wendet sich in einer TV-Ansprache an die verunsicherte Bevölkerung – und erklärt so deutlich wie nie seine Politik. Aber reicht das für seine persönliche Zeitenwende?
Hat Olaf Scholz etwas Neues gesagt?
Nein. In der Sache ist Scholz bei seiner Linie der vergangenen Wochen geblieben und hat seine bisherigen Entscheidungen verteidigt. Der Bundeskanzler hat nichts angekündigt, was über seine bisherige Politik hinausgeht. Im Gegenteil: Olaf Scholz hat detailliert begründet, warum er eben "nicht einfach alles" tue, "was der eine oder die andere gerade fordert".
Scholz leitet dafür "vier klare Grundsätze" aus seinem Amtseid ab, in dem er geschworen habe, "Schaden vom deutschen Volk abzuwenden". Diese Grundsätze für die Ukraine-Hilfe sind das Herzstück seiner Ansprache.
Es dürfe, erstens, "keine deutschen Alleingänge" geben. Die deutsche Verteidigungsfähigkeit müsse, zweitens, erhalten bleiben. (Was beides das Vorgehen bei der Lieferung schwerer Waffen erklären soll.)
Drittens unternehme Deutschland "nichts, was uns und unseren Partnern mehr schadet als Russland". (Das ist die Begründung für die zögerliche Haltung beim Energieembargo.) Und man werde, viertens, "keine Entscheidung treffen, die die Nato Kriegspartei werden lässt". (Also kein direktes Eingreifen, etwa mit einer Flugverbotszone.)
Scholz bekennt sich dazu, der Ukraine weiter zu helfen, was ebenfalls nicht überraschend ist. "Angst darf uns nicht lähmen", ruft er denen zu, die angesichts der Waffenlieferungen Sorgen vor einer Ausweitung des Krieges haben.
Das alles leitet Scholz aus dem 8. Mai ab, dem Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus: "In der gegenwärtigen Lage kann dies nur bedeuten: Wir verteidigen Recht und Freiheit – an der Seite der Angegriffenen."
Wie hat er seine Botschaft rübergebracht?
Der Bundeskanzler neigt nicht unbedingt zu Gefühlsausbrüchen. Er ist überzeugt, dass die Bürger einen Regierungschef wollen, der auf sachliche Art Probleme löst. Persönliche Befindlichkeiten und andere Emotionen haben demnach im wichtigsten Amt des Landes eher nichts zu suchen.
An seinen eigenen Maßstäben gemessen hat Scholz eine durchaus besondere Ansprache gehalten. Denn sie ist eher persönlich, emotional und empathisch.
"Für mich ist dies ein 8. Mai wie kein anderer", sagt der Kanzler etwa. Oder er unterstreicht: "Aus der katastrophalen Geschichte unseres Landes zwischen 1933 und 1945 haben wir eine zentrale Lehre gezogen. Sie lautet: 'Nie wieder!'" Dann führt er aus: "Nie wieder Krieg. Nie wieder Völkermord. Nie wieder Gewaltherrschaft."
Scholz will auch zeigen, dass er nicht aus einem Berliner Raumschiff heraus regiert: "Aus vielen Äußerungen, die ich dieser Tage höre, spricht ernste Sorge. Sorge auch davor, dass sich der Krieg ausweitet, dass der Frieden auch bei uns in Gefahr geraten könnte." Und er will natürlich Hoffnung machen: "Ich bin zutiefst überzeugt: Putin wird den Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine wird bestehen. Freiheit und Sicherheit werden siegen."
Politiker wie Barack Obama oder Emmanuel Macron hätten vermutlich noch persönlicher und noch eindringlicher gesprochen. Aber das ist ein eher theoretischer Maßstab.
Scholz bleibt grundsätzlich Scholz. Auch wenn sich in seiner Ansprache Anzeichen dafür finden, dass er offenbar seine Lernfähigkeit beweisen will. Der Kanzler verlässt seine Maxime, die er sonst bei öffentlichen Auftritten oft befolgt ("Rede, ohne etwas zu sagen"). Er spricht kurz und knapp – und damit auch verständlich.
Erklärt er seine Politik besser als vorher?
Das ist durchaus so. Allein das kurze TV-Format führt dazu, dass Scholz pointierter spricht und damit für viele Menschen nachvollziehbarer als bei vielen anderen Gelegenheiten. Seine "Zeitenwende"-Rede im Bundestag wurde zwar ebenfalls hochgelobt, aber nur ein Bruchteil der Deutschen wird sie überhaupt komplett gesehen haben.
Scholz spart Details aus, nennt zum Beispiel keinen einzigen Panzer-Typ, ja spricht noch nicht mal von "schweren Waffen". Das bewahrt ihn davor, sich im Klein-Klein zu verheddern, wie es ihm bei der Pressekonferenz passiert ist, in der er die Gepard-Lieferung und den Ringtausch mit osteuropäischen Nato-Ländern (diese liefern Waffen aus Sowjetzeiten an die Ukraine und bekommen dafür welche aus Deutschland) angekündigt hatte.
Trotzdem – oder: gerade deshalb – erklärt und rechtfertigt er klarer und deutlicher als bisher, warum er genau so handelt, wie er es tut.
Überzeugt er damit seine Kritiker?
Die Kritiker von Scholz bemängeln vor allem zwei Dinge: seine Kommunikation und seine Politik. Daran wird sich so schnell kaum etwas ändern.
Denn inhaltlich hat Scholz in seiner Ansprache deutlich gemacht, dass er seinen grundsätzlichen, abwägenden Kurs nicht ändern wird. Die Regierung tue "nicht einfach alles, was der eine oder die andere gerade fordert. Denn: Ich habe in meinem Amtseid geschworen, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden".
Das bedeutet: Deutschland wird der Ukraine auch künftig nur so viel helfen, dass es nicht zur Kriegspartei wird. Vielen auch in der Regierung wird diese Position weiterhin zu zögerlich sein. Nur müssen Scholz‘ Kritiker im Zweifel die Folgen ihrer eigenen Forderungen nicht verantworten.
Kritik gab und gibt es auch an der Kommunikation des Kanzlers. Und es stimmt ja, dass Scholz nicht immer glücklich agiert. So ist es auch dieses Mal: Mit der Ankündigung einer TV-Ansprache hat er durchaus Erwartungen geweckt, dass etwas Außergewöhnliches wie seine baldige Reise nach Kiew bevorstehen könnte.
Bei allen kommunikativen Problemen bemüht sich der Kanzler allerdings deutlich mehr als seine Vorgängerin, seine Politik zu erklären. Er hat bereits zu Beginn des Krieges eine TV-Ansprache gehalten, hat sich immer wieder insbesondere im Fernsehen Fragen gestellt (etwa im Februar im ARD-"Bericht aus Berlin" kurz vor seinem Abflug nach Washington oder vor einigen Tagen in der ZDF-Sendung "Was nun?"). Auch ist er in den sozialen Medien präsenter als Angela Merkel.
Seine Kritiker besänftigt hat das alles bislang jedoch nicht.
- TV-Ansprache von Bundeskanzler Olaf Scholz vom 8. Mai 2022
- Eigene Recherchen