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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Reichinnek bei "Hart aber fair" "Was soll ich darauf eingehen? Er hat sonst nichts zu bieten"

Bei "Hart aber fair" mit Heidi Reichinnek wird es laut – und persönlich. Doch stimmen ihre Zahlen zum Bürgergeld? Ein Bäcker warnt: Mit mehr Mindestlohn bleiben Azubis weg.
Die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek wirft der Union in der Debatte über Bürgergeldbetrug Klientelpolitik für reiche Steuerhinterzieher vor. Jedes Jahr gingen dem Staat 100 Milliarden Euro durch Steuerflucht und Steuerschlupflöcher verloren, aber nur 60 Millionen durch Bürgergeldbetrug, sagte sie am Montagabend bei "Hart aber fair". "Ich wüsste ja, mit welcher Zahl ich mich intensiv beschäftigen würde, wenn ich eine Koalitionsverhandlung führen würde", fügte die Linken-Politikerin hinzu.
Gäste
- Heidi Reichinnek (Die Linke), Fraktionsvorsitzende
- Andreas Bovenschulte (SPD), Bremer Bürgermeister
- Tilman Kuban (CDU), Wirtschaftsexperte
- Isabel Grupp-Kofler, Unternehmerin
- Anna Mayr, Journalistin ("Die Zeit")
- Tobias Exner, Bäckermeister
- Sasa Zatata, bezieht Bürgergeld
Steuerhinterziehung müsse verfolgt werden, sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete Tilmann Kuban und griff Reichinnek direkt an: "Vom Rechtsstaat versteht ihr garantiert gar nichts." So wolle die Linkspartei Hausbesetzungen legalisieren. Reichinnek warf dem ehemaligen Vorsitzenden der Jungen Union vor, nur vom Thema ablenken zu wollen.
Mehr Härte beim Bürgergeld?
Steuerhinterziehung sei Kuban offenbar egal, stellte die Linken-Fraktionschefin, fest, und vermutete dahinter Kalkül: "Das sind die Leute, für die du Politik machst. Das ist mir bewusst." Während Louis Klamroth versuchte, die Diskussionsführung wieder an sich zu ziehen, stritten sich die Politiker im Hintergrund weiter. "Deine Kommunikation ist auf jeden Fall ein Witz", rief Reichinnek Kuban zu. Ob sie auf die Vorwürfe eingehen wolle, fragte Klamroth die Abgeordnete. Ihre Replik: "Was soll ich darauf eingehen? Er hat sonst nichts zu bieten".
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Persönlich wurde es auch zwischen Reichinnek und der Geschäftsfrau Isabel Grupp-Kofler. Dass die Linken-Politikerin behauptete, es gebe beim Bürgergeld nur wenige Job-Totalverweigerer, stellte die Unternehmerin von der Kunststoff-Firma Plastro Mayer GmbH als realitätsfremd dar. "Dieses Meinungsbild kann nur zustande kommen, wenn man nicht in der Praxis ist", warf sie Reichinnek vor, was diese unter Verweis auf ihre Arbeit in der Jugendhilfe strikt zurückwies.
Grupp-Kofler schilderte bei "Hart aber fair", was für Bewerber sie vom Jobcenter geschickt bekomme, die noch nicht einmal zu den Totalverweigerern zählten. Sie bekomme zu hören: "'Arbeiten will ich hier nicht. Ich brauche nur die Unterschrift, damit ich das Geld wieder bekomme' und fertig – weg sind sie." Dann gingen diese Bürgergeldbezieher womöglich noch schwarz arbeiten. Das wisse sie doch gar nicht, warf die "Zeit"-Journalistin Anna Mayr ein.
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Klamroth: Hat SPD die Union ausgetrickst?
Mayr vermutete: Die SPD habe die Union beim Bürgergeld hinters Licht geführt. Sie bezog sich auf den vollständigen Leistungsentzug, der im Sondierungspapier der möglichen schwarz-roten Koalition festgehalten ist, sollte ein Bürgergeldempfänger wiederholt zumutbare Arbeit ablehnen. Das sei schon heute möglich, aber nur unter sehr speziellen Konditionen, erklärte Mayr – nämlich dann, wenn ein Bezieher von Bürgergeld durch einen Job mehr verdienen könne, als er an staatlichen Leistungen erhalte. "Das ist viel Geld", sagte Mayr, denn oft gehe es um ungelernte Arbeiter. Hätten diese Familie, wofür es zusätzlich Bezüge gebe, sei am Ende ein hohes Bruttogehalt nötig, um das Bürgergeld komplett streichen zu können.
"Haben Sie die Union ausgetrickst?", wollte Klamroth vom Bremer Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) wissen, auch mit Blick auf das enorme Investitionspaket für die Infrastruktur. So etwas habe er sich von der Wahl nicht vorstellen können, erklärte Kuban. Er machte keinen Hehl aus seiner Kritik an der Verhandlungstaktik des vermutlich nächsten Bundeskanzlers Friedrich Merz.
Bovenschulte, der an den Gesprächen mit CDU/CSU beteiligt ist, bemühte sich natürlich, den Erfolg der SPD herunterzuspielen. "Das war gemeinsames Ankommen in der Realität", kommentierte er das Ergebnis der Sondierungsgespräche. Der Bremer Bürgermeister sprach wie Reichinnek lediglich von "ein paar" Totalverweigerern im Bürgergeld. Die große Mehrheit der Bezieher wolle arbeiten oder eine Ausbildung machen.
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Dazu müsse man aber erst mal in der Lage sein, gab Sasa Zatata zu bedenken. Sie leidet unter einer rheumatischen Erkrankung und stockt ihre Erwerbsminderungsrente mit Bürgergeld auf. Ihr Ehemann übernehme ihre Pflege und könne dadurch ebenfalls keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, berichtete Zatate bei "Hart aber fair". Sie forderte: Die Definition von Arbeit müsse weiter gefasst werden.
Bäcker warnt vor höherem Mindestlohn
Während Reichinnek einen höheren Bürgergeldsatz verlangte und Bovenschulte auf die Anhebung des Mindestlohns pochte, warnte der Bäckermeister Tobias Exner: Das wird teuer für Unternehmer, und zwar durch die Bank. Denn wenn die am wenigsten qualifizierten Mitarbeiter eine 17-prozentige Lohnerhöhung bekämen, wollten dies natürlich in ähnlicher Form auch Kollegen mit höheren Gehältern – ganz zu schweigen von steigenden Preisen bei Dienstleistern und Rohstofflieferanten.
Exner, der Inhaber einer Bäckereikette ist, fürchtete, dass ein höherer Mindestlohn den Firmen nicht mehr Auszubildende bringen würde, sondern weniger. Gesellen würden nämlich laut Tarif 15,50 Euro pro Stunde verdienen. Da lohne sich die Ausbildung aus Sicht vieler junger Menschen nicht mehr, wenn der Mindestlohn auf 15 Euro steige, warnte Exner. Wie Grupp-Kofler führt er sein Unternehmen in dritter Generation.
Kurzer Faktencheck zu den von Reichinnek genannten Zahlen: Die Summe von 100 Milliarden Euro durch Steuerbetrug wird immer wieder von der Deutschen Steuer-Gewerkschaft genannt. 15 Milliarden entfallen laut der Interessenvertretung für das Personal der Finanzverwaltung der Bundesrepublik auf alltäglichen Steuerbetrug bei der Bezahlung mit Bargeld, etwa in Restaurants. Der große Rest werde durch professionelle Finanzkriminalität wie die sogenannten Cum-Ex-Geschäfte hinterzogen, erklärte der Gewerkschaftsvorsitzende Florian Köbler kürzlich im Interview mit dem MDR.
Der Sender hat auch bei der Arbeitsagentur nachgefragt, wie hoch der Schaden durch den Missbrauch staatlicher Leistungen ausfällt. Die Antwort: 2022 habe sich der Schaden auf knapp 273 Millionen Euro summiert. Dies seien aber nur die bekannten Fälle.
- ARD: "Hart aber fair" vom 24. März 2025
- mdr.de: Bürgergeldbetrug oder Steuerhinterziehung – was kostet uns mehr?