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Sanna Marin: Finnlands Regierungschefin ist weltberühmt – und ihren Job los


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Finnlands Regierungschefin
"Es gibt einen Macho-Reflex, wenn es um Marin geht"


Aktualisiert am 03.04.2023Lesedauer: 4 Min.
"Die Demokratie hat gesprochen": Hier äußert sich Sanna Marin zur Niederlage bei der Wahl. (Quelle: Glomex)
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Sanna Marin ist als Premierministerin Finnlands abgewählt – trotz ihres Status als weltweit bekannter Politstar. Das hat Gründe.

Ob dieser Schritt wohlüberlegt war? Als Sanna Marin Mitte März den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew besuchte, stellte sie dem Land eine neue Waffenlieferung in Aussicht. Finnland könne einige seiner Hornet-Kampfjets an die Ukraine abgeben, sobald diese durch moderne F35-Flieger aus den USA ersetzt würden, so die finnische Premierministerin in Kiew.

Obwohl die finnische Bevölkerung Marins Pro-Ukraine-Kurs stützte, kam die Nachricht über die Kampfjet-Lieferung in der Heimat überhaupt nicht gut an. Dass Marin eine so weitreichende Entscheidung so kurz vor der Parlamentswahl verkündete, stieß vielen sauer auf. Zumal sie offenbar weder den finnischen Präsidenten, ihre Regierung noch das Militär über ihre Pläne informiert hatte.

Am Sonntag folgte der Härtetest. 5,5 Millionen Finnen waren aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen – und kurz vor Mitternacht musste Marin dann ihre Wahlniederlage einräumen. Dabei legten ihre Sozialdemokraten von 17,7 Prozent bei der vergangenen Wahl auf 19,9 Prozent zu. Doch sowohl die Konservativen als auch die Rechtspopulisten zogen an ihr vorbei.

Trotz des diplomatischen Fehltritts hätte man im Ausland meinen können, dass Marin der Wahl am Sonntag gelassen entgegenblickt: In Finnland kürte eine Umfrage Marin bereits zur beliebtesten Ministerpräsidentin dieses Jahrhunderts. Auch international hat wohl kaum ein finnischer Ministerpräsident jemals so viel Aufmerksamkeit genossen wie die Sozialdemokratin, die bei ihrem Amtsantritt mit 34 Jahren die jüngste Regierungschefin der Welt war.

Im Ausland schaffte sie, das Kind einer Regenbogenfamilie aus einfachen Verhältnissen, es auf den Titel der Magazine "Time" und "Vogue". Auf Instagram folgen ihr rund eine Million Menschen – etwa viermal so viele wie Bundeskanzler Olaf Scholz. Vor allem bei der jüngeren Generation gilt sie als "cool", ein Image, zu dem auch ihre zahlreichen öffentlich inszenierten Festivalbesuche beitrugen. Wie also kam es dazu, dass die international geachtete Marin, die fast den Status eines Politstars genießt, bei ihren Wählern nur an dritter Stelle kommt?

Strenge Corona-Politik und historischer Wandel

"Richtige politische Fehler hat Sanna Marin kaum gemacht", sagt Manuel Müller vom Finnish Institute of International Affairs in Helsinki im Gespräch mit t-online. Dabei gab es dafür durchaus Gelegenheiten: Die junge Regierungschefin hatte 2019 kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie die Geschäfte übernommen. Marin setzte einen harten Kurs gegen das Virus durch, das Land überstand die Pandemie ohne größere Probleme.

Mit Ausbruch des Ukraine-Kriegs entschied sie sich dann für eine historische Wende und forcierte den Nato-Beitritt ihrer Heimat. Monatelang hatten Ungarn und die Türkei den finnischen Antrag blockiert. Nun ist auch die türkische Blockade beendet: Am Freitag, zwei Tage vor der Wahl in Finnland, gab das türkische Parlament seine Zustimmung für Helsinki.

"Wir in Deutschland reden gerne von der 'Zeitenwende'. Was Marin mit dem Nato-Beitritt Finnlands geleistet hat, ist eine tatsächliche Zeitenwende", sagt Nordeuropaexperte Sven Jochem von der Universität Konstanz t-online. Da der Beitritt allerdings vom Großteil der finnischen Gesellschaft und nahezu allen Parteien getragen wird, spielte er im Wahlkampf kaum eine Rolle.

Streitthema Verschuldung

Stattdessen waren Wirtschafts- und Finanzfragen die bestimmenden Themen des Wahlkampfes: Die Pandemie und die Ukraine-Hilfen haben auch in Finnland einen Schuldenberg verursacht. "Es gibt in Finnland ein starkes Bewusstsein dafür, dass die öffentliche Verschuldung als Problem wahrgenommen wird", sagt Politikwissenschaftler Sven Jochem.

Im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt liegt die finnische Staatsverschuldung derzeit bei etwas mehr als 70 Prozent. Verglichen mit den europäischen Sorgenkindern Griechenland (178 Prozent) oder Italien (147) mag das nicht viel sein. Doch in den nordischen Nachbarländern Norwegen (41), Schweden (34) und Dänemark (31) liegt sie deutlich niedriger.

Marin sperrte sich dagegen, die Ausgaben zu senken und wollte stattdessen Steuerschlupflöcher schließen. Ihr konservativer Konkurrent Petteri Orpo stellte dagegen Steuersenkungen und einen Sparkurs beim Staat in Aussicht. Zudem wird Orpos Partei mehr Kompetenz in Finanzfragen zugetraut, während Marins Sozialdemokraten traditionell für hohe Sozialausgaben bekannt sind.

Video | Neues Video von Sanna Marin veröffentlicht
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Quelle: t-online

"Keine klare Brandmauer"

Marin ist auch nicht die einzige Kandidatin, die vor allem bei jungen Wählern punktet: Die rechtspopulistische PS mit Spitzenkandidatin Riika Purra versuchte etwa intensiv, über das Netzwerk TikTok eine junge Zielgruppe anzusprechen. Ein Umschwung nach rechts ist nun durchaus wahrscheinlich, sollten die Konservativen mit dem Rechtspopulisten eine Allianz schmieden. Während Marin der PS vorwirft, "offen rassistisch" zu sein, hat ihr Konkurrent Orpo eine Koalition nicht ausgeschlossen. "Es gibt in Finnland keine klare Brandmauer gegen rechts", so der Europaexperte Manuel Müller.

Viele störten sich allerdings auch an der Person Marin und der Tatsache, dass sie nicht wie eine gewöhnliche Regierungschefin auftrat: Ein Partyvideo, in dem sie ausgelassen mit Freunden tanzte, führte im vergangenen Sommer dazu, dass ihr öffentlich Drogenkonsum unterstellt und die Eignung für das Amt abgesprochen wurde. Ein negativer Drogentest entlastete die Regierungschefin. Weltweit hatten sich viele Frauen mit ihr solidarisiert. Trotzdem wurde Marin vor allem rechts der Mitte scharf attackiert.

"Politik hat in Finnland eher langweilig zu sein, damit hat Marin gebrochen", so Müller. Und der Politikwissenschaftler Sven Jochem erklärt, dass in der Gesamtbewertung der Regierungschefin immer noch doppelte Standards gelten: "In den Medien und bei politischen Gegnern gibt es durchaus einen Macho-Reflex, wenn es um Marin geht."

Video | Video zeigt Regierungschefin mit anderem Mann
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Quelle: t-online

Das zeigte sich auch bei weiteren Gelegenheiten: Bei ihrer Hochzeit vor drei Jahren musste sich Marin gegen Gerüchte verteidigen, die Feier sei mit Steuergeldern finanziert worden. Bei einem Treffen mit der damaligen neuseeländischen Regierungschefin Jacinda Ardern wurden die Politikerinnen gefragt, ob das Treffen damit zu tun habe, dass sie beide Frauen im ähnlichen Alter seien.

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Auch bei einem Wahlsieg hätte Marin wohl Schwierigkeiten gehabt, eine neue Regierung zu formen. Denn ihre Koalition wackelte. Sie wäre wohl wieder auf ihre vier bisherigen Koalitionspartner angewiesen gewesen, um eine Regierung zu bilden. Doch vor allem die Zentrumspartei scheint nicht mehr zu wollen.

Nun aber ist Orpo von der Konservativen Partei am Zug. Dem 53-Jährigen kommt als Vorsitzendem der stärksten Partei die Aufgabe zu, als Erster die Möglichkeiten zur Bildung einer neuen Regierung auszuloten. Hat er damit Erfolg, dürfte Orpo neuer finnischer Ministerpräsident und damit Marins Nachfolger werden. Beobachter rechnen nun mit langen und zähen Koalitionsverhandlungen.

Marins Niederlage muss allerdings nicht ihr politisches Ende bedeuten: Finnische Medien berichteten, dass bei Sozialdemokraten bereits Gerüchte kursieren, ob man mit Marin als Spitzenkandidatin in die EU-Wahl 2024 geht.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Manuel Müller
  • Interview mit Sven Jochem
  • Mit Material der Nachrichtenagentur Reuters und dpa
  • bpd.de: "Parlamentswahl in Finnland 2023"
  • politico.eu: "Finns don’t love Sanna Marin as much as you do" (englisch)
  • euractiv.de: "Finnische Premier sorgt mit Kampfjet-Ankündigung für Aufsehen"
  • euractiv.de: "EU-Wahl: Finnische Premier Marin offenbar als Spitzenkandidatin im Gespräch"
  • hs.fi: "Sdp:n Marin: Leikkaukset johtivat hukattuun vuosikymmeneen, eikä niitä saa toistaa" (finnisch)
  • ceicdata.com: "Finnland Staatsverschuldung:% des BIP"
  • spiegel.de: "Manchmal will sie einfach Mensch sein" (kostenpflichtig)
  • yle.fi: "Uutissuomalainen: Marin most popular Finnish PM this century" (englisch)
  • euronews.com: "Finland's Sanna Marin 'very sorry' for night out after close contact with COVID-19" (englisch)
  • bbc.com: "Sanna Marin fights for survival"
  • thenomadtoday.com: "Sanna Marin, outraged on Twitter: 'I paid for my own wedding'" (englisch)
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