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Russlands Krieg in der Ukraine: "Europa braucht Gas, das weiß Putin sehr genau"


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Deutschlands Abhängigkeit
"Europa braucht Gas, das weiß Wladimir Putin sehr genau"

InterviewVon Patrick Diekmann und Marc von Lüpke

07.03.2022Lesedauer: 8 Min.
Moskau im Februar 2022: Wladimir Putin im Kreise seiner Gefolgsleute: Russlands Präsident stößt mit dem Parlamentsabgeordneten Vladimir Resin auf die Verleihung des Vaterländischen Ordens 1. Klasse an. Das freut auch den Gazprom-Vorsitzenden Alexei Miller (M.).Vergrößern des Bildes
Moskau im Februar 2022: Wladimir Putin im Kreise seiner Gefolgsleute: Russlands Präsident stößt mit dem Parlamentsabgeordneten Vladimir Resin auf die Verleihung des Vaterländischen Ordens 1. Klasse an. Das freut auch den Gazprom-Vorsitzenden Alexei Miller (M.). (Quelle: imago-images-bilder)
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Wladimir Putin führt Krieg gegen die Ukraine – und könnte russisches Gas als Waffe gegen Deutschland nutzen. Der Historiker Jeronim Perović erklärt, warum dies auch Putin schaden würde.

t-online: Professor Perović, Wladimir Putin attackiert die Ukraine, die Europäer haben Sanktionen gegen Russland erlassen. Russisches Gas fließt allerdings weiterhin in riesigen Mengen zu uns. Wie abhängig sind wir in dieser Hinsicht von Putin?

Jeronim Perović: Europa braucht Gas, das weiß Wladimir Putin sehr genau. Eine Unterbrechung der Gaslieferungen aus Russland würde eine Versorgungslücke in Deutschland und Europa aufreißen, die nicht sofort geschlossen werden könnte.

Wie lange würde es denn dauern, bis wir ausreichend Gas aus anderen Regionen beziehen könnten, um uns von Russland unabhängiger zu machen?

Das wäre ein längerer Zeitraum. Russland liefert sein Gas nach Europa per Pipelines, solche Systeme können Sie nicht binnen kurzer Zeit neu errichten. Und für den Bezug von großen Mengen Flüssiggas fehlen Deutschland etwa bislang die notwendigen Anlagen.

Die Bundesregierung will Deutschland solche Terminals schnell verschaffen.

Das ist eine sinnvolle Entscheidung. Eine Folge des Ukraine-Kriegs wird mit Sicherheit darin bestehen, dass sich Europa unabhängiger vom Gas aus Russland machen wird. Das gleiche Ziel, nämlich Unabhängigkeit, verfolgt aber auch Wladimir Putin. Er will die Gasexporte nach China steigern und die Kapazitäten für die Herstellung von Flüssiggas erhöhen. Eine erste Gaspipeline zwischen Russland und China ging schon 2019 in Betrieb, eine zweite ist in Planung. Schon heute gehört Russland zu den weltweit führenden Produzenten von Flüssiggas.

Nun wird immer wieder erörtert, ob Deutschland überhaupt kein russisches Gas mehr kaufen sollte. Stellen wir die Frage einmal andersherum: Ist es denkbar, dass uns die Russen nicht mehr beliefern?

Die Situation ist momentan derart angespannt und gefährlich, dass ich nichts ausschließen will. Russlands Präsident hat mit Atomwaffen gedroht, insofern wäre ein Gaslieferstopp bereits die friedlichere Variante.

Jeronim Perović, Jahrgang 1971, ist Direktor des Center for Eastern European Studies und Titularprofessor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Zürich. Der Historiker ist Experte für die Geschichte Russlands und des Balkans. Gerade ist sein neues Buch "Rohstoffmacht Russland. Eine globale Energiegeschichte" erschienen.

Nun braucht Deutschland Gas, Russland aber das Geld für dessen Verkauf. Wäre eine vollkommene Trennung nicht für beide Seiten in der Realität äußerst schwierig? In Ihrem neuen Buch "Rohstoffmacht Russland" beschreiben Sie anschaulich, wie zumindest das Erdgas-Geschäft einst eine Art Brücke zwischen Ost und West im Kalten Krieg gebaut hat.

Europa und Russland sind bislang in dieser Hinsicht stark voneinander abhängig. Eine Entflechtung wäre für beide Seiten ein schmerzlicher Prozess. Schon jetzt ist klar, dass es aber in diese Richtung gehen wird. Allerdings glaube ich nicht, dass es zu einer vollständigen Trennung kommen wird. Vielleicht wäre dies auch nicht weise.

Bitte erklären Sie das näher.

Russland ist derart reich an Rohstoffen, dass wir es uns kaum werden leisten können, auf diese gänzlich zu verzichten. Das gilt insbesondere für das Gas. Hier reichen die russischen Reserven wohl noch für weit über 100 Jahre. Zudem liegt Russland nun mal geografisch nahe bei Europa und kann dieses Gas über Pipelines relativ kostengünstig transportieren und verkaufen. Der Handel hat aber noch eine andere Facette. Es stellt sich nämlich die Frage, welche Verbindung wir mit Russland noch haben werden, wenn wir auch die Pipelines schließen. Quasi keine mehr. Und bitte verstehen Sie mich an dieser Stelle nicht falsch, ich halte die gegenwärtigen Sanktionen gegen Russland wegen des Ukraine-Krieges für völlig berechtigt. Aber stürzt auch die Energiebrücke ein, dann kappen wir die letzte Verbindung zwischen Europa und Russland.

Wie geeignet sind Rohstoffe beziehungsweise deren Sanktionierung aber überhaupt als Waffe?

Selbstverständlich hat es massive Auswirkungen, wenn eine Seite die andere beim Energieexport Sanktionen unterwirft. Ein Stopp der Gasimporte würde Putin kurzfristig sicher richtig wehtun. Allerdings sind diese Effekte in der Regel temporär. Der Markt wird schlussendlich von Angebot und Nachfrage bestimmt. Und Öl und Gas sind weltweit noch immer derart begehrt, dass diese den Weg zum Abnehmer finden werden. Wichtig wäre es deshalb für Europa, dass es generell seine Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen reduziert. Auch aus Gründen des Klimaschutzes. Was den Öl- und Gasimport angeht, so hat Europa leider nur wenige gute Alternativen zu Russland.

Weil viele Exportländer Autokratien sind?

Genau. Nehmen wir Saudi-Arabien, das weiß Gott keine Demokratie ist. Oder das autoritär regierte Aserbaidschan, aus dem nun Europa verstärkt Gas beziehen will. Europa kann natürlich auch mehr Fracking-Gas aus den USA beziehen. Aber wie wir wissen, ist die Fracking-Methode ökologisch sehr bedenklich.

Nun sprechen die Waffen in der Ukraine, hätte es denn so weit kommen müssen? Oder anders gefragt: Hätte der Westen Putins kriegerischen Ambitionen viel früher entgegentreten müssen?

Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim 2014 und das Schüren von Unruhen im Donbass hätten ein Weckruf für den Westen sein müssen. Wir hatten acht Jahre Zeit, uns intensiv um Lösungen des Konflikts in der Ukraine zu bemühen und uns zu fragen, wie wir mit Putins aggressivem Verhalten umgehen sollen. Diese Gelegenheit hat man aber leider verpasst. Und jetzt zahlen die Menschen in der Ukraine den Preis.

Wie ließe sich Ihrer Meinung nach in der derzeitigen Situation der Frieden zwischen Russland und der Ukraine wiederherstellen?

Dazu müssten wir wissen, worin Putins Kriegsziele mittlerweile bestehen. Hoffen wir, dass es zumindest bald einen Waffenstillstand geben wird. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte in den ersten Kriegstagen bereits Verhandlungen über die Neutralität seines Landes angeboten. Eine Forderung, die auch Putin immer wieder erhoben hat. Damit gäbe es also immerhin eine Basis für Gespräche.

Putin hat westliche Politiker über seine Pläne gegen die Ukraine belogen, er verhöhnt Selenskyj und dessen Regierung als "Drogensüchtige" und "Faschisten". Wird sich überhaupt noch jemand mit Putin an einen Tisch setzen wollen?

Ich glaube nicht, dass Putin selbst als Verhandlungspartner infrage kommt, obwohl Selenskyj angedeutet hat, dass er bereit wäre, sich mit ihm zu treffen. International wird Putin aber geächtet, weil er sich Dinge erlaubt, die für ein zivilisiertes Land und ein UN-Mitglied vollkommen inakzeptabel sind. Ich bezweifle deswegen auch, dass der russische Präsident nach diesem Krieg diplomatisch wieder salonfähig sein wird. Niemand traut Putin mehr über den Weg.

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Aber gehen wir noch einen Schritt zurück. Hatte Russlands Präsident die ganze Zeit die Absicht gehegt, die Ukraine anzugreifen? Auch während er noch mit Olaf Scholz und anderen westlichen Politikern gesprochen hat?

Es sieht so aus. Natürlich hätte er sich die Ukraine lieber ohne Krieg unterworfen, aber er war ganz offensichtlich bereit, einen Krieg zu führen. Dabei hat sich Putin aber mächtig verschätzt. Der Kreml glaubte, dass die Sache in der Ukraine in zwei oder drei Tagen "erledigt" sei. Dabei verlief schon Russlands Vorgehen gegen die Ukraine 2014/2015 nicht nach Plan. Die Krim vermochte Russland zwar in kurzer Zeit und ohne Blutvergießen zu annektieren. Der russischsprachig geprägte Osten und Südosten der Ukraine erhob sich aber schon damals nicht gegen Kiew. Nur ein kleiner Teil des Donbass fiel von der Ukraine ab, und das nur, weil Russland den Konflikt anstachelte und Truppen schickte. Jetzt sind die Ukrainer als Nation noch gefestigter und werden sich noch heftiger wehren. Putin hat sich verkalkuliert. Das hält ihn nun aber nicht davon ab, mit großer Brutalität vorzugehen, um diesen Staat zu zerschlagen.

So absurd es ist: Während ukrainische Städte bombardiert werden, Zivilisten und Soldaten sterben, strömt weiter russisches Gas durch die Ukraine gen Westen.

So ist es. Putin wäre es selbstverständlich sehr recht gewesen, wenn Nord Stream 2 jetzt in Betrieb wäre. Der einzige Zweck der Pipeline besteht ja auch darin, die Ukraine umgehen zu können.

Kommen wir an dieser Stelle noch einmal auf die Sanktionen zu sprechen. Wenn der Westen oder auch Putin den Gashahn zudrehen würden: Wie sehr würde dies der russischen Wirtschaft schaden?

Der Wert des von Russland exportierten Gases betrug im Jahr 2021 mehr als 55 Milliarden US-Dollar, der weitaus größte Teil davon sind dem Geschäft mit Europa zuzuschreiben. Zum Vergleich: Mit Rohöl verdiente Russland über 110 Milliarden US-Dollar. Sollte es also zu einer Lieferunterbrechung beim Gas nach Europa kommen, dann werden sich die Energiepreise insgesamt verteuern – und Russland könnte dann namentlich mit dem Export von Öl noch mehr Geld verdienen.

Vor allem klingen Gasexporte im Wert von 55 Milliarden US-Dollar nach gar nicht so viel, besonders wenn man die russischen Devisenreserven von 650 Milliarden Dollar im Hinterkopf hat.

Das stimmt. Genau für diesen Fall hat Russland entsprechende Devisenreserven angelegt. Allerdings liegen diese Guthaben auch bei westlichen Banken und wurden nun eingefroren. Russland hat also nur noch auf einen Teil der Gelder Zugriff. Einige der Hardliner, die sich um Putin scharen, sind jedoch ohnehin der Auffassung, dass es nun an der Zeit für mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit sei. Die russische Propaganda bedient das Narrativ, dass den Interessen des Landes eher gedient sei, wenn Russland sich vom Westen abkoppelt und sein Glück in der Eigenständigkeit sucht, so wie dies zuletzt in den finsteren Stalin-Jahren der Fall war. Das ist zu guten Teilen ein Hirngespinst, denn die russische Wirtschaft ist wie noch nie zuvor in der russischen Geschichte in die Globalwirtschaft eingebunden und abhängig von Technologie und Investitionen aus dem Westen. Das Wirtschaftswachstum Russlands hat in den vergangenen Jahren schon stagniert und die Menschen haben das gespürt. Die neuen westlichen Sanktionen und der Rückzug vieler Firmen aus Russland, darunter auch Exxon, Shell und BP, werden Russlands Wirtschaft und die Energieindustrie sehr hart treffen.

Putin wird versuchen, seine Rohstoffe verstärkt an andere Länder zu verkaufen. Könnte China den Ausfall Europas für Russland kompensieren, falls ein Lieferstopp von Gas erfolgen sollte?

Es stellt sich die Frage, ob China und andere asiatische Länder so schnell einspringen könnten. Außerdem macht sich Russland damit wiederum abhängig von anderen Märkten, es wird also kaum "autark" werden können. Nicht alle in Russland sind zudem von der Vorstellung begeistert, dass das Land zum Rohstoffversorger Chinas wird.

Das ist Russland aber doch schon, spätestens seit diesem Krieg. Denn ohne chinesische Rückendeckung und die vielen Milliarden, die der Kreml dort liegen hat, wäre Russland in der Bredouille.

Am Ende könnte China in der Tat der lachende Dritte sein, das ist richtig. Die chinesische Regierung hat wiederum aber auch nur bedingt Freude an Russlands Ukraine-Feldzug, weil Peking eigentlich an globaler Stabilität interessiert ist. Nur wenn es um vitale Interessen der Chinesen geht, dann sind sie bereit, Risiken einzugehen – so etwa in der Taiwan-Frage oder in Hongkong. China möchte eine Welt, in der chinesisches Kapital frei und problemlos zirkulieren kann.

Hat Putin seinem Land also auch strategisch irreparablen Schaden zugefügt? Mit dem Westen ist Russland auf der einen Seite verkracht, auf der anderen nun China ausgeliefert.

Wir werden sehen, wie sich das alles auf Russland auswirkt. Russlands gesamte Geschäftswelt leidet, die Oligarchen können kaum noch Handel treiben, die Banken keine Anleihen im Ausland mehr aufnehmen. Russland wird auf allen Ebenen sanktioniert und isoliert. Ob dies bei Putin zu einem Gesinnungswandel oder zu noch mehr Verhärtung führt, werden wir sehen. Es könnte auch sein, dass sich irgendwann ein Teil der Eliten von Putin abwendet und sich so eine interne Opposition bildet. Das ist alles sehr spekulativ. Ein Wandel in Russland wird aber nur von innen heraus erfolgen können.

Bislang herrscht aber noch Krieg, ukrainische Städte werden beschossen. Droht etwa Kiew ein ähnliches Blutbad wie im Tschetschenienkrieg?

Das scheint zumindest Putins Plan B zu sein. So ein Schritt könnte aber auch für ihn gefährlich werden: Wenn die Angriffe auf Zivilisten und die hohe Zahl getöteter russischer Soldaten in Russland bekannt werden, wird das dem Ansehen Putins in Russland schaden. Dann werden mehr und mehr Menschen erkennen, dass Propaganda und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen. Die staatlichen Medien dürfen das Wort "Krieg" ja nicht einmal erwähnen. Offiziell führt Russland eine "Spezialoperation" zum Schutz der Menschen im Donbass durch. Angesichts des Ausmaßes der russischen Invasion und der Brutalität des Vorgehens ist eine solche Darstellung an Zynismus kaum noch zu überbieten.

Aber was ist dann sein Plan angesichts der ersten Fehlschläge?

Ich gehe davon aus, dass er möglichst große Gebietsgewinne erzielen will. Meine Vermutung: Putin will sich in eine gute Verhandlungsposition bomben, um der Ukraine dann seine Bedingungen für eine Nachkriegsordnung aufzuzwingen.

Vielen Dank für das Gespräch, Professor Perović.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Jeronim Perović via Videokonferenz
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