Massaker von Butscha Was der BND über die Kriegsverbrecher weiß
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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Das Massaker an Zivilisten im ukrainischen Butscha löst weltweit Entsetzen aus. Laut t-online-Informationen hatte der BND die Lage über Wochen beobachtet. Die Belege für russische Gräueltaten seien "umfassend und detailliert".
Der Massenmord an ukrainischen Zivilisten im Kiewer Vorort Butscha hat der Welt einmal mehr das brutale Vorgehen der russischen Armee vor Augen geführt. Über 400 Leichen haben ukrainische Behörden mittlerweile auf der Straße, in zerstörten Wohnhäusern oder in der Erde geborgen. In einer Grube hinter der St.-Andreas-Kirche hatten Putins Truppen Hunderte Menschen verscharrt, bevor sie die Stadt verließen. Dutzende Leichen ließen sie auf offener Straße liegen, teils mit verbundenen Händen und Schusswunden im Kopf und Nacken.
Nach dem Bekanntwerden der Gräueltaten kündigten mehrere westliche Staaten an, die Sanktionen gegen Russland zu verschärfen. Auch sollen verstärkt schwere Waffensysteme in die Ukraine geliefert werden. Nato-Generalsekretär Stoltenberg sagte am Freitag: "Die Alliierten sind bereit, mehr und auch modernere und schwerere Waffen zu liefern."
BND beobachtete die russischen Truppen in Butscha "über Wochen"
Laut t-online-Informationen hatte der Bundesnachrichtendienst (BND) die Geschehnisse in Butscha seit Wochen genau im Blick – und zwar "auf allen Ebenen" der Informationsbeschaffung, heißt es aus Sicherheitskreisen. Das schließe die Analyse von Satellitenbildern, abgehörten Funksprüchen sowie weiterer elektronischen Kommunikation ein. Die Belege für die Gräueltaten russischer Truppen seien "umfassend und detailliert". "Es besteht kein Zweifel, dass die russische Armee diese Verbrechen begangen und systematisch Zivilisten ermordet hat", sagt eine mit der Angelegenheit vertraute Person t-online.
Die russische Armee begann ihren Angriff auf Butscha mit Fallschirmjägern und Panzern am 27. Februar und erlangte spätestens am 12. März volle Kontrolle über den Ort. Am 30. März zogen die Truppen ab.
Zuvor hatte der "Spiegel" über Funksprüche aus der Region nördlich von Kiew berichtet, die der BND offenbar abgefangen hat. Dort liegt auch Butscha. In mitgeschnittenen Gesprächen sollen sich russische Soldaten offen über gezielte Tötungen an ukrainischen Zivilisten ausgetauscht haben. So habe beispielsweise ein Soldat einem anderen erzählt, er und seine Kollegen hätten auf einen Radfahrer geschossen. In einem anderen Funkspruch soll ein Mann sagen, man befrage Soldaten erst, dann erschieße man sie. Die Soldaten hätten sich über das Morden unterhalten, als wäre es Alltag, zitiert der "Spiegel" aus einer BND-Unterrichtung des Parlaments.
Ein in den vergangenen Tagen vom ukrainischen Militär veröffentlichtes Drohnenvideo zeigt, wie ein russischer Panzer in Butscha auf einen Fahrradfahrer feuert. Die Leiche des Mannes lag noch auf der Straße, nachdem die Russen abgezogen waren. Ob die Szene dem abgehörten Funkspruch des BND zugeordnet werden kann, ist jedoch unklar.
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Wer sind die Schlächter von Butscha?
Wer genau die Gräueltaten in dem Kiewer Vorort begangen hat, ist nun Gegenstand von Ermittlungen. Laut t-online-Informationen geht der BND davon aus, dass sowohl reguläre russische Soldaten als auch speziell ausgebildete Kämpfer, die in brutaler Kriegstaktik und dem gezielten Töten von Zivilisten erprobt sind, beteiligt gewesen sind. Das gelte auch für die Söldner der berüchtigten "Gruppe Wagner", die weltweit verdeckt in Moskaus Auftrag operieren und denen Menschenrechtsverletzungen etwa in Syrien und Libyen vorgeworfen werden.
Augenzeugenberichten zufolge waren zunächst junge russische Soldaten in Butscha stationiert. Kurz darauf seien ältere, härtere Kämpfer des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB nachgerückt, erzählte eine Bewohnerin der Nachrichtenagentur Reuters. Danach verschlimmerte sich die Situation deutlich. "Direkt vor meinen Augen schossen sie auf einen Mann, der zum Einkaufen in einen Supermarkt gehen wollte", so die Bewohnerin zu Reuters.
Auch laut BND-Informationen sei ein Teil der zunächst in Butscha stationierten Truppen ausgetauscht worden, heißt es aus Sicherheitskreisen. Dieser Austausch habe zumindest teilweise "im Rahmen regulärer Rotation von Streitkräften" stattgefunden, etwa wenn Frontsoldaten nach der Einnahme einer Stadt durch nachrückende Einheiten ausgewechselt werden.
"Alle Kriegsverbrecher werden verfolgt und angeklagt"
Zu den regulär in Butscha operierenden Soldaten gehörte laut ukrainischem Geheimdienst vor allem die 64. motorisierte Schützenbrigade. Dazu veröffentlichte die Behörde eine umfangreiche Liste mit Namen, Geburts- und Passdaten Hunderter russischer Soldaten. "Alle Kriegsverbrecher werden verfolgt und angeklagt", kommentierte der Geheimdienst die Veröffentlichung. Als Drahtzieher der Gräueltaten soll der Kommandeur der Brigade, Oberstleutnant Azatbek Omurbekov, gelten.
Estnische Datenanalysten haben die Herkunft der Soldaten anhand ihrer Passinformationen nachvollzogen und in einer Karte aufbereitet. Sie zeigt: Die Kämpfer kommen aus allen Teilen Russlands – aus Gebieten nahe der ukrainischen Grenze, dem Nordkaukasus, der autonomen Republik Burjatien und dem Fernen Osten in der Nähe von Wladiwostok.
Das russische Militär soll Beobachtern zufolge verstärkt ethnische Minderheiten – Burjaten, Kaukasier, Menschen aus dem Grenzgebiet zur Mongolei – in die Schlacht schicken. Schätzungen zufolge ist der Anteil ethnischer Minderheiten an den bisher getöteten russischen Soldaten überdurchschnittlich hoch.
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Auch tschetschenische Truppen sollen sich an den Kriegsverbrechen in Butscha beteiligt haben. Mehrere Medien zitieren Augenzeugen, denen zufolge tschetschenische Einheiten nach Butscha kamen, nachdem die russische Armee den Ort eingenommen hatte. Die "New York Times" berichtet von tschetschenischen Kämpfern, die von Tür zu Tür gingen, um nach Waffen und ukrainischen Kämpfern zu suchen. "Sie haben mich geschlagen und gefragt: 'Wo sind die ukrainischen Soldaten?'", zitiert die Zeitung einen Einwohner.
Ob auch der BND handfeste Belege dafür hat, dass sich tschetschenische Kämpfer unmittelbar an der Ermordung von Zivilisten beteiligt haben, ist unklar. "Kein Kommentar", heißt es dazu aus Sicherheitskreisen.
- Eigene Recherchen
- Der Spiegel: "Russische Soldaten besprachen Gräueltaten gegen Zivilisten über Funk"
- New York Times: "In a Kyiv Suburb,‘They Shot Everyone They Saw’"