Staatskrise Nach Putschversuch in Bolivien: 17 Militärs festgenommen
Abtrünnige Militärs fordern die Regierung heraus. Der Aufstand dauert nur wenige Stunden, dann werden die Rädelsführer festgesetzt. Solidaritätsbekundungen zeigen: Die Generäle haben keinen Rückhalt.
Nach dem gescheiterten Putschversuch in Bolivien sind 17 Militärs festgenommen worden. "Wir werden dieses antidemokratische Netzwerk stoppen, wir werden nicht ruhen, bis alle Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden. Es ist an der Zeit, die Putschisten von der Straße zu holen und sie hinter Gitter zu bringen", sagte Boliviens Innenminister Eduardo del Castillo am Donnerstag auf einer Pressekonferenz.
Zu den Festgenommenen zählen auch die Anführer General Juan José Zúñiga und Vizeadmiral Juan Arnez Salvador. Sie sollten noch am Donnerstag zu einer ersten Anhörung vor ein Gericht gestellt werden. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihnen unter anderem bewaffneten Aufstand gegen die Souveränität des Staates und Angriff auf den Präsidenten vor. Im Falle einer Verurteilung droht ihnen bis zu 30 Jahre Haft.
Es habe verschiedene Gruppen gegeben, die für die Vorbereitung, Organisation und Koordination des Putschversuchs verantwortlich sein sollen, sagte del Castillo. Nach drei weiteren Reservisten werde noch gefahndet.
Solidarität mit der Regierung
Eine Tag nach dem Putschversuch gingen zahlreiche Demonstranten zur Unterstützung der Regierung auf die Straße. Sie errichteten zwischen dem Regierungssitz La Paz und der höher gelegenen Schwesterstadt El Alto Straßenblockaden, wie die Zeitung "La Razón" berichtete. "Wir werden nicht zulassen, dass die Demokratie angegriffen wird", sagte die Bürgermeisterin von El Alto, Eva Copa. In der Industriestadt auf 4100 Meter Höhe hat die Regierung unter den Arbeitern und Indigenen zahlreiche Anhänger.
Am Mittwoch war in La Paz ein Staatsstreich gescheitert. Abtrünnige Militärs hatten mit gepanzerten Fahrzeugen den zentralen Platz besetzt und waren in den Regierungspalast vorgedrungen. Präsident Luis Arce tauschte die gesamte Führungsriege der Streitkräfte aus. Die neuen Chefs der Teilstreitkräfte ordneten daraufhin den Rückzug der Truppen an.
In Bolivien haben sich immer wieder Generäle an die Macht geputscht. In den 1960er bis 1980er Jahren griffen die Militärs mehrere Dutzend Mal nach der Macht. Seit der Unabhängigkeit 1825 lebte das Land rund 100 Jahre unter Militärherrschaft.
Unter Zúñigas Kommando hatten Soldaten den zentralen Murillo-Platz von La Paz besetzt. Ganz ohne Blutvergießen verliefen die dramatischen Momente nicht: Nach Angaben der Regierung wurden neun Menschen verletzt. "Die Kommandeure der Streitkräfte (...) verbreiteten nicht nur Angst und Schrecken, sondern gebrauchten auch Schusswaffen gegen das Leben, die Menschlichkeit und die Integrität des bolivianischen Volkes", schrieb Boliviens Innenminister Eduardo del Castillo auf X.
Putschversuch gegen die Kandidatur des Ex-Präsidenten gerichtet?
Das Motiv für den Putschversuch war zunächst unklar. "Genug der Verarmung unseres Heimatlandes, genug der Demütigung des Militärs. Wir sind gekommen, um unseren Unmut zu äußern", sagte General Zúñiga beim Vorrücken auf den Regierungspalast.
Später legte Zúñiga nahe, sein Putsch sei sogar mit Präsident Arce selbst abgestimmt gewesen. "Der Präsident hat mir gesagt, dass die Situation sehr schlecht ist. Es sei notwendig, etwas vorzubereiten, um seine Popularität zu steigern", sagte General Zúñiga vor seiner Festnahme im Fernsehen. "Ich habe ihn gefragt: "Holen wir die Panzer raus" und er hat geantwortet: "Holt sie raus"." Die Regierung wies die Darstellung zurück. "Das Ziel von Zúñiga war es, die Macht im Land zu übernehmen, gegen den Willen des Volkes", sagte Innenminister Del Castillo.
Möglicherweise richtete sich der Putschversuch gegen eine erneute Präsidentschaftskandidatur des früheren Staatschefs Evo Morales (2006-2019). Berichten zufolge hatte Zúñiga gesagt, Morales dürfe nicht als Präsident zurückkehren, und gedroht, sich ihm in diesem Fall in den Weg zu stellen. Wegen dieser Äußerungen sei Zúñiga bereits am Dienstagabend darüber informiert worden, dass er seinen Posten räumen müsse, sagte Verteidigungsminister Edmundo Novillo.
Morales und Arce kämpfen um die Macht
Der linke Staatschef Morales - der erste indigene Präsident Boliviens - war 2019 unter dem Druck des Militärs zurückgetreten, nachdem ihm von der Opposition und internationalen Wahlbeobachtern Betrug bei der Präsidentenwahl vorgeworfen worden war. Obwohl ihm das in mehreren Gerichtsentscheidungen eigentlich untersagt wurde, will Morales 2025 erneut bei der Präsidentenwahl kandidieren. Derzeit ringen Morales und sein ehemaliger Verbündeter Arce um die Macht in der Regierungspartei MAS.
Bolivien gehört zu den strukturschwächsten Staaten in Lateinamerika. Das Binnenland hat rund 12 Millionen Einwohner und ist etwa dreimal so groß wie Deutschland. Rund die Hälfte der Bolivianer gehört indigenen Völkern an. Damit ist Bolivien nach Guatemala in Lateinamerika das Land mit dem zweitgrößten indigenen Bevölkerungsanteil. Wegen der schlechten Wirtschaftslage kommt es immer wieder zu sozialen Protesten.
Auch Morales verurteilte den Putschversuch umgehend. "Wir sind überzeugt, dass die Demokratie der einzige Weg ist, um Differenzen zu lösen, und dass die Institutionen und die Rechtsstaatlichkeit respektiert werden müssen", schrieb er auf X. "Wir bekräftigen unsere Forderung, dass alle an diesem Verbrechen Beteiligten verhaftet und vor Gericht gestellt werden müssen."
Internationale Unterstützung stärkt Arce den Rücken
Internationale Organisationen sowie die Staatschefs mehrerer lateinamerikanischer Präsidenten erklärten ihre Solidarität mit der demokratisch gewählten Regierung Boliviens. "Ich verurteile entschieden die Versuche, die demokratisch gewählte Regierung Boliviens zu stürzen", schrieb EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf der Plattform X. Die Europäische Union stehe an der Seite der Demokratien.
Auch UN-Generalsekretär António Guterres rief alle Akteure der bolivianischen Gesellschaft, einschließlich der Streitkräfte, dazu auf, die konstitutionelle Ordnung des Landes zu schützen und ein "Klima des Friedens" aufrechtzuerhalten. Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Luis Almagro, schrieb auf X: "Für die Demokratie: alles. Für Gewalt: nichts."
- Nachrichtenagentur dpa