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Ex-General kritisiert Regierungschef Benjamin Netanjahu schwer


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Ex-General kritisiert Regierungschef
"Dann ist Netanjahu am Ende"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 14.10.2023Lesedauer: 6 Min.
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Benjamin Netanjahu: Ex-General Noam Tibon macht dem israelischen Regierungschef schwere Vorwürfe. (Quelle: Abir Sultan/AFP/getty-images-bilder)
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Ex-Generalmajor Noam Tibon wird in Israel als Held gefeiert. Im Interview erzählt er, wie er seinen Sohn und dessen Familie rettete, warum Premier Netanjahu schwere Schuld trägt und was er von der Bodenoffensive erwartet.

Noam Tibon sitzt auf seinem Balkon in Tel Aviv und kämpft mit Moskitos und einer Flut von WhatsApp-Nachrichten. Der pensionierte Generalmajor der israelischen Armee kann sich derzeit vor Anfragen nicht retten. Als die Hamas am vergangenen Samstag in einem Überraschungsangriff Dutzende Orte in Israel überfiel, raste der 62-Jährige mit einer Pistole bewaffnet in den Süden. Er wollte seinen Sohn und dessen Familie retten, die sich vor Hamas-Terroristen in einem Kibbuz in einem Bunker versteckt hatten. Auf dem Weg dorthin half Tibon auch einem Pärchen, das von einem Trance-Festival geflohen war. Dort hatten die Terroristen rund 250 Feiernde getötet.

Für seine dramatische Rettungsaktion wird Tibon in Israel seitdem als Held gefeiert. Der Ex-Generalmajor mit deutschen Vorfahren ist in Israel auch aus einem anderen Grund bekannt: Zusammen mit 150 anderen pensionierten Generälen des Militärs, der Geheimdienste und Polizei hatte Tibon in den vergangenen Monaten gegen die umstrittene Justizreform des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu protestiert.

Doch am vergangenen Samstag änderte sich der Lauf der Geschichte. Nun ruft Tibon, der wie andere Kritiker von der Regierung noch vor Kurzem als "Verräter" gebrandmarkt wurde, zu deren Unterstützung auf. "Nur ein geeintes Israel kann den Krieg gewinnen. Danach wird abgerechnet", sagt er.

t-online: Herr General, wo waren Sie, als am Samstagmorgen über 1.000 Hamas-Kämpfer in Israel einfielen und über 1.300 Menschen brutal ermordeten?

Noam Tibon: Ich war mit meiner Frau Gali nördlich von Tel Aviv im Mittelmeer schwimmen. Wir sahen Kampfjets am Himmel und hörten Sirenen, aber ich sagte zu Gali: "Lass uns noch eine Runde drehen, so wichtig wird das nicht sein." Als wir um 7.15 Uhr zurück am Auto waren, sah ich auf dem Handy eine Nachricht meines Sohnes, die meine größte Angst wahr werden ließ.

Was stand darin?

Amir schrieb, dass Terroristen in seinem Haus im Kibbuz Nahal Oz sind. Ich antwortete: "Geh in den Schutzraum, bleib ruhig und schließ die Tür ab!" Wir rasten nach Hause, ich holte meine Pistole aus dem Schrank und dann ab Richtung Gaza. Meine Frau Gali saß am Steuer, damit ich Unterstützung organisieren konnte. Ich war überzeugt, die Armee würde helfen. Ich schrieb dem Generalstabschef, dem israelischen Südkommando, dem Divisionskommandeur, dass Terroristen im Haus meines Sohnes sind. Ich kenne sie alle persönlich. Aber ich täuschte mich, niemand half uns. Da wurde mir klar: Das ganze System war zusammengebrochen.

Was passierte dann?

Ich war wie im Tunnel und hatte nur ein Ziel: meinen Sohn zu retten. Doch auf dem Weg nach Nahar Oz rannten plötzlich zwei junge Menschen auf die Straße. Sie hatten Todesangst und zitterten am ganzen Körper. Ich sagte "Kommt, springt ins Auto." Sie kamen von dem Festival, das die Hamas überfallen hatte. Ich gab ihnen Wasser und fuhr sie zurück nach Aschkelon nördlich von Gaza.

Sie drehten um, obwohl Sie wussten, dass Hamas-Kämpfer im Haus Ihres Sohnes sind?

Ich konnte die jungen Leute nicht alleine lassen, die Terroristen waren überall. Nachdem wir sie in Aschkelon bei Polizisten abgegeben hatten, fuhren wir weiter. Wir kamen an einen Checkpoint der Polizei, die uns nicht vorbeilassen wollte. Ich versuchte ihnen klarzumachen, dass ich ein bekannter General bin und zeigte ihnen meinen Ausweis. Doch sie wollten nicht hören. Meine Frau sagte dem Polizisten: "Wenn ihr wollt, erschießt mich. Aber ich fahre jetzt da durch."

Und dann?

Wir fuhren weiter. Währenddessen schrieb ich meinem Sohn: "Vertrau mir, ich werde kommen. Niemand kann mich aufhalten." Auf dem Weg zum Kibbuz sah ich Szenen, die ich nie vergessen werde: brennende Autos, zahllose Leichen am Straßenrand, es war grauenvoll. Ich sah Autos mit einem Nummernschild aus Gaza und wusste, was los ist. Vor Nahar Oz trafen wir Soldaten einer israelischen Spezialeinheit und meinen Freund Israel Ziv, einen pensionierten General.

Wir teilten uns auf: Ich fuhr mit 20 Soldaten in den Kibbuz meines Sohnes, Ziv ging mit der anderen Hälfte in andere umkämpfte Orte. Meine Frau nahm das Auto und brachte verletzte Soldaten, die wir auf dem Weg getroffen haben, in ein Krankenhaus.

Wie gelangten Sie zu Ihrem Sohn?

In Nahar Oz angekommen, gingen wir zu Fuß in den Kibbuz, wo sich noch mehrere Terroristen versteckten. Ich rannte zum Haus meines Sohnes und klopfte von außen ans Fenster des Schutzraumes. "Amir, es ist Papa", rief ich. Er erzählte mir später, dass seine Tochter das Klopfen als erste hörte. Sie rief: "Opa ist da." Es waren die schönsten Worte, die ich je gehört habe. Als wir sicher waren, dass sich keine Terroristen mehr im Haus aufhielten, konnte ich meinen Sohn und seine Familie in den Arm nehmen.

Was lief an diesem Tag schief?

Dieser Samstag war der schlimmste Tag in der Geschichte des jüdischen Volkes seit dem Holocaust. Und der größte Fehler einer Regierung in der Geschichte Israels.

Welchen Fehler meinen Sie?

Anstatt unsere Feinde zu beobachten und uns für einen Krieg zu wappnen, kümmerte sich Netanjahu vor allem um eines: Er versuchte, Israel in eine Diktatur zu verwandeln.

Sie meinen die umstrittene Justizreform, die Kritikern zufolge den Premier vor Korruptionsermittlungen beschützen sollte?

Die Reform hätte die israelische Demokratie zerstört. Doch statt auf die Kritiker zuzugehen, von denen es auch in den Reihen der Militärs immer mehr gab, setzte er die Armee unter Druck. Monatelang verweigerte er ein Gespräch mit dem Generalstabschef, der ihn über die Sicherheitslage informieren wollte, weil Netanjahu Kritik an seiner Reform fürchtete. Das alles führte dazu, dass wir unvorbereitet waren, als die Terroristen losschlugen.

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Im September hatte eine Gruppe von 150 ehemaligen hochrangigen Militärs und Geheimdienstlern, zu der auch Sie gehören, die Regierung in einer öffentlichen Erklärung, dem"Protest der Generäle", gewarnt: Die Verteidigungsfähigkeit des Landes stehe auf dem Spiel, sollte Netanjahu nicht einlenken.

Genau so ist es gekommen.

Aber hat dann nicht auch die Armeeführung versagt?

Die gesamte militärische Führung hat versagt. Ihre Bedrohungsanalyse war verfehlt, sie dachten, die Gefahr aus Gaza käme nur aus den Tunneln. Sie vertrauten auf den Zaun. Generalstabschef Herzi Halevi hat öffentlich bereits Fehler zugegeben. Im Gegensatz zu Benjamin Netanjahu, der das bei seiner Rede in der israelischen Knesset am Mittwoch nicht getan hat. Dabei ist er für das Systemversagen verantwortlich.

Inwiefern?

Netanjahu hat dafür gesorgt, dass Geld aus Katar bei der Hamas landen konnte. Und die Anführer der Hamas benutzten es, um diesen Angriff zu organisieren.

Netanjahu soll Berichten zufolge auf einem Parteitreffen 2019 gesagt haben: "Wer die Gründung eines palästinensischen Staates verhindern will, muss die Stärkung der Hamas und Geldtransfers an sie unterstützen." Was war sein Kalkül?

Netanjahu dachte, er könne die Hamas ruhigstellen und sich ganz auf die Palästinenser im Westjordanland konzentrieren, um dort einen dauerhaften Frieden zu torpedieren. Es war eine völlig falsche Annahme. Ich war von Anfang an dagegen. Nun ist sie vor den Augen aller implodiert. Netanjahu ist schuld am Tod von 1.300 Israelis. Immer mehr in Israel sehen das so. Wenn der Krieg endet, ist Netanjahu politisch am Ende.

Gerade hat sich eine Regierung der nationalen Einheit gebildet. Netanjahu sollte Ihrer Meinung nach vorerst Premierminister bleiben?

Für einen Regierungswechsel wäre jetzt der falsche Zeitpunkt.

Kann ein angeschlagener Premier eine erfolgreiche Offensive führen?

Die Regierung ist dysfunktional. Es herrscht Chaos. Aber wir müssen jetzt zusammenstehen, die Einheit des Staates ist wichtiger. Mein Vertrauen liegt in der israelischen Armee. Solange die Regierung dem Militär nicht im Weg steht, werden wir den Krieg gewinnen.

Seit Tagen bombardiert Israel Ziele im Gazastreifen aus der Luft. Bald wird auch mit einer Bodenoffensive gerechnet. Wie schwierig wird die Operation?

Wir brauchen einen entscheidenden Sieg. Danach wird Gaza komplett zerstört sein. Wir werden jeden Anführer der Hamas töten. Ich habe großes Vertrauen in die israelischen Streitkräfte.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ist vor wenigen Stunden in Israel gelandet. Was erhoffen Sie sich von Deutschland in dem Krieg?

Deutschland hat uns über viele Jahre geholfen. Vor allem, wenn es um die Befreiungen von Geiseln und Gefangenen ging. Die Hamas hat über 200 israelische Geiseln verschleppt, darunter mehrere Deutsche. Wie Yoni Asher, der seine Frau und seine zwei kleinen Kinder vermisst. Ich bitte die deutsche Regierung: Helft uns, die Geiseln aus der Gewalt der Hamas zu befreien!

Herr Tibon, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • haaretz.com: "Another Concept Implodes: Israel Can’t Be Managed by a Criminal Defendant" (englisch)
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