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Israels Ex-Botschafter Shimon Stein: "Trump für Netanjahu eine Erleichterung"


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Krieg im Nahen Osten
"Möglich, dass Trump Israel freie Hand zur Annexion gibt"

InterviewVon Gerhard Spörl

23.11.2024Lesedauer: 7 Min.
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Der ehemalige und künftige US-Präsident Donald Trump: (Archivbild): Er und Israels Premierminister Benjamin Netanjahu sind eng verbunden. (Quelle: Brandon Bell/reuters)
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Der israelische Diplomat Shimon Stein hält es für möglich, dass Donald Trump Israel freie Hand lässt. Im Iran sieht er den Verlierer, der seine Strategie für die Region überdenken wird.

Die Wahl Donald Trumps hat auch Auswirkungen auf den Nahen Osten. Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, befürchtet, dass der neue US-Präsident dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu freie Hand bei der Annexion der Westbank lässt. Deutschland spiele hingegen keine bedeutende Rolle in der Region.

t-online: Herr Stein, welchen Unterschied macht Donald Trump für Israel?

Shimon Stein: Ich bin kein Psychologe, aber aus seiner ersten Amtszeit wissen wir, dass er unstet ist, unberechenbar. Aber Trump hat, wie wir auch wissen, ein enormes Ego und möchte unbedingt den Friedensnobelpreis bekommen wie Obama. In der ersten Amtszeit hatte er einen Plan für eine Zweistaatenlösung aufgestellt. Damals war er der Initiator des Abraham-Abkommens 2020, das zu diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und den Arabischen Emiraten, Bahrain, Sudan sowie Marokko führte. Möglich, dass er daran anknüpft. Aber wer weiß das schon?

Glauben Sie, dass Israel freie Hand bekommt und nicht mehr, wie von Joe Biden, neben aller Unterstützung gemaßregelt wird?

Für die rechten und rechtsradikalen Kräfte um Benjamin Netanjahu ist ein Präsident Trump eine Erleichterung, das ist wahr. Die Personen, denen er die Nahostpolitik anvertrauen will, sind ausgesprochen pro-israelisch eingestellt, sind selbst Rechte. Zum Beispiel ist der designierte Botschafter Mike Huckabee ein starker Befürworter der Siedlungen im Westjordanland. Es ist also genauso gut möglich, dass Trump der Regierung Netanjahu freie Hand zur Annexion der Westbank gibt.

Nicht zufällig haben Vermittler wie Katar ihre Verhandlungen über einen Waffenstillstand in Gaza eingestellt.

Weil es auf beiden Seiten keine neuen Angebote gibt. Solange sich weder Israel noch die Hamas bewegt, entfällt die Grundlage für Verhandlungen. Allerdings habe ich gerade in israelischen Zeitungen gelesen, dass Leute im Sicherheitsapparat der Auffassung sind, es sei an der Zeit, ein neues Angebot auf den Tisch zu legen. Netanjahu aber lehnt dieses Ansinnen nach wie vor ab.

Aus welchen Gründen?

Vielleicht zum Teil aus Überzeugung. Für ihn ist der totale Sieg über die Hamas noch immer ein Ziel, von dem er nicht abrückt. Deshalb ist er nicht bereit, sich aus dem Gazastreifen zurückzuziehen, obwohl das Militär darin kein Problem sieht.

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ehemaliger Botschafter Shimon Stein, war von 2001 bis 2007 israelischer Botschafter in Deutschland, zu Gast in der ARD Talkshow Hart aber Fair mit dem Thema Der Weg der Gewalt: Kann das Sterben in Nahost gestoppt werden? *** Former ambassador Shimon Stein, was Israeli ambassador to Germany from 2001 to 2007, guest on the ARD talk show Hart aber Fair with the topic Der Weg der Gewalt Can the dying in the Middle East be stopped? (Quelle: IMAGO/Horst Galuschka /imago)

Zur Person

Shimon Stein, geboren 1948 in Chaldera, ist ein israelischer Karrierediplomat. Mehrmals hatte er einen Posten in Deutschland inne, zuletzt als Botschafter zwischen 2001 und 2007. Er ist bekannt für seinen Freimut und sein kritisches Temperament.

Welche Gründe hat Netanjahu noch?

Er hat drei weitere Gründe. Erstens will er die Wahl in Israel, die Ende 2026 ansteht, so lange wie möglich hinauszögern. Zweitens will er vermeiden, dass eine staatliche Kommission eingesetzt wird, die das Versagen am 7. Oktober 2023 untersucht. Bis heute hat er die Verantwortung dafür persönlich nicht übernommen. Und drittens kann er auf diese Weise seine Anklage wegen Korruption hinauszögern. Und schließlich bleibt seine Koalition intakt, solange Krieg herrscht. Denn für seine Koalition ist Gaza viel wichtiger als der Libanon.

Insofern ist für diese Regierung auch zweitrangig, was mit den Geiseln passiert, die seit dem 7. Oktober in den Fängen der Hamas sind?

Das stimmt, Netanjahu ist es bedauerlicherweise gelungen, die israelische Gesellschaft in dieser Sache zu spalten. Seine Anhängerschaft ist durch den Coup mit den Pagern, die Führungsmitglieder der Hisbollah getötet haben, noch gewachsen. Deshalb haben die Geiseln keine Priorität mehr.

Gibt es gesicherte Erkenntnisse, wie viele Geiseln die Hamas noch in Händen und wie viele davon noch leben?

Man vermutet, dass noch 51 Geiseln am Leben sind. Jetzt ist die Befürchtung, dass manche von ihnen den zweiten Winter in den Tunneln nicht überleben werden. Deshalb wären Verhandlungen über ihre Befreiung zwingend notwendig, wenn wir nicht alle Geiseln in schwarzen Leichensäcken zurückbekommen wollen. Übrigens soll Trump Netanjahu gebeten haben, das Problem mit den Geiseln bis zu seinem Amtsantritt am 20. Januar zu erledigen.

Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag lässt Haftbefehle für Benjamin Netanjahu und den ehemaligen Verteidigungsminister Joav Galant wegen Aushungern des Gazastreifens ausstellen. Wie reagiert Israel darauf?

Netanjahus Büro weist die Entscheidung zurück und erklärt sie für absurd und sogar für antisemitisch. Sie könnte schwerwiegende Folgen für Netanjahu und Israel haben.

Sie haben vorhin gesagt, Gaza sei wichtiger als der Libanon. Folgt daraus, dass Netanjahu diesen Krieg nicht bis zur völligen Vernichtung der Hisbollah führen will?

Man kann die Hisbollah nicht vernichten, man kann und soll sie schwächen, und das tun wir mit Erfolg. Es ist so, dass Trump zu erkennen gibt, dass er den Libanon im Auge behält. Er hat seinen Schwiegersohn Michael Boulos, den Spross einer reichen libanesischen Familie, zum Berater ernannt. Der Druck, für den Libanon eine Lösung zu finden, scheint nicht gering zu sein.

Wie kann eine Lösung aussehen?

Sie bezieht sich auf die Uno-Resolution 1701 aus dem Jahr 2006 und sieht vor, dass sich die Hisbollah vollständig in Gebiete nördlich des Flusses Litani zurückzieht. Die Durchführung soll eine Kommission überwachen, der Frankreich, die USA und ein arabisches Land angehören. Israel beharrt außerdem darauf, dass es eingreifen kann, sollte die Resolution verletzt werden. Israel ist entschlossen, aus den Fehlern seit 2006 zu lernen. Erst wenn sich die Lage zum Besseren wendet, können die Bewohner, die hier gelebt haben und geflohen sind, in ihre Heimat zurückkehren.

Und der Haken an dieser Lösung?

Dass die israelische Bedingung auf Intervention von der libanesischen Regierung oder der Hisbollah abgelehnt wird. Gespräche unter amerikanischer Vermittlung finden derzeit statt. Man kann nur hoffen, dass es schnell zur Eignung kommt.

Wie schätzen Sie denn die derzeitige Rolle Deutschlands im Nahen Osten ein?

Deutschland hat keine bedeutende Rolle, genauso wenig wie die Europäische Union. Und trotzdem, die deutsche Außenministerin ist sehr unternehmungslustig. Sie hat die Region mehrmals bereist. Sie versucht den Eindruck zu erwecken, dass sie auch einen Beitrag zur Stabilisierung der Gegend leistet. Ich persönlich freue mich aber, dass Annalena Baerbock immer wieder auf den Siedlungsbau und das unverschämte Vorgehen der Siedler im Westjordanland hinweist und auch mit Sanktionen droht.

Die Hisbollah massiv geschwächt, die Hamas stark dezimiert – die Ereignisse der vergangenen Monate haben einen Verlierer und das ist der Iran.

Dazu kommt, dass die entscheidende Figur, Ajatollah Ali Chamenei, offenbar schwer krank ist. Angeblich ist sein 45-jähriger Sohn schon zum Nachfolger bestimmt worden. Dynastische Lösungen sind im Koran eigentlich nicht vorgesehen, aber wir werden sehen.

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Welche Folgerungen zieht der Iran nach Ihrer Einschätzung aus den jüngsten Ereignissen?

Ich glaube, dass der Iran seine gesamte Sicherheitsstrategie überdenken wird. Der Iran versprach sich von der Hamas und der Hisbollah, dass sie Israel davon abhalten, den Iran direkt anzugreifen. Seit den Luftangriffen im April und Oktober ist klar, dass dieser Plan nicht aufgegangen ist. Dass der Iran die Hamas und die Hisbollah deshalb abschreibt, glaube ich aber nicht. Eine Vergeltungsaktion auf den israelischen Angriff im Oktober steht eigentlich noch aus. Beim Zögern spielt Trump eine Rolle. Vielleicht bleibt ein Gegenangriff ganz aus, weil sich der Iran auf die Trump-Ära einstellen will. Übrigens hielten sowohl Joe Biden als auch Trump Netanjahu davon ab, die Öl-Anlagen oder gar die Nuklearanlagen anzugreifen. Der Bitte von beiden musste Netanjahu nachkommen.

Die Angriffe Israels galten den Raketen-Stellungen. Wie hoch schätzen Sie den Schaden ein?

Die Lang- und Mittelstreckenraketen sind offenbar stark dezimiert. Den Verlust kann der Iran nicht von heute auf morgen ausgleichen. Momentan hat das Mullah-Regime keine Abschreckung gegen Israel. Es hat sich außerdem gezeigt, dass der Iran für den Mossad durchsichtig ist, als es zum Beispiel den Hamas-Führer Ismail Hanija in seiner Teheraner Wohnung ermordete.

Der Iran ist, wie Sie sagen, durchsichtig für den Mossad, der auch im Libanon Zugriff auf das Führungspersonal hatte. Und dennoch ist der 7. Oktober passiert. Wie lässt sich diese Diskrepanz erklären?

Als systemisches Versagen. Es ist, wie es ist.

Aus der Schwäche des Iran könnte Netanjahu den Schluss ziehen, dass die Gelegenheit günstig für einen Angriff auf die unterirdischen atomaren Anlagen ist.

Der Iran ist ein Schwellenland. Die politische Entscheidung, ob es Atommacht sein will, soll angeblich noch nicht gefallen sein. Aber wenn Israel bemerken sollte, dass der Iran damit beginnt, Uran von 60 auf 90 Prozent anzureichern, dann würde eine militärische Operation folgen. Sie kann Israel allerdings nicht alleine vornehmen. Ohne aktive amerikanische Unterstützung lassen sich die unterirdischen Nuklearanlagen nicht zerstören. Im Übrigen kann man völlige Vernichtung ohnehin nicht erwarten. Das Wissen bleibt ja in den Köpfen der Wissenschaftler. Das Atomprogramm lässt sich nur um einige Jahre zurückwerfen.

Neben Tel Aviv leben Sie auch in Berlin. Wie wirkt die deutsche Debatte um Aufrüstung der Bundeswehr auf für den Fall, dass Putin Nato-Gebiet, zum Beispiel im Baltikum, angreifen wird, auf Sie?

Ich bin ja immer wieder überrascht, wenn sich Menschen überraschen lassen. Putin vollzieht, was er schon 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz gesagt hat. Er steht auch in gewisser Hinsicht in der Tradition des zaristischen Imperialismus. Es begann in Georgien, jetzt ist die Ukraine dran, das kleine Moldau lässt Putin beständig unterminieren. Ich sehe nicht, dass die Nato dort eingreifen würde, wenn er es annektiert.

Die Nato mit weniger USA oder gar ohne ist nicht vorstellbar. Wie verhält sich Trump nach Ihrer Einschätzung zum Bündnis?

Für Putin ist die Fortsetzung seiner Wiedereroberungen im Baltikum riskant. Ich gehe davon aus, dass die USA in der Nato bleiben werden. Aber vielleicht werden sie ihre Truppen in Europa reduzieren. Ich gebe Trump übrigens recht, dass die USA nicht 60 Prozent der Nato-Lasten übernehmen müssen. Ohne Trump hätten sich die europäischen Verbündeten nicht um das Zwei-Prozent-Ziel bemüht. Trump versteht die USA als Dienstleister. Er kennt nicht die Bedeutung der Allianz als Beitrag zur nationalen Sicherheit der USA.

Deutschland rüstet die Bundeswehr auf, zunächst mit einem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro. Kanzler Olaf Scholz sprach von Zeitenwende. Hat sich auch die Stimmung gewendet?

Ich bin mir nicht sicher, dass die deutsche Bevölkerung die Bedeutung der Zeitenwende voll verstanden hat. Die Anhänger und Wähler von CDU/CSU haben sie vermutlich eher verstanden als die der SPD. Ich glaube, Deutschland ist momentan einfach überwältigt und überfordert, weil es mit so vielen Problemen und Herausforderungen gleichzeitig konfrontiert ist.

Glauben Sie, dass Friedrich Merz besser darauf reagieren wird als sein Vorgänger?

Ein großer Teil der Deutschen hält den Sozialstaat noch für wichtiger als Sicherheit. Insofern stellt sich auch für Merz die Frage nach der Grenze der Zumutungen. Kann er den Paradigmenwechsel vollziehen, vor dem Scholz zurückschreckte? Kann er der Bevölkerung zumuten, Opfer zu bringen? Der Status quo lässt sich jedenfalls nicht mehr halten.

Herr Stein, danke für das Gespräch!

Verwendete Quellen
  • Interview mit Shimon Stein
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