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Russland: Was plant Wladimir Putin nach der Präsidentschaftswahl?


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Wahl in Russland
"In Putins Elite brodelt es"

InterviewVon Simon Cleven

17.03.2024Lesedauer: 7 Min.
RUSSIA-ELECTION/PUTINVergrößern des Bildes
Wladimir Putin nimmt an einer Marineparade in St. Petersburg teil (Archivbild): Mit Scheinwahlen will sich Russlands Präsident im Amt bestätigen lassen. (Quelle: Maxim Shemetov/reuters)

Putin wird bei den russischen Scheinwahlen wohl einen Erdrutschsieg einfahren. Was aber geschieht danach? Die fünfte Amtszeit des Kremlchefs könnte Überraschungen bereithalten.

Seit Freitag sind die Bürger Russlands und die Menschen in den besetzten Gebieten in der Ukraine dazu aufgerufen, einen Präsidenten zu wählen. Es sind Scheinwahlen, denn dass Wladimir Putin im Amt bestätigt wird, steht laut Einschätzung von Experten außer Frage. Vielmehr wird ein Erdrutschsieg des Kremlchefs erwartet.

Wichtiger als das Wahlergebnis ist deshalb, was Putin in seiner fünften Amtszeit plant, welche Maßnahmen er umsetzen könnte – vor allem mit Blick auf den Krieg in der Ukraine, aber auch innenpolitisch. Der Russlandexperte Fabian Burkhardt sagt im Gespräch mit t-online, dass der Präsident wohl unpopuläre Entscheidungen treffen wird. Außerdem erklärt Burkhardt, warum die russische Elite nervös auf die Zeit nach der Wahl blickt und dass ein für Russland entscheidender Termin eigentlich erst im Mai ansteht.

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t-online: Herr Burkhardt, die russischen Präsidentschaftswahlen sind eine Farce. Putins Sieg gilt schon lange als sicher, von freien Wahlen kann nicht die Rede sein. Welche Bedeutung haben die Abstimmungen überhaupt noch?

Fabian Burkhardt: In einem derart repressiven autoritären Regime wie in Russland geht es weder um demokratischen Wettbewerb noch um die Legitimierung politischer Macht. Man sollte die Abstimmung als eine Art Ritual betrachten. Sie suggeriert einerseits Normalität, trotz des Angriffskriegs, der in der Ukraine tobt. Andererseits sollen die "Wahlen" ein Signal der Stärke und Einheit senden. Es gibt weder Widerspruch noch Abweichungen von der Linie des Kreml. Kandidaten, die den Krieg oder Putin kritisieren, sucht man auf dem Wahlzettel vergeblich. Kontrafaktisch könnte man auch fragen: Was wäre, wenn Putin keine Wahlen abhalten würde?

Was könnte dann passieren?

Dann würden breite Teile der Bevölkerung zumindest merken, dass etwas nicht stimmt – und eventuell ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen. Das aber will der Kreml um jeden Preis vermeiden. Gleichzeitig würde ein wichtiger Stresstest für das System fehlen. Denn Putin testet mit diesen "Wahlen" auch die Loyalität seiner Bürokratie. Sie muss in Behörden und staatlich kontrollierten Unternehmen Wähler mobilisieren. Russland ist ein riesiger Flächenstaat. Putin wird genau hinschauen, wo und wie seine Vorgaben umgesetzt werden und wer nicht ausreichend Enthusiasmus an den Tag legt.

(Quelle: IOS/Wolfgang Steinbacher)

Zur Person

Fabian Burkhardt ist Politikwissenschaftler und arbeitet am Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg. Außerdem ist Burkhardt Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Sein Fachgebiet ist die russische Innenpolitik mit Fokus auf die Exekutive und Eliten. Zudem forscht er zu autoritären Regimen im postsowjetischen Raum.

Russische Wahlforscher erwarten eine "Zustimmung" für den Kremlchef von mehr als 80 Prozent. Warum braucht Putin solch einen astronomischen Wert?

Über die Phase, dass Zustimmungswerte realistisch sein müssen, ist man in Russland schon lange hinaus. Es ist eine Geste des Systems an seinen autoritären Herrscher. Letztlich befriedigt man mit diesen Werten Putins Eitelkeit.

Schon bald wird also Putins Sieg verkündet. Der Kremlchef sitzt fest im Sattel der Macht. Wozu wird er seine fünfte Amtszeit Ihrer Ansicht nach nutzen?

Ihm geht es besonders um zwei Dinge: seine Macht zu zementieren sowie den Krieg in der Ukraine weiterzuführen und zu gewinnen. Mit Blick auf ersteres sollten wir zunächst den Mai abwarten. Erst dann beginnt Putins neue "Amtszeit". Gleichzeitig tritt die Regierung geschlossen zurück. Das ist eigentlich nur eine Formalität. Interessant wird dann aber, welche Minister auf ihre Posten zurückkehren und welche nicht. Besonders wichtig sind der Ministerpräsident, seine Vizepremiers sowie die Ministerposten für Verteidigung, Außenpolitik, Finanzen und Energiewirtschaft.

Die Ernennung ist stets ein Grund für Spekulationen und Nervosität innerhalb der Eliten. Vermutlich wird Putin insgesamt auf Konstanz setzen. Wir werden viele alte Bekannte wiedersehen. Allerdings wird schon länger erwartet, dass Wechsel an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes FSB und der Ermittlungsbehörde vollzogen werden, und die Posten der Chefs der Zollbehörde, des Rechnungshofs und des Obersten Gerichtshofs sind derzeit vakant.

Und mit Blick auf den Krieg in der Ukraine?

Putin wird alles daran setzen, seine Ziele in der Ukraine zu erreichen. Es geht ihm darum, die Ukraine mit militärischen Mitteln in die Knie zu zwingen. Russland hat kein Interesse an Verhandlungen. Putin will, dass die Ukraine ihre Souveränität aufgibt und sich Russland unterwirft. Und er spielt dabei auf Zeit: Putin wartet die Wahlen ab, die in diesem Jahr im Westen anstehen, besonders die US-Wahl im November. Er will die derzeitige Schwäche des Westens für seine Angriffe in der Ukraine nutzen.

Er hat die russische Wirtschaft und seine Verwaltung auf den Krieg eingestellt. Die Elite steht dabei größtenteils hinter ihm. Und gleichzeitig will Putin neuen Kräften – den "Helden des Kriegs" – mit der Invasion einen Karrierelift bieten.

Was kann man sich darunter vorstellen?

Putin hat zuletzt immer wieder angedeutet, dass die alte Elite ihm nicht patriotisch genug ist. Er sagte schon 2020 während der Verfassungsreform, dass er das "Augenrollen" mancher Akteure bemerkte, die sich womöglich schon nach einem Nachfolger umschauen. In seiner Rede zur Lage der Nation im Februar hat er dann dazu aufgerufen, eine neue Elite zu schaffen. Was das bedeutet, ist jetzt schon zu beobachten.

Inwiefern?

Wir sehen umfassende Verteilungskämpfe, besonders in der Wirtschaft. Es gibt Zwangsenteignungen von Unternehmen. Das betrifft besonders solche Firmen und Personen, die noch immer Beziehungen ins Ausland haben, aber auch in der Rüstungsindustrie wird die staatliche Kontrolle ausgebaut. Und vor allem in der Energiewirtschaft gibt es immer wieder mysteriöse Todesfälle von Topmanagern, die mit Zufällen kaum mehr zu erklären sind. Es deutet eher darauf hin, dass die Verteilungskämpfe innerhalb der Eliten mit harten Bandagen geführt werden. Da brodelt es.

Kann Putin die alte Elite einfach absägen?

Nein, und das tut er auch nicht. Selbst bei der Umstrukturierung profitieren Akteure, die man der alten Elite zurechnet, die also schon in den 1990er Jahren und später im Fahrwasser von Putins Präsidentschaft zu viel Geld und Macht gekommen sind. Dazu gehören etwa Unternehmer wie Wladimir Potanin und Wagit Alekperow oder auch Igor Setschin. Putins Rhetorik, dass die Veteranen und "Helden" des Krieges zur neuen Elite werden sollen, ist auch als Wahlkampfversprechen zu betrachten, das er schwerlich sofort umsetzen wird. Der Krieg erwies sich bisher nur für wenige als ein wirklicher Karrierelift, und der Widerstand im Establishment gegen Emporkömmlinge ist groß. Dennoch führt das zu Bewegung innerhalb des Regimes.

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Seit dem Flugzeugabsturz des Söldnerchefs Jewgeni Prigoschin scheint die letzte kritische Stimme innerhalb des Systems verstummt zu sein. Gibt es jetzt überhaupt noch Kritiker im Kreml?

Tatsächlich hat Prigoschins Tod interne Debatten, die teils öffentlich ausgetragen wurden, bis auf Weiteres komplett verstummen lassen. So ist schwer zu bewerten, wie die Stimmungslage innerhalb des Systems wirklich ist. Es wird zumindest eine Diskrepanz zwischen der Elite und der "normalen" Bevölkerung deutlich. Laut Umfragen unabhängiger Institute steigt etwa der Anteil der Bevölkerung leicht, der Friedensverhandlungen mit der Ukraine befürwortet – wenn auch nach russischem Diktat. Das Signal, das Putin mit Prigoschins Tod an die Eliten gesendet hat, scheint gewirkt zu haben. Selbst wenn es Unzufriedenheit geben sollte, sind aktuell wohl die wenigsten Akteure bereit, sich öffentlich und proaktiv gegen die putinsche Linie zu stellen.

Welche Herausforderungen stehen Putin in seiner fünften Amtszeit abseits der Umstrukturierung der Elite bevor?

Putin wird auch weitere unpopuläre Entscheidungen treffen müssen – und das womöglich schon relativ früh nach der Wahl. Dazu könnten Steuererhöhungen gehören. Eine neue Mobilmachungsrunde wird er tunlichst vermeiden wollen. Der Kreml hat es zuletzt mit allerlei finanziellen Anreizen geschafft, genug frische Kräfte für die Front zu gewinnen. Und für unpopuläre Entscheidungen hat Putin schon in der Vergangenheit Strategien gefunden, damit diese nicht so sehr auf ihn zurückfallen.

Wie macht Putin das?

Die "guten", also populären Entscheidungen kommuniziert er selbst öffentlich. Unpopuläre Entscheidungen aber wälzt er meist auf seine Regierung und die Regionalgouverneure ab – diese sind sozusagen sein Blitzableiter. So wird es auch mit Steuererhöhungen laufen. Interessanterweise werden diese übrigens wohl besonders die Mittelschicht, aber auch Unternehmen treffen. Die Mittelschicht gilt in ihrer Mehrheit als regimetreu. Geht es ihnen ans Portemonnaie, schadet das potenziell Putins Basis bei den Bessergestellten.

Der Präsident verspricht der Bevölkerung Investitionen, besonders in der Sozialpolitik. Wie will er das stemmen angesichts einer Wirtschaft, die auf den Krieg eingestellt ist und von westlichen Sanktionen unter Druck gesetzt wird?

Das ist ein Balanceakt und nicht leicht auszutarieren. Mit der Arbeit seines Teams in der Zentralbank, dem Finanz- und dem Wirtschaftsministerium scheint er aber zufrieden zu sein. Zumindest hat es bisher an den Führungskräften festgehalten, ganz im Gegensatz zum Militär, in dem er – mit Ausnahme des Verteidigungsministers Schoigu und des Generalstabschefs Gerassimow – kräftig rotiert hat. Es ist aber klar, dass die Regierung mit einem Haushaltsdefizit auskommen muss. Auch deshalb sind jetzt Steuererhöhungen im Gespräch.

Es muss gespart werden, und deswegen sind Putins Versprechungen in der Rede an die Nation gerade in der Sozialpolitik mit Vorsicht zu genießen. Insgesamt hat sich die russische Wirtschaft aber als stabiler herausgestellt, als im Westen angenommen wurde. Vor allem der Privatsektor hat mit seiner Agilität – und Skrupellosigkeit gerade bei der Umgehung der Sanktionen – dabei eine wichtige Rolle gespielt. Je mehr Putin aber auf Kriegswirtschaft umstellt, desto mehr leidet die Flexibilität seiner Wirtschaft.

Putin geht nun in seine fünfte Amtszeit, laut Verfassung könnte er 2030 nochmals wiedergewählt werden, sechs Jahre später wäre dann aber Schluss. Wird Putin wirklich jemals aus freien Stücken abtreten?

Die Verfassung spielt in Bezug auf die Einhegung der Macht Putins schon lange keine Rolle mehr. Die Verfassungsänderung von 2020, die Putin zwei weitere Amtszeiten ermöglichte, war lediglich ein Mittel zum Zweck, um den Schein zu wahren, dass alles mit rechten Dingen zugeht. Er wird wohl so lange im Amt bleiben, bis er physisch nicht mehr dazu in der Lage ist oder plötzlich verstirbt. Es ist wahrscheinlich, dass erst dann der Kampf um die Nachfolge richtig beginnt. Ein anderes irreguläres Ausscheiden wie durch einen Putsch oder Massenproteste ist zwar theoretisch möglich, erscheint aber derzeit sehr unwahrscheinlich: Putin hat jegliche offensichtliche Konkurrenz ausgeschaltet und Strukturen zerschlagen, die Mobilisierung gegen ihn ermöglichen.

Auch deshalb lohnt sich noch mal ein genauer Blick auf die Ernennung der neuen Regierung im Mai. Derjenige, der dann Ministerpräsident wird, übernimmt im Falle eines Ausscheidens von Putin das Präsidentenamt interimsweise, bis es zu Neuwahlen kommt. Verschiedene Elitegruppen werden versuchen, ihre Protegés vorsorglich im Kabinett in Stellung zu bringen. Das könnte ein Fingerzeig sein.

Herr Burkhardt, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Fabian Burkhardt
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