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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Oppositionelle taucht überraschend wieder auf Als sie aus dem Schatten tritt, strömen die Massen auf sie zu
Überraschend tauchte am Donnerstag die venezolanische Oppositionelle María Corina Machado wieder auf. Kurz darauf wird sie wohl für einige Stunden entführt. Was ist geschehen?
Am Donnerstagnachmittag verwandelte sich die Wut auf den Straßen von Caracas für einen Moment in Euphorie. Tausende Menschen hatten sich in der Hauptstadt Venezuelas versammelt, um unter dem Motto "Ruhm dem tapferen Volk" gegen die für Freitag geplante Vereidigung des amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro zu protestieren. Dann gab es eine Überraschung. Ein Motorrad fuhr im Ortsteil Chacao vor, auf dem die Oppositionsführerin María Corina Machado saß.
Nach Monaten kam die größte Widersacherin Maduros damit erstmals wieder überraschend aus ihrem Unterschlupf hervor, in den sie sich nach der Wahl Ende vergangenen Juli aus Angst vor Repressionen des Regimes zurückgezogen hatte. Hunderte Menschen strömten auf sie zu und applaudierten der 57-Jährigen. "Sie haben versucht, uns zu spalten, aber wir haben keine Angst", rief Machado den Menschen vom Dach eines Lkw während ihrer gut 20-minütigen Rede zu. Dann setzte sie sich wieder auf das Motorrad und fuhr davon.
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Was dann geschah, lässt sich am Tag danach nur schwer rekonstruieren. Menschenmassen begleiteten Machado ein Stück, um ihr sicheres Geleit zu geben. Kurz darauf aber meldete Machados Kampagne, dass die Oppositionsführerin von Regimekräften "gewaltsam abgefangen" und vom Motorrad gestoßen worden sei. Auch Schüsse seien gefallen. Dann sei Machado entführt worden, ihr Fahrer soll verletzt worden sein. Stunden später tauchte ein Video von Machado auf, in dem sie sagt, dass es ihr gut gehe. Doch es gibt Zweifel an der Authentizität der Aufnahme.
Aussage gegen Aussage
Wenige Stunden nach ihrer Entführung ist Machado zumindest wieder freigelassen worden. Das bestätigten ihre Mitstreiter. In diesen Stunden habe die Oppositionelle jedoch "mehrere Videos aufnehmen müssen". Später erklärte sie auf der Plattform X: "Ich bin jetzt an einem sicheren Ort und entschlossener denn je, BIS ZUM ENDE an eurer Seite zu stehen!" Am Freitag wolle sie sich zu den Details des Vorgangs äußern.
Die Regierung wies die Version der Opposition umgehend zurück. Venezuelas Innenminister Diosdado Cabello sprach von einer "Erfindung" und einer "Lüge". Die Opposition wolle "ganz Venezuela in Angst versetzen" und habe mit den Aussagen über die Festnahme Machados "das Allerlächerlichste" getan. Es steht Aussage gegen Aussage.
Edmundo González Urrutia, Machados politischer Partner und Maduros Konkurrent bei den Präsidentschaftswahlen, sagte aus seinem Exil: "Die Tatsache, dass María Corina frei ist, schmälert nicht, was geschehen ist." Machado sei unter gewalttätigen Bedingungen entführt worden.
USA erkennen González Urrutia als neuen Präsidenten Venezuelas an
Die Präsidentschaftswahl Ende Juli hatte der seit 2013 amtierende Maduro laut dem offiziellen Ergebnis mit 52 Prozent der Stimmen gewonnen. Die Opposition prangert jedoch massiven Wahlbetrug an. Ihr Kandidat González Urrutia beansprucht das Präsidentenamt für sich. Die Opposition sagt, er habe die Wahl mit 67 Prozent der Stimmen gewonnen.
Mehrere Staaten, allen voran die USA, haben González Urrutia offiziell als Präsident anerkannt. Selbst mit Venezuela befreundete Staaten und Regierungen wie Kolumbien, Brasilien oder Mexiko erkennen den proklamierten Wahlsieg Maduros nicht an, sie fordern die Herausgabe der Wahlprotokolle. Keiner der drei linksgerichteten Präsidenten möchte Maduros Amtseinführung beiwohnen, sie schicken aber ihre Botschafter. González Urrutia war angetreten, nachdem Machado von der Wahl ausgeschlossen worden war.
Nach der Wahl war González Urrutia zunächst nach Spanien geflüchtet, reiste zuletzt jedoch auf der Suche nach Unterstützung durch mehrere Länder Lateinamerikas und in die USA. Am Donnerstag bekamen er und Machado erstmals die Rückendeckung des designierten US-Präsidenten Donald Trump. Das verleiht dem Oppositionskandidaten offenbar neue Kraft.
González Urrutia will nach Venezuela zurückkehren – aber wie?
Denn auch er hat seine "baldige" Rückkehr nach Venezuela angekündigt. Das erklärte González Urrutia am Donnerstag in der dominikanischen Hauptstadt Santo Domingo im Beisein mehrerer lateinamerikanischer Ex-Präsidenten. Ob er schon zur Amtseinführung Maduros an diesem Freitag in das Land zurückkehren will, ließ er offen. Maduros Innenminister Cabello sprach direkt eine Drohung aus, dass unerlaubt einfliegende Flugzeuge abgeschossen werden würden.
Das Regime hält den Druck auf den Oppositionellen derweil aufrecht: Es hat ein 100.000-Dollar-Kopfgeld auf González Urrutia ausgesetzt. Außerdem soll der Schwiegersohn des Präsidentschaftskandidaten, Rafael Tudares, am Dienstag in Caracas entführt worden sein, als er seine Kinder zur Schule bringen wollte. Was mit den Kindern geschehen ist, ist nicht bekannt. Am Donnerstag erklärte González Urrutia, dass es weiterhin keine Informationen über den Aufenthaltsort und Zustand seines Schwiegersohns gibt.
Mehr als 1.700 politische Gefangene in Venezuela seit Wahlen
Maduros Amtseinführung an diesem Freitag könnte derweil zu einer weniger beeindruckenden Veranstaltung werden, als es sich der linksautoritäre Präsident wohl vorgestellt hatte. Noch ist unklar, ob überhaupt ein Präsident aus der Region zu der Zeremonie kommt. Möglicherweise kommen die Staatsoberhäupter der ebenfalls autoritär regierten Staaten Kuba und Nicaragua, Miguel Díaz-Canel und Daniel Ortega, bestätigt ist das jedoch nicht. Maduros Verbündeter Russland will den Duma-Präsidenten Wjatscheslaw Wolodin schicken.
Wie bereits am Donnerstag werden die Behörden wohl ein massives Polizeiaufgebot in Caracas auffahren. Derweil warnte Oppositionskandidat González Urrutia die Sicherheitskräfte des Landes, "nicht mit dem Feuer zu spielen". Laut der Nichtregierungsorganisation Foro Penal wurden bei Protesten am Donnerstag im ganzen Land mindestens 18 Menschen festgenommen. Sie gehören nun zu den mehr als 1.700 Regierungsgegnern, die seit den Wahlen im August hinter Gitter gesteckt wurden.
- Eigene Recherche
- elespectador.com: "¿Qué pasó realmente con María Corina Machado? Estos fueron los hechos" (spanisch)
- washingtonpost.com: "Venezuelan opposition leader María Corina Machado briefly detained" (englisch)
- cnnespanol.cnn.com: "¿Podría Edmundo González Urrutia entrar a Venezuela este viernes? Esto dice Juan Pablo Guanipa" (spanisch)
- elespectador.com: "Venezuela: ¿a qué hora, quiénes asisten y en dónde se posesiona Nicolás Maduro?" (spanisch)
- spiegel.de: "Die mysteriöse Express-Entführung der Maria Corina Machado" (kostenpflichtig)
- taz.de: "Maduro und González ringen um Venezuela"
- apnews.com: "Venezuelan opposition leader says his son-in-law has been kidnapped in Caracas" (englisch)
- Mit Material der Nachrichtenagentur AFP