t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikAusland

"Ibiza-Video"-Macher Julian Hessenthaler: Österreich "hat massives Problem”


Interview
Unsere Interview-Regel

Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

Zum journalistischen Leitbild von t-online.

Macher des "Ibiza-Videos"
"Das ist einfach geisteskrank"

  • David Schafbuch
InterviewVon David Schafbuch

26.12.2023Lesedauer: 6 Min.
imago images 0262772020Vergrößern des Bildes
Herbert Kickl: Der Politiker liegt in Umfragen mit der FPÖ auf Rang eins in Österreich. (Quelle: Alex Halada/imago-images-bilder)

Julian Hessenthaler sorgte mit dem "Ibiza-Video" in Österreich für einen der größten Politskandale. Im Anschluss saß er in Haft und ist heute pleite. Wie blickt er heute auf das Video?

Es war ein Skandal, wie ihn Österreich zuvor wohl noch nie erlebt hat: Im Mai 2019 veröffentlichten "Der Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" eine gemeinsame Recherche, die die politischen Verhältnisse des Landes bis heute prägt: Stundenlang hatte 2017 der Chef der rechtspopulistischen FPÖ, Heinz-Christian Strache, auf der Insel Ibiza mit einer Frau gesprochen, die sich als Nichte eines russischen Oligarchen ausgegeben hatte. Das Treffen wurde heimlich mit Kameras aufgezeichnet. Strache, der wenige Monate später Vizekanzler wurde, sprach unter anderem davon, wie er der falschen Oligarchennichte Staatsaufträge zukommen lassen würde, wenn sie seine Partei fördere.

Was danach geschah, ist bekannt: Einen Tag nach der Veröffentlichung trat Strache von allen politischen Ämtern zurück. Weniger bekannt ist dagegen, wie es mit einem der Initiatoren des Videos weiterging: Der Privatermittler Julian Hessenthaler hatte mit einem Anwalt dem FPÖ-Politiker die Falle gestellt und saß an jenem Abend Strache auf der Ferieninsel gegenüber. Hessenthaler sprach mit t-online darüber, was er seit der Veröffentlichung erlebt hat, warum er nicht aufhören kann, gegen die Korruption in seiner Heimat zu kämpfen, und wie er den neuen Aufschwung der FPÖ bewertet.

t-online: Herr Hessenthaler, Sie haben vor etwas mehr als vier Jahren mit dem Ibiza-Video die österreichische Regierung zu Fall gebracht, die rechtspopulistische FPÖ mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache flog daraufhin aus der Regierung. Heute steht die Partei in Umfragen klar auf Rang eins. Hätten Sie sich das nach der Veröffentlichung vorstellen können?

Julian Hessenthaler: Das Tempo hat mich überrascht, das Faktum eher weniger. Mittlerweile wechseln die Wähler zwischen der FPÖ und ÖVP wild hin und her. Die Programme unterscheiden sich nur noch minimal. Unter Ex-Kanzler Sebastian Kurz ist aus der ÖVP auch eher eine neurechte Partei geworden. Und offenbar bleibt bei vielen Leuten nur noch das Unmittelbarste hängen. Die FPÖ gilt heute als Anti-Korruptions-Partei, weil für viele mittlerweile die ÖVP bei dem Thema im Fokus steht. Das ist reichlich kurios.

Das wirkt so, als hätte das "Ibiza-Video" überhaupt nichts geändert. Frustriert Sie das bei Ihrer Geschichte nicht?

Ich sehe das dezidiert anders: Es hat sich vieles geändert. Aber ich glaube, dass diese Strukturen, die einen Hang zur Korruption besitzen, in Österreich Jahrzehnte gewachsen sind, und zwar in allen Parteien. Veränderungen brauchen Zeit. Strache wurde in verschiedenen Korruptionsverfahren freigesprochen. Viele Ermittlungen, die das Video angestoßen haben, sind aber bis heute nicht abgeschlossen. Darüber, dass bisher niemand zur Verantwortung gezogen wurde, bin ich schon frustriert. Das liegt an dem schlechten Zustand der Ermittlungsbehörden, insbesondere des Innenministeriums.

imago images 0302217506
(Quelle: Frank Gaeth/imago-images-bilder)

Zur Person

Julian Hessenthaler, 43, war vor der Veröffentlichung des "Ibiza-Videos" als Privatermittler in Deutschland tätig. Nachdem der Skandal öffentlich wurde, tauchte der Österreicher unter und wurde 2022 wegen Handels mit Kokain zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Mittlerweile ist Hessenthaler wieder auf freiem Fuß. Gegen seine Verurteilung hat er Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt. Der Skandal wurde vom Fernsehsender "Sky" in einer vierteiligen Serie verfilmt. Hessenthaler wird darin von Schauspieler Nicholas Ofczarek verkörpert.

Nach der Veröffentlichung des Videos waren Sie untergetaucht. Später wurden Sie in Berlin festgenommen. In Ihrer Heimat wurden Sie dann aber nicht wegen des Videos, sondern wegen des Verkaufs von Kokain zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Ihre Überzeugung ist, dass die Verurteilung politisch motiviert ist. Woran machen Sie das fest?

Ich glaube nicht an eine große, globale Verschwörung gegen mich. Der Innenminister hat jedenfalls nicht zum Telefonhörer gegriffen und Anweisungen gegeben. Aber die Ermittlungsgruppe war politisch gefärbt. Bei den Ermittlungen wurden auch Dinge ausgelassen, obwohl die österreichische Strafprozessordnung sie vorsieht.

Zum Beispiel?

Viele Dinge wollte man nicht wissen. Die beiden Zeugen, die mich belastet hatten, waren nicht sonderlich vertrauenswürdig. Viele ihrer Aussagen waren widersprüchlich. Ich habe an sie keine Drogen verkauft. Und die angeblichen Beweismittel, die gefunden wurden, sind nicht auf Fingerabdrücke oder DNA-Spuren geprüft worden. Als wir dies dann im Verfahren beantragt hatten, waren diese sogenannten Beweismittel nicht mehr verfügbar oder verschwunden. Dabei wurden selbst die Verpackungen der Kameras, die wir auf Ibiza benutzt haben, darauf untersucht. Da muss man den Rechtsstaat infrage stellen. Aber dass Richter bestochen wurden oder es eine gezielte Aktion von oben war, glaube ich nicht.

In der Rückschau wirkt es fast lächerlich simpel, wie Sie einem Spitzenpolitiker eine solche Falle stellen konnten.

Tatsächlich fand ich es zu meiner eigenen Überraschung einfach. Es war geradezu absurd, wie wenig Sicherheitsmaßnahmen Strache getroffen hatte. Die gesamte Operation war auch nicht so stringent und professionell, wie ich es üblicherweise angelegt hätte.

Sie hatten beim ersten Versuch, ein geheimes Video aufzunehmen, vergessen, Speicherkarten in die Kameras einzulegen.

Das lag daran, dass ich von Videokameras keine Ahnung hatte. Ich meine eher: Vieles musste beim "Ibiza-Video" improvisiert und recht kurzfristig geplant werden. Am Ende war es aber mit einem sehr geringen Aufwand und Budget möglich, den Vizekanzler eines EU-Staates zu kompromittieren.

Die "Ibiza-Affäre"

Mit der Veröffentlichung des sogenannten Ibiza-Videos wurde in Österreich 2019 ein politisches Beben verursacht: Hessenthaler hatte mit dem Anwalt Ramin Mirfakhrai zunächst den Kontakt zu dem FPÖ-Politiker Johann Gudenus gesucht. Anschließend organisierte er ein Treffen zwischen Gudenus und dessen Frau, FPÖ-Chef Heinz-Christan Strache und einer falschen Oligarchennichte auf Ibiza. Das mitgeschnittene Gespräch offenbarte, wie Strache der Nichte Staatsaufträge versprach, falls sie im Gegenzug Anteile der "Kronen-Zeitung" kaufe und die FPÖ dort positiv darstelle. Die Folgen des Videos beschäftigen Politik und Justiz in Österreich bis heute.

Strache und sein Parteikollege Johann Gudenus hatten sich an dem Abend um Kopf und Kragen geredet und durch das Video konnte jeder dabei zusehen. Waren beide naiv?

Ach, mit Sicherheit. Es war eine Mixtur aus Naivität und "gelernter Österreicher". Gier war sicherlich auch ein großer Faktor.

Was heißt "gelernter Österreicher"?

Ich habe im Laufe dieses Abends auf Ibiza etwas verstanden: Strache war durchaus bewusst, dass er heikle Dinge anspricht. Manche Dinge wollte er auch umschiffen. Aber er hatte nicht den Eindruck, dass dieser Abend für ihn irgendwelche negativen Konsequenzen haben könnte.

Strache hielt sich für unangreifbar?

Ein führender Politiker spricht an einem Abend darüber, wie eine Oligarchin eine Zeitung kaufen soll, um dann seine Partei zu pushen und im Gegenzug Staatsaufträge zu erhalten. Dabei wusste er von uns nichts, außer unseren Namen. Das ist einfach geisteskrank. Österreich hat eine gewisse Affinität zur Korruption. Das ist gelerntes Verhalten, weil sich diese Politiker in ihrem Handeln sehr sicher fühlen. Strache sagte einmal, dass es früher undenkbar war, dass das Handy eines Spitzenpolitikers beschlagnahmt wird. Dass das heute möglich ist, hatte er kritisiert.

Sie saßen drei Jahre Ihrer Haftstrafe ab, Strache ist bisher nicht verurteilt worden. Aber Sie haben auch etwas gemeinsam: Der ehemalige FPÖ-Chef rief wegen der hohen Gerichtskosten im Netz zu Spenden für ihn auf; Sie haben wegen Ihrer Prozesse mehr als 200.000 Euro Schulden.

Es hat mich finanziell ruiniert. Die Gerichtskosten waren weniger das Problem, sondern eher, wie die Ermittlungsbehörden mit mir umgegangen sind. Nach Ibiza habe ich weiter als Privatermittler in Deutschland gearbeitet. Das wurde mir massiv erschwert. Unter anderem wurde von den Behörden verbreitet, ich sei ein Spion der russischen Mafia. Deshalb konnte ich irgendwann meine Ausgaben für die Prozesse nicht mehr durch meine Einnahmen decken. Ich habe das mittlerweile akzeptiert. Meine Privatinsolvenz schmerzt nicht so sehr wie der Umstand, dass ich zu Unrecht verurteilt wurde.

Loading...
Loading...

Mittlerweile arbeiten Sie in einem Facility-Management-Unternehmen in Österreich und verdienen 1.700 brutto im Monat.

Wegen meiner Insolvenz gibt es die Auflage, dass ich in Österreich leben und arbeiten muss. Den Rest meines Lebens will ich den Job aber nicht machen.

Was wollen Sie stattdessen machen?

Wegen meiner Bekanntheit kann ich nicht mehr als Privatermittler arbeiten. Aber das stört mich nicht mehr. Ich war jemand, der Adrenalin und Stress gebraucht hat. Das hat sich geändert. Ich bin zwar immer noch an investigativen Recherchen interessiert. Aber selbst in den Flieger hüpfen und Spuren suchen will ich nicht mehr. Mich würde eher die Arbeit in einer NGO reizen.

Sie posten auf der Plattform X mittlerweile häufig Nachrichten mit dem Hashtag #thisisaustria über Missstände in ihrer Heimat.

Vor dieser ganzen Affäre hatte mich die Politik in meiner Heimat nie interessiert. Österreich war für mich im Gesamtkontext der Weltpolitik irrelevant. Aber durch meine Situation hat sich das geändert. Ich glaube, dass viele Dinge hier noch immer nicht die Aufmerksamkeit bekommen, die sie eigentlich verdienen. Das Problem mit der Korruption ist größer, als viele glauben. Ich kann jetzt nicht einfach aufstehen und gehen.

Sie denken also nach allem, was passiert ist, nicht daran, Ihrer Heimat den Rücken zu kehren?

Ich bin österreichischer Staatsbürger, habe aber mehr als die Hälfte meines Lebens im Ausland verbracht. Österreich war nie das Zentrum meines Daseins. Sollte die FPÖ im kommenden Jahr die Nationalratswahl gewinnen und Parteichef Herbert Kickl der neue Kanzler werden, würde das meine Situation sicher deutlich verschlechtern. Das hätte vermutlich Konsequenzen für meine eigene Sicherheit. Ich habe noch eine offene Bewährungsstrafe. Ich bin ein leichtes Ziel.

Fürchten Sie einen Kanzler Kickl auch wegen der generellen Auswirkungen auf Österreich?

Dieses Land hat ein massives Problem. Viele Dinge laufen hier schon jetzt falsch. Eine FPÖ-geführte Regierung würde allerdings vieles noch weiter verschlimmern, wenn etwa die Partei das Justiz- oder Innenministerium übernimmt. Im nächsten Jahr wird sich entscheiden, welchen Weg Österreich geht – nicht nur für die kommende Legislaturperiode, sondern vermutlich für das kommende Jahrzehnt. Möglicherweise wachen wir dann in einem zweiten Ungarn auf.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Julian Hessenthaler
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Neueste Artikel



TelekomCo2 Neutrale Website