Krawalle in Frankreich Frau eines Bürgermeisters bei Attacke auf Haus verletzt
Bei neuen Unruhen in Frankreich sind wieder Hunderte Menschen festgenommen worden. In einem Pariser Vorort wurde das Haus eines Bürgermeisters zum Ziel der Demonstranten.
Inmitten der Unruhen in Frankreich haben Unbekannte einen Anschlag auf das Haus des Bürgermeisters einer Gemeinde im Großraum Paris verübt. Sie hätten in der Nacht zum Sonntag sein Wohnhaus mit einem Fahrzeug gerammt und das Fahrzeug in Flammen aufgehen lassen, um das Haus in Brand zu stecken, teilte der Bürgermeister von L'Haÿ-les-Roses, Vincent Jeanbrun, am Sonntag auf Twitter mit. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen versuchten Mordes ein.
Seine Frau und eines seiner beiden jungen Kinder seien beim Versuch, "den Angreifern zu entkommen", verletzt worden, schrieb Jeanbrun. Seinen Angaben zufolge ereignete sich der Anschlag gegen 1.30 Uhr nachts. Wegen der anhaltenden Ausschreitungen habe er sich zu dem Zeitpunkt, "wie seit drei Nächten", im Rathaus seiner im Süden von Paris gelegenen Gemeinde aufgehalten, während seine Familie zu Hause geschlafen habe.
Jeanbrun sprach von einem "unsäglich feigen Mordversuch". "Heute Nacht wurde eine neue Stufe des Horrors und der Schändlichkeit erreicht." Wie die Nachrichtenagentur AFP aus dem Umfeld des konservativen Politikers erfuhr, wird Jeanbruns Frau wegen einer Knieverletzung im Krankenhaus behandelt, eines der Kinder erlitt leichte Verletzungen. Beide Kinder stünden unter Schock. Demnach wurde der Anschlag "gekonnt organisiert, ohne Rücksicht auf die in dem Haus Lebenden".
Fünfte Nacht in Folge Ausschreitungen
Nach Angaben derselben Quelle steckten die Täter nicht nur ihr Fahrzeug in Brand, sondern auch das Auto von Jeanbruns Familie, bevor sie vor Polizei und Feuerwehr flüchteten. Diese hätten "sehr schnell eingegriffen".
In Frankreich gibt es seit inzwischen fünf Nächten Ausschreitungen, nachdem ein Polizist den 17-jährigen Nahel M. erschossen hat. Während in einigen Städten die Lage in der Nacht zu Sonntag weniger angespannt schien als in den Nächten zuvor, kam es vor allem in Paris, Marseille und Lyon erneut zu Krawallen.
Mindestens 719 Menschen seien landesweit festgenommen worden, teilte das französische Innenministerium in einer vorläufigen Bilanz mit. 577 Fahrzeuge und 74 Gebäude seien in Brand gesetzt worden. 871 Feuer auf Straßen wurden den Angaben zufolge gezählt.
Champs-Élysées geräumt
Ein großes Polizeiaufgebot räumte die weltberühmte Pariser Einkaufsmeile Champs-Élysées unter Einsatz von Tränengas, wie "Le Figaro" berichtete. In Lyon und Nizza kam es erneut zu Plünderungen. Angesichts der Unruhen sagte Präsident Emmanuel Macron seinen Staatsbesuch in Deutschland ab.
Innenminister Gérald Darmanin twitterte, trotz alledem sei die Nacht "dank des entschlossenen Vorgehens der Ordnungskräfte" eine ruhigere gewesen. Premierministerin Élisabeth Borne lobte die Einsatzkräfte: Angesichts der Gewalttätigkeiten hätten sie beispielhaften Mut gezeigt, schrieb sie auf Twitter. 45.000 Polizisten und Tausende Feuerwehrleute seien im Einsatz gewesen, um die Ordnung zu schützen.
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In Marseille sei die Lage angespannt, aber unter Kontrolle, teilte die Stadtverwaltung mit. Den ganzen Abend über hätten sich Gruppen gebildet, um Schaden anzurichten, hieß es vonseiten der Präfektur Bouches-du-Rhône. Die Polizei habe versucht, die Menschen mit Tränengas auseinanderzutreiben.
Besonders in Marseille, Lyon und Grenoble wurde die Polizeipräsenz massiv verstärkt. Nachdem in Marseille zuvor eine Waffenkammer geplündert worden war, war die Polizei dort nun mit gepanzerten Fahrzeugen, Hubschraubern und Spezialtruppen im Einsatz.
Beisetzung am Samstag
Auslöser für die Unruhen war der Tod eines Jugendlichen durch einen Polizisten. Der 17-Jährige war am Dienstag in Nanterre am Steuer eines Autos von einer Motorradstreife gestoppt worden. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel ein tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten. Die Beamten hatten zunächst angegeben, der Jugendliche habe sie überfahren wollen.
Erst als sich von Medien verifizierte Videobilder des Vorfalls in den sozialen Netzwerken verbreiteten, rückten sie von dieser Darstellung und der angeblichen Tötungsabsicht des Jugendlichen ab. Der Polizist, der für den Tod des Minderjährigen verantwortlich gemacht wird, kam in Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet.
Der getötete Jugendliche wurde am Samstagnachmittag in seinem Heimatort Nanterre nahe Paris beigesetzt. Beobachter hatten zuvor befürchtet, dass die Beerdigung erneut Öl ins Feuer gießen könnte. Doch in Nanterre blieb es "Le Parisien" zufolge bis Mitternacht ruhig.
Macron zur Absage von Staatsbesuch gezwungen
Wegen der Unruhen sagte Präsident Macron seinen Staatsbesuch in Deutschland am Samstag ab. Es wäre der erste Staatsbesuch eines französischen Präsidenten in Deutschland seit 23 Jahren gewesen. Doch die innenpolitische Lage zwingt Macron, in Frankreich zu bleiben.
Auch mehrere Konzerte, Modesnchauen und andere Kulturveranstaltungen wurden in Frankreich abgesagt. Busse und Straßenbahnen fahren derzeit nur tagsüber, der Verkauf und das Mitführen von Feuerwerkskörpern und brennbaren Stoffen wurde verboten. Den nationalen Notstand rief die Regierung allerdings bislang nicht aus, auch Ausgangssperren wurden nur vereinzelt in kleineren Orten verhängt.
Das Auswärtige Amt hatte am Samstag seine Reise- und Sicherheitshinweise angesichts der Ausschreitungen aktualisiert. Reisende wurden aufgefordert, sich über die jeweilige Lage zu informieren und weiträumig Orte gewalttätiger Ausschreitungen zu meiden. Zudem sollten je nach Reiseziel deutliche Einschränkungen bei der Programmgestaltung einkalkuliert werden, vor allem in den Abend- und Nachtstunden.
Das Auswärtige Amt wies darauf hin, dass es in einigen Stadtvierteln und Vororten von Paris sowie auch in anderen größeren Städten Frankreichs zu heftigen gewalttätigen Ausschreitungen gekommen sei. Einige Städte hätten nächtliche Ausgangssperren zwischen 21 beziehungsweise 23 und 6 Uhr verhängt. Diese gelte oft nur für Minderjährige unter 16 Jahren.
Unruhen weiteten sich auf Schweiz aus
Die Unruhen wegen der Polizeigewalt erreichten am Samstag auch die Schweiz. Die Polizei nahm am Abend in der Stadt Lausanne nahe der Grenze zu Frankreich sieben Menschen fest, wie die Nachrichtenagentur Keystone-SDA berichtete. Nach Angaben der Polizei hatten sich mehr als 100 Jugendliche als Reaktion auf die Krawalle in Frankreich versammelt. Es kam zu Sachbeschädigungen an Geschäften.
Die sieben Festgenommenen seien auf eine Polizeistation gebracht worden, hieß es in einer Mitteilung der Polizei weiter. Es handle sich um sechs Minderjährige im Alter von 15 bis 17 Jahren und einen 24-Jährigen.
- Nachrichtenagenturen dpa und AFP
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