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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ex-Präsident vor Comeback? "Trumps Popularität war immer ein Mythos"
Donald Trump flirtet mit einem Comeback ins Weiße Haus 2024. Im Interview erklärt US-Publizist David Frum, ob Trump wirklich noch mal antritt, warum er bei dessen Fans "faschistische Tendenzen" sieht – und ob die US-Demokratie eine zweite Amtszeit Trumps überleben würde.
Der US-kanadische Autor David Frum gilt als einer der profiliertesten Trump-Kritiker im konservativen Lager. Der frühere Redenschreiber von Präsident George W. Bush schreibt als Kolumnist für das US-Magazin "The Atlantic" und veröffentlichte 2019 das Buch "Trumpocracy", eine Abrechnung mit der Ära Trump im Weißen Haus.
t-online: Herr Frum, die US-Politik wirkt aus der Ferne manchmal wie ein schlechter Film: Ein Ex-Präsident, der im Stil eines Autokraten eine demokratische Wahl sabotiert, Millionen von Amerikanern, die Bidens Präsidentschaft für illegitim halten, eine Republikanische Partei, die das Wählen erschweren will. Ist die Demokratie in den USA in Gefahr?
David Frum: Es ist ein Test, ein großer Test. Trumps Angriffe auf die demokratischen Institutionen des Landes galten 2016 und 2017 noch als "nicht normal". Heute, da die Republikanische Partei nicht nur Trump weiter die Treue hält, sondern auch den gewaltsamen Umsturzversuch am 6. Januar im US-Kapitol verharmlost, muss ich leider sagen: Solche Attacken auf unser demokratisches Fundament sind die neue Normalität.
Joe Biden warnte im Juli vor der "größten Bedrohung für freie und faire Wahlen" in der US-Geschichte. Er meinte damit die Wahlrechtsreformen, die in einigen republikanisch regierten Bundesstaaten beschlossen wurden. Übertreibt er?
Zunächst: Wir sollten nicht vergessen, dass Demokratien enorme Ressourcen zur Verfügung haben, um sich zu schützen. Viele demokratische Errungenschaften sind in den USA und in Europa kulturell tief verankert, für die Leute sind es Gewohnheiten, die sich nicht von heute auf morgen ändern lassen.
Aber es stimmt, die Aussichten sind düster: Wir haben mit Donald Trump einen opportunistischen Akteur, der seit Jahren versucht, demokratische Institutionen auszuhebeln und es nach und nach schafft, diese zu beschädigen: Ob freie Wahlen, die Unabhängigkeit der Justiz oder die friedliche Machtübergabe einer abgewählten Regierung – diese Dinge sind plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Und wir haben diese furchtbaren Gewaltexzesse gesehen beim Sturm auf das Kapitol, die von den Republikanern zunächst abgelehnt wurden, mittlerweile aber verharmlost, teils sogar verteidigt werden.
Bei den Wahlrechtsreformen in mehreren Bundesstaaten geht es im Grunde darum: Die Trump-Fans in der Republikanischen Partei wollen die Art und Weise ändern, wie künftig Wahlen stattfinden. Das ist nicht neu, aber die Dimension ist eine andere.
Was gibt es am jetzigen System zu mäkeln?
Die Republikaner wollen mehr Macht, um in den Abstimmungsprozess einzugreifen, wenn ihnen das Ergebnis nicht passt.
Das ist jetzt aber eine grobe Vereinfachung.
Nein. Dazu muss man verstehen, wie das Wahlsystem in den USA funktioniert: Anders als etwa in Deutschland sind die Wahlen bei uns nicht nationalstaatlich geregelt, sondern Sache der 50 Bundesstaaten. Die US-Geschichte ist reich an Beispielen, wo Bundesstaaten ihre Macht missbraucht haben, um bestimmte Gruppen bei Wahlen zu benachteiligen. Das waren früher vor allem schwarze Wähler. In der Bürgerrechts-Ära gab es Reformen, die den Machtmissbrauch der lokalen Legislative beschränkten, aber diese Schranken wurden im 21. Jahrhundert immer mehr aufgeweicht.
In Texas wurde das Briefwahlrecht eingeschränkt, in Georgia die Öffnungszeiten der Wahllokale verkürzt, insbesondere in mehrheitlich von Schwarzen bewohnten Gegenden. Auch wurde das Anbieten von Wasserflaschen in den Schlangen vor den Urnen verboten. Die Republikaner argumentieren, das alles diene der "Integrität der Wahlen".
Es dient dem Machterhalt. Zentrales Instrument ist das "Gerrymandering", also das Neuziehen der Wahlkreisgrenzen, um die eigenen Wahlchancen zu erhöhen. Es findet wieder vermehrt statt, übrigens auch in "blauen Staaten", wo Demokraten das Sagen haben. Der schlimmste Übeltäter in dieser Hinsicht ist Wisconsin. Dort gab es 2018 die absurde Situation, dass die Republikaner nur 46 Prozent der Wählerstimmen gewonnen hatten, aber 64 Prozent der Sitze im dortigen Parlament.
Das ist genau der Kampf, der nun geführt wird: Die Republikaner wollen den Bundesstaaten noch mehr Kontrolle über die nationalen Wahlen übertragen, um im Notfall das Ergebnis in ihrem Sinne zu beeinflussen: durch manipulierte Wahlkreisgrenzen oder die Weigerung einer lokalen Behörde, ein Abstimmungsergebnis zu zertifizieren, weil sie Wahlbetrug vermutet oder vorgibt zu vermuten. Das Drehbuch wurde ja 2020 schon versucht, aber hat im entscheidenden Moment nicht geklappt. Erinnern Sie sich an Trumps berüchtigten Anruf an den Innenminister in Georgia?
Trump setzte Brad Raffensperger unter Druck, 11.000 Stimmen "zu finden", die Trump den Sieg in dem Bundesstaat gebracht hätten.
Exakt. Die 11.000 gefälschten Stimmen hätten das Ergebnis in Georgia gekippt, was vielleicht noch weitere Bundesstaaten in Zugzwang gebracht hätte. Niemand will das demokratische Wahlsystem in den USA zu Fall bringen, das ist unmöglich. Es geht Trump-Anhängern vielmehr darum, die Spielregeln zu verändern, die Art und Weise, wie gewählt wird. Schaffst du das und gewinnst ein paar Tausend oder Zehntausende Stimmen in Swing States hinzu – mehr brauchst du oft gar nicht –, kannst du eine Präsidentschaftswahl drehen.
Ex-Präsident Donald Trump ist zurück auf der politischen Bühne, hält Wahlkampfreden, gibt fleißig Interviews. Die wohl wichtigste politische Frage der nächsten Jahre lautet: Tritt er noch mal an?
Wenn seine Gesundheit es mitmacht, macht er es. Aber selbst wenn er kandidiert, wird er vor demselben Problem stehen: Die meisten Amerikaner finden, er sollte kein Präsident sein.
Über 74 Millionen Menschen wählten ihn 2020.
Und 82 Millionen wollten ihn nicht. Das ist ein deutlicher Abstand. Trumps Popularität bei den Leuten war immer auch ein Mythos. Wenn man die letzten sechs US-Präsidentschaftswahlen nimmt, hat Trump den geringsten relativen Stimmanteil von allen Kandidaten eingefahren, egal ob Demokrat oder Republikaner. Die einzige Ausnahme war John McCain 2008. Während seiner Präsidentschaft gab es keinen einzigen Moment, wo Trump in Umfragen auf eine Zustimmung von über 50 Prozent kam.
Auch Joe Bidens Umfragewerte sind aktuell im Keller.
Das lässt sich schwer vergleichen: Wir stecken mitten in der Corona-Pandemie und haben mit massiven ökonomischen Verwerfungen zu kämpfen. Als Trump Präsident wurde, boomte die Wirtschaft wie seit Ende der 90er nicht mehr. Die Geschichte dieser im Volk extrem beliebten Figur, die aus dem Nichts die politische Bühne erstürmt, stimmt einfach nicht. Eine gut gemachte PR-Kampagne, mehr nicht.
Von Karl Marx ist der Satz überliefert, in Bezug auf die Exzesse der Frühmarxisten: "Wenn das der Marxismus ist, dann bin ich kein Marxist." Wird Trump jemals sagen: Wenn das der Trumpismus ist, bin ich raus?
Unwahrscheinlich. Trumps Follower waren schon immer radikaler als er selbst. Das ist Teil seiner Strategie, es ermöglicht ihm auch, sich stellenweise von zu extremen Positionen zu distanzieren.
Trump hat kürzlich in einem Interview für die Corona-Impfung geworben, wie er es in der Vergangenheit immer wieder getan hat. Das rechte Lager tobte: Die Interviewerin, die Impfgegnerin Candace Owens, bezeichnete Trump hinterher als "alt" und uninformiert. Der US-Verschwörungspapst Alex Jones ging sogar so weit, Trump zu "warnen": Dieser sei entweder "komplett ahnungslos" oder "einer der bösartigsten Menschen, die je gelebt haben". Verliert Trump seine Basis?
Die allermeisten Amerikaner haben mindestens eine Dosis eines Corona-Impfstoffs erhalten. In diesem Fall sind Trumps politische Instinkte wohl schärfer als die seiner extremsten Unterstützer. Die republikanische Basis ist nicht deckungsgleich mit den lautesten Stimmen in den sozialen Medien.
Top-Republikaner wie Lindsey Graham haben lange behauptet, Trump selbst sei für sie nur ein Werkzeug, um eine konservativere Agenda durchzusetzen. Dass sie weder Trump noch die Trump-Bewegung im Griff haben, zeigte spätestens der Sturm auf das Kapitol, bei dem selbst führende Republikaner mit dem Tod bedroht wurden. Kann Trump seine eigene Bewegung kontrollieren?
Gute Frage, ich weiß es nicht. Trump hat sich verändert in seiner Amtszeit. Erinnern Sie sich an den Kandidaten Trump im Jahr 2016? Er galt bei Republikanern als moderat, weil er den Staat nicht massiv schrumpfen wollte und einige Sozialprogramme befürwortete. Außerdem war er der am wenigsten religiöse Kandidat seit Langem. Im Weißen Haus radikalisierte er sich schrittweise, aber nicht in ökonomischen oder kulturellen Fragen, sondern bei einem Thema, das eigentlich völlig unstrittig war: in seiner Haltung zu demokratischen Institutionen. Und natürlich war er korrupt in einer Dimension, die wir aus der ersten Reihe der Politik bisher nicht kannten. Trump gab keine neuen Antworten, sondern veränderte die Frage: Welche Institutionen sollten wir haben? Wie wollen wir wählen? Wer soll Macht haben?
Die totale Disruption.
Ich würde eher sagen, er wollte die Rahmenbedingungen des politischen Systems ändern.
In einem Artikel im Juli schrieben Sie, es sei Zeit, Teile der Trump-Bewegung als "faschistisch" einzustufen. Halten Sie Trump wirklich für einen Faschisten?
Trump ist kein Faschist, er hat kein gefestigtes Glaubenssystem. Aber seine Anhänger entwickeln sich teilweise in diese Richtung. Faschismus ist ein komplizierter Begriff und ich habe immer davor gewarnt, zu leichtfertig mit dem F-Wort umzugehen. Aber wir sehen zunehmend faschistische Elemente in der Trump-Bewegung: die radikale Kritik an der existierenden Gesellschaft, der übersteigerte Nationalismus, die Sehnsucht nach dem Umsturz und die Gewaltverherrlichung. Vor allem Letzteres ist entscheidend: Die Legitimierung gewaltsamer Aktionen gegen den politischen Gegner trennt die autoritäre von der faschistischen Bewegung. Wenn die Leute anfangen davon zu reden, dass es ein Erwachen gebe, dass man zu den Waffen greifen müsse und Nancy Pelosi oder Mike Pence lynchen werde ...
... die demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und Trumps früherer, republikanischer Vizepräsident ...
… dann sind das faschistische Tendenzen.
Sie meinen die Sprechchöre der Trump-Anhänger während der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2020. "Hängt Mike Pence" riefen sie unter anderem, weil dieser sich weigerte, bei Trumps Sabotage des Wahlergebnisses mitzumachen.
Republikaner nennen diese Leute, die vermummt und mit Kabelbindern in die Herzkammer der US-Demokratie gestürmt sind, mittlerweile "großartig". Oder Ashli Babbitt, die beim Sturm auf das Kapitol erschossen wurde: Trump hat sie jüngst als "unschuldige und fantastische" Person bezeichnet, kein Republikaner widersprach. Im Gegenteil: Babbitt wird mittlerweile als Märtyrerin aufgebaut, die für die gute Sache starb. Wie eine amerikanische Version von Horst Wessel.
Der SA-Mann Wessel wurde aber von Kommunisten ermordet, vor seiner Wohnungstür. Die Nazis machten ihn zu einem Märtyrer, der vom politischen Feind vernichtet wurde. Babbitt wurde von einem Kapitol-Polizisten erschossen, weil sie versuchte, eine weitere Sicherheitslinie im Kapitol zu brechen. Sie war Angreiferin, kein Opfer. Lässt sich daraus eine Märtyrer-Geschichte spinnen?
Trump-Anhänger sehen das anders. Das Argument, das die Aufständischen nachträglich ins Recht setzt, lautet heute so: Sie lagen richtig in der Annahme, dass sie von der politischen Elite betrogen wurden, dass die Regierung sich gegen sie verschworen hat, und dass ihre Gegner vor nichts zurückschrecken werden, um ihre Macht zu erhalten, etwa auch nicht davor, Trump zu beseitigen. Das ist die Erzählung, die den Gewaltausbruch am 6. Januar nachträglich rechtfertigt und vielleicht den nächsten vorbereitet.
Der Trumpismus hatte immer autoritäre und illiberale Tendenzen, aber die Glorifizierung politischer Gewalt durch weite Teile der Bewegung sowie durch das republikanische Establishment ist neu.
Das klingt nach einer pessimistischen Prognose für die nächsten Jahre.
Ich bin weder Pessimist noch Optimist. Die amerikanische Demokratie hat ein starkes Fundament, und es lohnt sich, dafür zu kämpfen. Man muss diese Auseinandersetzung mit Mut und Entschlossenheit angehen und darf der Propaganda nicht auf den Leim gehen, die Trump als den Anführer dieser großen Nationalbewegung inszeniert. Das ist er nicht.
Herr Frum, vielen Dank für das Gespräch.