Zwangspause für das Parlament Brexit-Krise: Warum greift die Queen nicht ein?
Der britischer Premierminister Boris Johnson schickt das Parlament in die Zwangspause – mit Erlaubnis der Queen. Warum lässt Elisabeth II. ihn machen? Und was bedeutet die Entscheidung für das Land?
Im Kampf um den Brexit wird der Ton rauer. Am 31. Oktober soll Großbritannien aus der EU austreten – und der Premierminister Boris Johnson würde sogar einen Austritt ohne Abkommen in Kauf nehmen. Jetzt hat er die Erlaubnis der Queen, das Parlament für eine Weile kaltzustellen. Was einen Austritt ohne Abkommen, einen No-Deal-Brexit wahrscheinlicher macht.
Warum kann Johnson das Parlament in eine Zwangspause schicken?
Die sogenannte "Prorogation" ist das Ende einer Sitzungsperiode des britischen Parlaments, die "Sessions" genannt wird. Die Länge der Sitzungsperiode ist nicht festgelegt, beträgt in der Regel aber etwa ein Jahr. Die laufende Periode begann allerdings schon im Sommer 2017 – es ist die längste in beinahe 400 Jahren, wie der britische Premierminister Boris Johnson betont. Es ist daher im Grunde nicht ungewöhnlich, dass die Regierung eine neue Parlamentsphase einläuten und ihr Programm vorlegen will. Doch der Zeitpunkt inmitten einer heftigen politischen Auseinandersetzung und die Länge der Unterbrechung sind höchst unkonventionell.
Warum stößt der Zeitpunkt der Prorogation so bitter auf?
Großbritannien steuert derzeit einem Brexit ohne Abkommen mit der Europäischen Union entgegen – die Folgen sind kaum absehbar. Um sein Land wirklich am 31. Oktober aus der EU zu führen und nicht schon wieder den Austritt zu verschieben, würde Boris Johnson das in Kauf nehmen. Im Parlament gibt es dagegen aber Widerstand. Im Frühjahr hatte das Unterhaus einen No-Deal-Brexit sogar per Abstimmung ausdrücklich abgelehnt – bindend ist der Beschluss für die Regierung allerdings nicht. Kritiker unterstellen Johnson, dass er mit der Zwangspause das Parlament kaltstellen will, um den Brexit am 31. Oktober durchzudrücken – mit oder ohne Abkommen.
Warum hat die Queen Johnsons Bitte trotz aller Kritik stattgegeben?
Theoretisch hätte es in der Macht von Königin Elisabeth II. gelegen, den Antrag der Regierung abzulehnen. Doch das wäre ein Bruch jahrhundertealter Konventionen gewesen. Die britischen Monarchen halten sich seit langer Zeit strikt aus allen politischen Auseinandersetzungen heraus. Die Queen ist zwar Staatsoberhaupt, hat aber vor allem symbolische Funktion. Es ist daher nicht überraschend, dass die Queen dem Antrag zugestimmt hat – auch wenn ihr durchaus bewusst sein dürfte, wie heikel der Zeitpunkt ist.
Was bedeutet die Zwangspause für das Parlament?
Die meisten parlamentarischen Vorgänge werden mit Einsetzen der Zwangspause nicht weiter verfolgt. Gesetzesvorlagen und Anträge bleiben vorerst liegen, da sie nicht von einer Parlamentsperiode in die nächste übertragen werden können. Tritt das Parlament wieder zusammen, kann darüber beraten werden, ob und wie diese Vorgänge sich beenden lassen. Die Einflussmöglichkeiten des Parlaments auf die Regierung sind somit massiv eingeschränkt, auch weil keine Debatten stattfinden können. Die Regierung bleibt handlungsfähig – außer in Angelegenheiten, über die die Abgeordneten abstimmen müssen. Im aktuellen Fall soll die Zwangspause bis zum 14. Oktober andauern, am 17. und 18. Oktober ist ein EU-Brexit-Gipfel geplant. Handelt Boris Johnson auf dem Gipfel einen neuen Deal aus, müsste dieser vor dem 31. Oktober ratifiziert werden. Die Zeit, in der das Parlament auf das Handeln der Regierung Einfluss nehmen könnte, ist dadurch extrem beschränkt.
Haben die Abgeordneten Möglichkeiten, um sich gegen die Zwangspause zu wehren?
Die Zustimmung der Parlamentarier ist für diesen Vorgang nicht notwendig, sie können sie daher mit einer einfachen Abstimmung nicht verhindern. Die Abgeordneten könnten aber versuchen, ein Gesetz zu verabschieden, um das Brexit-Datum zu ändern und einen No-Deal-Brexit zu verhindern. Sie dürften sich dabei der Unterstützung von Parlamentspräsident John Bercow sicher sein, der angekündigt hatte, "bis zum letzten Atemzug" gegen eine politisch motivierte Parlamentsschließung zu kämpfen. Doch die Zeit dafür wird extrem knapp, denn ein Gesetz muss durch beide Kammern des Parlaments gehen und das kann sich besonders bei den Lords im Oberhaus sehr in die Länge ziehen. Dort haben die Brexit-Befürworter schon einmal bewiesen, dass sie bereit sind, mit einer Schwemme von Anträgen und sogenanntem "Filibuster" (Dauerreden) Gesetzgebungsverfahren zu verschleppen.
Haben die No-Deal-Gegner noch irgendeine Chance?
Im Raum steht immer noch ein Misstrauensvotum gegen die Regierung, an dem unter anderem Oppositionschef Jeremy Corbyn arbeitet. Bislang hat sich dafür aber keine Mehrheit abgezeichnet – auch weil die Briten dann vorerst ohne Führungsriege auf den Brexit zusteuern würden. Denn findet sich innerhalb von zwei Wochen keine Mehrheit für eine Regierung, muss neu gewählt werden. Doch den Wahltermin legt der scheidende Premierminister fest. Johnson könnte ihn auf ein Datum nach dem EU-Austritt am 31. Oktober legen und den No-Deal-Brexit einfach geschehen lassen.
Gab es eine solche Situation schon einmal?
Ja, die Prorogation wurde bereits in der Vergangenheit gezielt eingesetzt. 1948 hat die Labour-Regierung unter Clement Attlee zu diesem Mittel gegriffen, um ein Parlamentsgesetz zu ändern, das die Macht der Lords einschränkte. 1997 erbat der konservative Premierminister John Mayor eine Zwangspause, um eine Debatte über Bestechungsvorwürfe zu vermeiden.
Könnte der Streit vor Gericht entschieden werden?
Eine Gruppe von Abgeordneten hatte bereits vor der Entscheidung der Regierung zur Prorogation eine gerichtliche Überprüfung der umstrittenen Maßnahme angestoßen. Ein schottisches Gericht sollte sich am 6. September mit dem Thema befassen. Dieser Prozess soll nun nach dem Willen der No-Deal-Gegner beschleunigt werden. Der Court of Sessions in Schottland wäre aber lediglich die erste Instanz in der Frage.
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Die britische Verfassung ist nicht mit dem deutschen Grundgesetz zu vergleichen, das in einem gesammelten Werk vorliegt. Das Verfassungsrecht der Briten beruht zu einem wesentlichen Teil auf Präzedenzurteilen und anderen Quellen, die immer wieder den aktuellen Gegebenheiten angepasst werden – genannt "Common Law".
- Nachrichtenagentur dpa
- Süddeutsche Zeitung: Ein höchst umstrittenes Manöver
- Eigene Recherche