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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Empörung über Johnson Das Parlament hat sich selbst entmachtet
Boris Johnson hat das Parlament in die Zwangspause geschickt – und die Abgeordneten sind empört. Dabei haben sie ihre Situation erst verschuldet.
"Angriff auf die Demokratie", "Frevel gegen die Verfassung", "perfide" – Großbritannien ist außer sich. Boris Johnson hat die Abgeordneten in eine mindestens vierwöchige Sitzungspause geschickt, die Queen hat dem Ansinnen zugestimmt. Der No-Deal-Brexit ist damit wahrscheinlicher geworden. Tausende haben gestern in London gegen die Zwangspause demonstriert, eine entsprechende Petition hatte schnell mehr als eine Million Unterzeichner.
Die Sitzungspause an sich ist nichts Ungewöhnliches, in der Regel endet damit eine Sitzungsperiode des Parlaments. Ungewöhnlich ist die Länge der Pause – und die Tatsache, dass sie in einer extrem heiklen Phase des Landes kommt. Die Annahme, dass Boris Johnson das Parlament umgehen will, um im Brachialmodus zum 31. Oktober aus der EU auszutreten, ist wohl richtig, auch wenn er das Gegenteil behauptet. Aus demokratischer Sicht ist das alarmierend.
Doch hat Boris Johnson das Parlament entmachtet? Ja, das versucht er. Aber es ist bereits die zweite Entmachtung. Die erste hat das Unterhaus selbst erledigt. Und zwar in den turbulenten Monaten, in denen es sich nicht auf einen Brexit-Deal einigen konnte – und in denen die Welt Zeuge wurde, wie ein gewähltes Parlament sich selbst demontierte.
Dreimal hat Theresa May ihren Deal mit der EU zur Abstimmung gestellt, dreimal wurde er abgelehnt. Zweimal wurde der Brexit verschoben, um dem Unterhaus mehr Zeit zu geben. Gebracht hat das nichts. Zweimal stimmten die Abgeordneten über Alternativen zum May-Plan ab, auch hier: Keine einzige Initiative fand Unterstützung. Einig war man sich nur darin, dass es keinesfalls einen No-Deal-Brexit geben dürfe – eine Entscheidung, die für die Regierung nicht bindend war.
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Sowohl die Tory- als auch die Labour-Abgeordneten haben durch ihre Verweigerungshaltung Boris Johnson den Weg für seinen – ja, das muss man so sagen – skrupellosen Schachzug geebnet. Sie haben zugelassen, dass die Interessen, Animositäten und vielleicht auch Naivitäten einzelner und ihrer Parteien dem Land und denjenigen schaden, die sie einst gewählt haben. Zeit genug, das zu verhindern, hatten sie. Jetzt könnte es zu spät sein.