Hofft auf "gemeinsames Nein" Orbán lässt Volk über LGBTQ-Gesetz abstimmen
Nun soll das Volk entscheiden: Ungarns Ministerpräsident kündigt ein Referendum zu einem umstrittenen Gesetz an. Luxemburgs Außenminister will derweil die EU-Mitgliedschaft prüfen lassen.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán hat am Mittwoch ein Referendum über ein umstrittenes Gesetz angekündigt, das sich gegen nicht heterosexuelle Menschen richtet. Das Gesetz verbietet unter anderem Werbung, in der Homosexuelle oder Transgeschlechtliche als Teil einer Normalität erscheinen. Die EU-Kommission sieht es als diskriminierend an und hat Schritte gegen Ungarn eingeleitet.
"Brüssel hat Ungarn wegen des Gesetzes in den vergangenen Wochen klar attackiert", sagte Orbán in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Er argumentiert, das Gesetz sorge dafür, dass Eltern alleine darüber entscheiden könnten, wie sie die sexuelle Erziehung ihrer Kinder gestalten wollten. Er warf der EU vor, sie verlange, dass Aktivisten von LGBTQ-Vereinen (steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgeschlechtlich, queer) in ungarischen Kindergärten und Schulen Sexualaufklärung durchführten, "so wie dies in Westeuropa bereits üblich ist".
Mehrere Fragen zur Abstimmung
Orbán zählte fünf Fragen für das Referendum auf: Ob die Ungarn dafür seien, dass Minderjährige ohne Zustimmung der Eltern sexuell aufgeklärt werden, ob bei Kindern für Geschlechtsumwandlungen geworben werden dürfe sowie ob bei Kindern Geschlechtsumwandlungen durchgeführt werden dürfen. Ferner soll gefragt werden, ob Kindern Medienberichte zugänglich sein sollen, die ihre sexuelle Entwicklung beeinflussen können sowie Medienberichte über Geschlechtsumwandlungen.
Orbán forderte die Ungarn zu einem "gemeinsamen Nein" auf diese fünf Fragen auf. Als Vorbild nannte er das Referendum von 2016, das sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen richtete. Damals "wollte Brüssel uns Einwanderer aufzwingen", sagte Orbán. "Damals ist es uns gelungen, es zu stoppen, gemeinsam wird es auch diesmal gelingen." Das Referendum von 2016 war wegen mangelnder Beteiligung ungültig. Wenige Stunden vor Orbáns Ankündigung hatte die Regierung das bisher wegen der Corona-Pandemie geltende Referendumsverbot aufgehoben.
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Asselborn stellt Ungarns EU-Mitgliedschaft in Frage
Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn stellt nach der Ankündigung Orbáns Ungarns Mitgliedschaft in der EU infrage. "Man sollte in der EU ein Referendum darüber abhalten, ob man Orbán in der EU noch tolerieren will", sagte Asselborn dem "Spiegel". "Ich bin davon überzeugt, dass das Ergebnis ein klares Nein wäre."
Dann hätte sich auch gleich die Endlos-Debatte über die zahlreichen Strafverfahren der EU gegen die ungarische Regierung – darunter ein Artikel-7-Verfahren zum Entzug ihres Stimmrechts in der EU – "auf einen Schlag erledigt", so Asselborn. Zwar gibt es das Instrument EU-weiter Volksabstimmungen bisher nicht, über seine Einführung sollte man laut Asselborn aber nachdenken.
Auch Rutte hatte EU-Austritt befürwortet
Der Luxemburger ist nicht der erste ranghohe europäische Politiker, der Ungarns EU-Mitgliedschaft wegen des LGBTQ-Gesetzes zur Debatte stellt. Ende Juni hatte bereits der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte Orbán den Austritt aus der EU nahegelegt. Ungarn habe "in der EU nichts mehr zu suchen", sagte Rutte, räumte aber zugleich ein: "Ich kann sie nicht rausdrängen." Mitgliedsländer können die EU nur freiwillig verlassen, die Möglichkeit eines Rauswurfs existiert in den EU-Verträgen nicht.
Ungarns Regierung begründet das Gesetz mit dem Schutz von Minderjährigen, Kritiker werfen Orbán die Diskriminierung von Homosexuellen und anderer Minderheiten vor. Die EU hat als Reaktion auf das Gesetz vergangene Woche ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Budapest eingeleitet. Zuvor hatten 17 EU-Staaten einschließlich Deutschlands die EU-Kommission aufgefordert, umgehend gegen das Gesetz vorzugehen.
- Nachrichtenagentur dpa und AFP
- Spiegel-Vorabmeldung am 21. Juli 2021