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Ukraine-Krieg: Melitopol zeigt, was Städten unter russischer Besatzung droht


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Krieg in der Ukraine
Melitopol zeigt, was Städten unter russischer Besatzung droht


14.03.2022Lesedauer: 4 Min.
Aufnahmen aus einer Überwachungskamera sollen zeigen, wie der Bürgermeister abgeführt wird: Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Kirillo Timoschenko, teilte das Video in seiner Telegram-Gruppe.Vergrößern des Bildes
Aufnahmen aus einer Überwachungskamera sollen zeigen, wie der Bürgermeister abgeführt wird: Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Präsidialverwaltung, Kirillo Timoschenko, teilte das Video in seiner Telegram-Gruppe. (Quelle: Deputy Head For President's Office/reuters)
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Der Bürgermeister verschwindet, die moskautreue Nachfolgerin kündigt eine "neue Realität" an: Was derzeit im südukrainischen Melitopol passiert, könnte eine Blaupause für andere besetzte Orte sein.

Die Szene sorgte in der Ukraine für Schrecken: Uniformierte ziehen einen vermummten Mann aus dem Kulturpalast in Melitopol, führen ihn ab. Der vermummte Mann – laut Medienberichten mit einer schwarzen Plastiktüte über dem Kopf – soll Iwan Fedorow sein, der Bürgermeister von Melitopol. Bei den Uniformierten soll es sich um russische Soldaten handeln. Die Szene, die offizielle ukrainische Stellen teilten, wurde am vergangenen Freitag von einer Webcam festgehalten.

Für die Ukraine ist die Verschleppung des Bürgermeisters ein weiterer Rückschlag im Kampf um die südukrainische Stadt mit ihren 150.000 Einwohnern. Schon am zweiten Kriegstag wurde die Stadt von russischen Truppen umzingelt und bombardiert. Seit dem 1. März steht sie vollends unter der Kontrolle Russlands. Am Wochenende nun setzten die russischen Truppen erstmals eine Statthalterin ein, die in ihrem Sinne regieren soll.

Nachfolgerin schwört Bürger auf "neue Realität" ein

Fedorows Nachfolgerin ist Halyna Daniltschenko, Stadtratsmitglied von Melitopol – allerdings für die Opposition. Sie gilt als moskauhörig, ganz im Gegensatz zu Fedorow, der sich nach Angaben des ukrainischen Parlaments geweigert hatte, "mit dem Feind zu kooperieren". Daniltschenko, die erste von Russland ernannte Statthalterin in einer ukrainischen Stadt, scheint hingegen ganz auf Linie mit den neuen faktischen Herrschern der Stadt. Die Bürger von Melitopol müssten sich "an die neue Realität anpassen", verkündete sie in ihrer Videobotschaft.

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"Die neue Realität" – sie droht nicht nur Melitopol. Das, was derzeit in der Stadt mit 150.000 Einwohnern passiert, könnte eine Blaupause dafür sein, wie die russischen Besatzer sich die Macht in eingenommenen Orten und Städten sichern wollen.

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Sperrstunde und Demonstrationsverbot

Wie diese Realität künftig aussehen kann, verkündete Daniltschenko gleich mit: Künftig soll russisches Staatsfernsehen ausgestrahlt werden, um ein "Defizit an vertrauenswürdigen Informationen" auszugleichen. Demonstrationen sind nun verboten, zudem gilt eine Sperrstunde zwischen 18.00 und 6.00 Uhr morgens.

Und obwohl Melitopol einen gewählten Stadtrat hat, will Daniltschenko ein "Komitee der Volksdeputierten" schaffen, das die Stadt künftig leiten soll – und damit die gewählten Vertreter entmachten.

Ähnliche Schritte deuten sich bereits in den kleineren Städten Nowa Kachowka, Tawrijsk und Kachowka an, wie das Onlinemedium "Dzerkalo Tyzhnia" unter Berufung auf einen Aufruf des Militärkommandanten berichtet, der dem Medium vorliegt. Demnach planen die russischen Truppen auch in diesen Orten Beschränkungen, um den ukrainischen Widerstand zu erschweren – etwa Ausgangssperren und Verbote von Demonstrationen, Waffenbesitz und Verbreitung von Informationen über die russischen Truppen und Verwaltung.

Entführungen mit System?

Auch die Entführungen scheinen System zu haben: Wie das lokale Medium "Ria Melitopol" berichtet, wurde am vergangenen Samstag eine der Hauptorganisatorinnen des Protests gegen Russland, Olga Gaisumowa, abgeführt – bei einer Demo für den entführten Bürgermeister. Einen Tag später sollen russische Soldaten der Lokalpolitiker Sergej Priyma in seiner Wohnung festgenommen haben.

Ebenfalls am Sonntag verschleppten russische Truppen in der Kleinstadt Dniprorudne, knapp 80 Kilometer von Melitopol entfernt, den Bürgermeister Jewhenij Matwjejew. Und Beobachter halten es für möglich, dass Russland unter dem Vorwand der "Entnazifizierung" weitere Stadtverwaltungen austauschen wird.

Referenden in Cherson und Berdjansk

Ein weiteres Muster deutet sich in den besetzten Städten Cherson und Berdjansk an. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj warnte davor, dass Russland plane, in Cherson ein Scheinreferendum abzuhalten und daraufhin eine moskaufreundliche "Volksrepublik Cherson" zu errichten, nach dem Vorbild der sogenannten Volksrepubliken Luhansk und Donezk.

Das Onlinemedium "Dzerkalo Tyzhnia" berichtet, dass auch in Berdjansk Vorbereitungen für ein Referendum laufen. "Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, die normale Arbeit der staatlichen Behörden, der Industrie und der Wirtschaft wieder aufzunehmen, ein Referendum abzuhalten und Bedingungen für die Vereinigung der Russischen Föderation und der Ukraine zu schaffen", stand auf Flugblättern, die in der Stadt am Asowschen Meer verteilt wurden.

Protest gegen neue Machthaber

Ohne Gegenwehr bleiben die Versuche, die russische Herrschaft zu manifestieren, nicht. In Cherson gingen Berichten zufolge wieder Tausende am Sonntag auf die Straße, riefen "Cherson ist ukrainisch" und forderten den Abzug der russischen Truppen.

In Melitopol macht sich der Protest auch in den sozialen Medien breit. Örtliche Medien nennen sie in Anspielung auf die SS-Besatzungstruppen im Zweiten Weltkrieg "Gauleiterin im Rock" oder "Zeitarbeiterin". In sozialen Medien kursieren Collagen von ihr und der fiktiven Figur Dolores Umbridge – einer Hexe in der Harry-Potter-Reihe, die zu der dunklen Seite gehört.

Sollte Melitopol wieder unter ukrainische Kontrolle geraten, könnte Daniltschenko auch harte Strafen erwarten. Gegen sie werde bereits wegen Hochverrats ermittelt, berichten lokale Medien mit Bezug auf die Staatsanwaltschaft. Selenskyj drohte Kollaborateuren indirekt mit dem Tod. Wer sich von russischen Angeboten in Versuchung geführt sehe, unterschreibe "sein eigenes Urteil", sagte Selenskyj am Sonntag in einer Videobotschaft.

Das Urteil bedeute, "den über 12.000 Besatzern zu folgen, die nicht rechtzeitig verstanden haben, warum die Ukraine nicht angegriffen werden sollte". Mit 12.000 gibt die ukrainische Seite die Zahl der russischen Soldaten an, die bislang in der Ukraine getötet wurden.

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