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Ukraine-Krieg: Wie Wladimir Putin selbst seine eifrigsten Helfer demütigt


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Russlands Künstler
Wie Wladimir Putin selbst seine eifrigsten Helfer demütigt

MeinungVon Wladimir Kaminer

Aktualisiert am 20.03.2022Lesedauer: 5 Min.
Wladimir Putin mit Waleri Gergijew (r.): Der russische Dirigent wurde in München entlassen, weil er sich nicht vom russischen Ukraine-Krieg distanziert hat.Vergrößern des Bildes
Wladimir Putin mit Waleri Gergijew (r.): Der russische Dirigent wurde in München entlassen, weil er sich nicht vom russischen Ukraine-Krieg distanziert hat. (Quelle: Mikhail Metzel/TASS/dpa)
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Russland führt Krieg, die Kunstwelt ist uneins. Manche Künstler schweigen, andere kündigen und protestieren, weitere machen "Ferien". Doch selbst Putin-Profiteure haben nun ein Problem, meint Wladimir Kaminer.

Warum schweigt die deutsch-russische Prominenz zum Krieg, wo sind die Stimmen der Stars, der Schauspieler, der Musiker, der Schriftsteller? Wer von ihnen ist Putins Freund und wer hat Angst? Die Prominenz ist keine Armeeeinheit, sie ist uneins. Helene Fischer will den Krieg nicht kommentieren, dafür möchte Rammstein-Sänger Till Lindemann, der sich noch vor Kurzem von den russischen Nationalisten einspannen ließ, jetzt in Berlin Flüchtlingshilfe leisten.

Capital Bra, deutscher Rapper mit russischen Wurzeln, singt gegen den Krieg und unterstützt humanitäre Aktionen. Unter den Russlanddeutschen sind es etwa zehn Prozent, die Putins Politik unterstützen. Und eine große Mehrheit der hier lebenden russischsprachigen Bürger, Russen, Deutsche, Juden, Ukrainer und Kasachen, hilft den Geflüchteten aus den zerbombten Städten, die sich nach Deutschland retten konnten. Sie sammeln die Menschen an Bahnhöfen ein, übersetzen ihnen die Formulare, bringen sie unter.

In meinem Umfeld gibt es kaum eine russischsprachige Familie, bei der zurzeit keine Geflüchteten leben. Und die berühmten russischen Künstler? In Deutschland sind gar nicht so viele Russen bekannt, die bekanntesten sind wahrscheinlich Anna Netrebko, Waleri Gergijew und der Pianist Denis Masujew. Jedenfalls geben sie sich unterschiedlich viel Mühe, um Putins Krieg zu verteidigen.

(Quelle: Frank May)


Wladimir Kaminer ist Schriftsteller und Kolumnist. Er wurde 1967 in Moskau geboren und lebt seit mehr als 30 Jahren in Deutschland. Zu seinen bekanntesten Büchern gehört "Russendisko". Kürzlich erschien sein neuestes Buch "Die Wellenreiter. Geschichten aus dem neuen Deutschland".

Interessanterweise sind ihre Kollegen in Russland weniger kriegerisch drauf. Die Leitung des Bolschoi-Theaters kündigte, etliche Musiker unterschrieben eine Petition an den Präsidenten mit der Forderung, den Bruderkrieg sofort zu beenden, in mehreren Theaterhäusern haben die Regisseure das Handtuch geschmissen.

Andere russische Künstlerinnen und Künstler, die Lieblinge des russischen Publikums, die Ikone des Pops, Alla Pugatschowa, die Sängerin Lolita, sogar der patriotische Solist Oleg Gasmanow, alle haben das Land verlassen, sind in unbekannte Richtung abgereist. Sie machen Ferien in Israel, Dubai oder Zypern und äußern sich nicht laut zur politischen Situation im Land, in der Hoffnung, die schwarzen Zeiten am Strand zu überstehen und später vielleicht, wenn sich die Wellen geglättet haben, zurück zu ihrem Publikum zu kommen.

Die Hoffnung stirbt zuletzt. Viele bekannte Gesichter aus Unterhaltungsprogrammen der russischen Fernsehkanäle sind ebenfalls verschwunden, ihre Sendungen wurden vorübergehend eingestellt. In Zeiten des Krieges, wenn sich das ganze Volk wie ein Mann um den Führer schart, ist kein Platz für lustige Shows.

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Auch die Clowns, die begehrten russischen Kabarettisten, sind den Gerüchten nach ins Ausland geflohen. Die russischen Schriftsteller der aktuellen Bestsellerliste waren sowieso bereits fast vollständig im Ausland, sie protestieren aus der Ferne, schreiben Petitionen und veröffentlichen sie im Netz, werden aber von der Bevölkerung nicht gehört, denn das russische Volk sitzt fest vor dem Fernseher.

Das Fernsehen ist Putins beste Waffe

Zeitgleich veröffentlichte der Schriftstellerverband Russlands einen Brief zur Unterstützung der Regierung und schwor dem Oberbefehlshaber Wladimir Putin die Loyalität. Hunderte Autoren haben diesen Brief unterschrieben, ich kannte keinen einzigen von ihnen.

In den russischen Medien gibt es sowieso keinen Platz für kritische, gar protestierende Stimmen, alle unabhängigen Sender, Zeitschriften, Medienportale wurden geschlossen, die Blüte des russischen Journalismus außer Landes getrieben und über die halbe Welt zerstreut. Die russische Bevölkerung ist ihrem Propagandafernsehen schutzlos ausgeliefert und dieses Fernsehen ist eine scharfe Waffe, eine mächtige Kanone, die vor keinem Kopf Halt macht, egal ob prominent oder nicht.

Dieser Krieg wird nicht nur mit Panzern und Raketen geführt, es ist auch ein Krieg der Bilder, im Fernsehprogramm werden klare Fronten geschaffen.
Ich beobachte es täglich bei meiner Mutter, die seit dreißig Jahren in Berlin lebt, wie Millionen unserer Landsleute hier trotz allem nur russisches Fernsehen guckt, obwohl sie Deutsch kann und auch alle deutschen Kanäle empfängt.

Das letzte Mal hat sie diese deutschen Kanäle gesehen, als sie sich aus Versehen kurz auf die Fernbedienung setzte. Erstaunlich, wie diese Propagandakanone funktioniert. Mama würde sich nie im Leben irgendwelche politischen Talkshows ansehen, sie mag nur alte Schwarz-Weiß-Filme ihrer Jugend und neue russische Krimis. Sie werden auf speziellen Kanälen ausgestrahlt, ohne Werbung!

Putin steht als "Held" da

Statt Werbung werden die Filme alle zehn Minuten für "Nachrichtenpausen" unterbrochen. Es wird gezeigt, wie die Ukrainer sich selbst töten, Kindergärten bombardieren, wie die Amerikaner in Biolabors spezielle Kampffledermäuse mit Viren herstellen, die nur Russen umbringen, weil die Amis uns ausrotten wollen und wie die heldenhafte russische Armee unter der Führung des Präsidenten die Welt vor den bösen Ukrainern und vor einem Atomkrieg zu retten versucht.

Der Krimi wird an der spannendsten Stelle unterbrochen. Wenn du wissen willst, wer der Mörder ist, musst du weiter gucken. Ton ausschalten hilft nicht. Ein paar Bilder, ein paar Zeilen und die Ladung an Desinformation ist angekommen. Was soll das, würden die Zuschauer fragen, so dumm kann doch keiner sein, die Menschen werden schon wissen, dass es nicht wahr ist, was ihnen gezeigt wird.

Was ist aber, wenn sie es nicht wissen wollen? Wenn die Wahrheit, die sie alle ahnen, so unangenehm, grausam, unerträglich ist, dass niemand mit einem solchen Wissen glücklich leben kann? Vor langer Zeit schlossen die Bürger einen Pakt mit dem Staat. Sie verzichteten auf ihre politischen Freiheiten und Rechte, auf jegliche Kontrolle der politischen Klasse, durften aber im Gegenzug alles machen, was ihnen in den Sinn kam, sich bereichern, vermehren, herumreisen, Häuser in der Toskana kaufen.

Der Staat sagte nichts, solange die Bürger sich nicht politisch aktiv zeigten.
Mit dem Angriff auf die Ukraine kündigte der Staat den Vertrag, die Bürger wachten in einer neuen desaströsen Realität auf, bekamen aber ihre politischen Freiheiten und Rechte selbstverständlich trotzdem nicht zurück.
Was bleibt ihnen übrig, als vor dem Fernseher zu sitzen und die Falschnachrichten zu schauen, die beruhigen.

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"Ihr werdet belogen!"

Abhebende Flugzeuge, Panzerarmaden, die siegreiche Armee, die bereit ist, den Kampf mit der ganzen Welt aufzunehmen. Sie wissen, dass sie belogen werden, es ist aber viel komfortabler, den Lügen zu glauben als zu verzweifeln. Denn wenn es wirklich wahr ist, dass russische Soldaten Frauen und Kinder in der Ukraine töten und die russische Bevölkerung nichts dagegen tun kann, wie sollen sie mit einem solchen Wissen leben?

Also schauen sie in die Nachrichtenprogramme wie in einen Spiegel. Neulich bekam der Spiegel einen Riss. Während der Abendschau lief eine Redakteurin vor die Kamera, hielt ein Plakat gegen den Krieg hoch und rief "Leute! Glaubt den Nachrichten nicht, ihr werdet belogen!" Gleich danach wurde sie abgeführt. Die ganze Aktion hatte nicht einmal fünf Sekunden gedauert, und hat doch einen tiefen Riss im Spiegel der russischen Berichterstattung hinterlassen. Gleich am nächsten Tag kam es zu einer Kündigungswelle beim russischem Staatsfernsehen, Redakteure und Moderatoren verließen ihre Büros.

Warum lassen sich die Menschen überhaupt auf solche Jobs ein? Lange Zeit war die gescheite Antwort auf diese Frage: "Für ein Häuschen in der Toskana." In den rund zwanzig Jahren von Putins Herrschaft waren diese wahr gewordenen Träume zu einem regelrechten Speckgürtel um das Mittelmeer herum zusammengewachsen, es gibt kein einziges Dorf in der Toskana, wo die Regime-Lenker nicht gebaut haben.

Doch der Oberbefehlshaber Putin findet großen Gefallen darin, seine Mitbürger zu erniedrigen. Mit einem Schlag hat Putin all die Traumhäuser in der Toskana in Kürbisse verwandelt. Der Sinn des Lebens ist für viele Helfer des Regimes komplett gekappt.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autoren wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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