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Türkei: Neue Großdemo gegen Erdoğan – Kritik an Polizeigewalt


Großdemonstrationen gegen Erdoğan
"Das Ausmaß der Proteste hat das Regime überrascht"

Von dpa, afp
Aktualisiert am 28.03.2025Lesedauer: 4 Min.
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Ein Demonstrant hält in Istanbul eine türkische Flagge mit einem Bild des Republikgründers Atatürk: Menschenrechtler prangern massive Polizeigewalt bei den Protesten an. (Quelle: Francisco Seco/dpa)
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Seit der Festnahme des türkischen Oppositionsführers İmamoğlu gibt es landesweit Großproteste gegen die Regierung. Menschenrechtler schildern Fälle massiver Polizeigewalt.

Kurz vor einer geplanten Großdemo in der türkischen Millionenmetropole Istanbul haben Menschenrechtsorganisationen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan aufgefordert, die Angriffe auf friedliche Demonstranten zu stoppen. Unterdessen wurde der Anwalt des größten politischen Konkurrenten des Präsidenten festgenommen. International brandet Kritik am Vorgehen der Regierung auf.

In der gemeinsamen Erklärung von Human Rights Watch, Amnesty International und 13 weiteren Organisationen hieß es, man sei alarmiert "über die jüngste Eskalation des staatlichen Vorgehens gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu". Die Proteste werden einer Umfrage zufolge von einer Mehrheit der türkischen Bevölkerung unterstützt.

Die Polizei geht hart und teilweise brutal gegen Protestierende vor. Der für die größte Oppositionspartei aktive Politiker und Jurist Sezgin Tanrıkulu warf den Einsatzkräften auch sexualisierte Gewalt vor. Genaue Zahlen zu verletzten Demonstranten werden nicht veröffentlicht, die Polizei spricht bloß von mehr als 100 verletzten Beamten.

Erneut protestieren Tausende

Derweil rissen auch am Donnerstag die Proteste in verschiedenen Städten des Landes nicht ab. Tausende Menschen demonstrierten Berichten zufolge den neunten Abend in Folge – unter anderem in Izmir, Istanbul und in der Hauptstadt Ankara. Erneut wurden zahlreiche Menschen festgenommen.

Zu der Großdemo am Samstag in Istanbul hat die türkische Opposition aufgerufen. CHP-Chef Özgür Özel sagte, die Proteste würden so lange fortgesetzt, bis eine vorgezogene Präsidentschaftswahl angesetzt oder der mittlerweile abgesetzte Istanbuler Bürgermeister İmamoğlu aus dem Gefängnis entlassen werde.

Erdoğan lässt Anwalt seines Konkurrenten festnehmen

Unterdessen meldete der Oppositionspolitiker die Festnahme seines Anwalts und forderte dessen sofortige Freilassung. "Dieses Mal wurde mein Anwalt Mehmet Pehlivan aus erfundenen Gründen festgenommen", schrieb İmamoğlu am Freitag im Onlinedienst X. "Als wäre der Putschversuch gegen die Demokratie nicht schon genug, können sie es nicht tolerieren, dass sich die Opfer dieses Putsches verteidigen", fügte er hinzu.

Seit İmamoğlus Festnahme am 19. März demonstrieren in der Türkei täglich Zehntausende Menschen größtenteils friedlich gegen die Regierung Erdoğans. Die Demonstranten werfen dem Präsidenten vor, den beliebten Oppositionspolitiker mithilfe der Justiz politisch kaltstellen zu wollen. İmamoğlu wurden bislang Chancen zugerechnet, Erdoğan bei einer nächsten Präsidentschaftswahl schlagen zu können.

Laut dem türkischen Innenministerium wurden seit Beginn der Proteste fast 1.900 Menschen vorübergehend festgenommen, darunter mehrere Journalisten. Die von Erdoğan als von der Opposition angezettelte "Gewaltbewegung" bezeichneten Proteste wurden in mehreren Städten verboten. In Istanbul hat das Gouverneursamt dieses Protestverbot inzwischen aufgehoben.

Menschenrechtler: Tränengas, Plastikgeschosse und Wasserwerfer gegen Demonstranten

Die Menschenrechtsorganisationen beklagten in ihrer Stellungnahme weiter, die Proteste seien mit "ungerechtfertigter und unrechtmäßiger Polizeigewalt beantwortet" worden. Menschen seien mit Schlagstöcken geschlagen und getreten worden, wenn sie am Boden lagen. Polizisten hätten wahllos Pfefferspray, Tränengas, Plastikgeschosse und Wasserwerfer gegen die Demonstranten eingesetzt, was zu zahlreichen Verletzungen geführt habe.

Pauschale Demonstrationsverbote wie in Istanbul, Ankara, Antalya und Izmir seien unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen. Den Medien müsse ermöglicht werden, die Öffentlichkeit mit den notwendigen Informationen zu versorgen und frei von staatlichem Druck über Ereignisse zu berichten, hieß es auch mit Blick auf Repressionen gegen regierungskritische Fernsehsender. Zu den Unterzeichnern der Erklärung zählen auch mehrere Journalistenvereinigungen und die Autorenvereinigung PEN International.

Mehrheit der Türken stärkt Protestierenden den Rücken

Derweil teilte das Umfrageinstitut Konda über die Plattform X mit, die Mehrheit der Menschen in der Türkei unterstütze einer Umfrage zufolge die Proteste gegen die Absetzung des Istanbuler Bürgermeisters. 21 Prozent der Befragten hielten den Protest für gerechtfertigt, 52 Prozent befürworteten den Widerstand, solange er die öffentliche Ordnung nicht gefährde. 27 Prozent sprachen sich demnach gegen die Proteste aus.

Video | Die Wut auf Erdoğan eskaliert
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Quelle: reuters

Kritik am Vorgehen der Regierung kam auch von Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk sowie vom Grünen-Politiker Cem Özdemir. In einem Beitrag auf der Nachrichtenseite "T24" schrieb Pamuk von "erschreckenden politischen Entwicklungen". Die ohnehin eingeschränkte Demokratie in der autoritär regierten Türkei ende damit, "dass der Kandidat, der beim Volk am beliebtesten ist und bei der nächsten Wahl die meisten Stimmen erhält, ins Gefängnis geworfen wird".

Özdemir: "Das Ausmaß der Proteste hat das Regime vermutlich überrascht"

Laut Özdemir hat der türkische Präsident Erdoğan wohl nicht mit dem Ausmaß der Proteste gerechnet. "Das Ausmaß der Proteste hat das Regime vermutlich überrascht, weil Erdoğan in der Vergangenheit mit seinen Manövern durchgekommen ist", sagte Özdemir im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.

Der türkischen Regierung stehe eine "zunehmend kritische Zivilgesellschaft gegenüber. Viele Menschen in der Türkei haben Zukunftsängste. Ihnen fehlt die Perspektive im eigenen Land", sagte Özdemir. Viele hätten Sorgen um die grundsätzliche Ausrichtung des Landes – etwa hinsichtlich der angestrebten EU-Mitgliedschaft. Und auch wirtschaftlich habe die Türkei enorme Probleme.

Im Umgang mit der Türkei fordert Özdemir "Kooperation und Kritik" zugleich: "Naivität im Umgang mit Autokratien können wir uns nicht mehr leisten. Erdoğan ist kein verlässlicher Partner. Kooperation und klare Kritik – wir brauchen beides, sonst machen wir uns unglaubwürdig."

Am Donnerstag zogen Demonstranten laut der Nachrichtenagentur Anka vor den Sitz der Medienaufsicht Rtük in Istanbul, nachdem diese harte Strafen gegen mehrere oppositionelle Sender verhängt hatte – unter anderem eine zehntägige Sendesperre für Sözcü TV. Die Menschen skandierten dem Bericht zufolge "Freie Presse, freie Türkei". Ein Protest vor einem Einkaufszentrum im Istanbuler Stadtteil Sisli wurde von der Polizei verhindert und mit zahlreichen Festnahmen aufgelöst, wie das Portal "Bianet" berichtete.

Verwendete Quellen
  • Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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