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Wahl in Italien – Giorgia Meloni: Auf den Spuren von Viktor Orbán


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Italien vor Rechtsruck?
Das birgt Sprengstoff


Aktualisiert am 25.09.2022Lesedauer: 5 Min.
Matteo Salvini, Silvio Berlusconi und Giorgia Meloni: „Schwieriger vom Demokratiebewusstsein könnte keine Konstellation sein.“Vergrößern des Bildes
Matteo Salvini, Silvio Berlusconi und Giorgia Meloni: „Schwieriger vom Demokratiebewusstsein könnte keine Konstellation sein.“ (Quelle: Italy Photo Press)

Giorgia Meloni könnte die erste Ministerpräsidentin Italiens werden. Ihre politischen Wurzeln liegen im Postfaschismus. Was bedeutet das für das Land?

Mit strengem Blick schaut sie in die Kamera. Dann stellt sie sich vor: Giorgia Meloni, 45 Jahre alt, Chefin der italienischen Partei Fratelli d'Italia ("Brüder Italiens"). Eigentlich müsste sie das nicht mehr, schließlich hat sich die Politikerin zu einer der prägenden Figuren in der italienischen Politik entwickelt. Doch das Video, das sie am 10. August auf Twitter veröffentlicht, richtet sich nicht an ihre Landsleute, sondern an das Ausland. Statt Italienisch spricht Meloni Französisch, wechselt dann ins Englische und endet auf Spanisch. Deutsch habe sie sich nicht getraut, schreibt sie mit einem lachenden Smiley. In ihrer selbst verfassten Biografie heißt es dagegen, sie hege eine "gewisse Abneigung" gegen das Land.

Sie habe zuletzt in der internationalen Presse gelesen, sie sei eine Gefahr für die Stabilität in Italien und Europa, dass eine Regierung unter ihrer Führung ein Desaster werde. "Nichts von alldem ist wahr", versichert sie. Das sei ein Zerrbild der Linken. Deren Parteien hätten in der Vergangenheit immer wieder Wahlen verloren, durften aber trotzdem mitregieren. Jetzt bräuchte Italien eine entschlossene und geeinte Regierung.

Trotz der bekannten Feindbilder ist es ein ungewöhnlicher Auftritt für jemanden wie Meloni. Warum erklärt eine nationalistisch eingestellte Politikerin dem Ausland ihre Ansichten? Doch wer sich länger mit ihr befasst, stößt immer wieder auf Widersprüche und Dinge, die irgendwie nicht zusammenpassen.

Vater Kommunist, Tochter Postfaschistin

Lange hatten Silvio Berlusconi und danach Matteo Salvini die italienische Politik rechts der Mitte geprägt. Meloni ist ihnen innerhalb weniger Jahre enteilt. Zehn Jahre erst existiert die Fratelli d'Italia. In zwei Parlamentswahlen waren sie nicht über die Fünf-Prozent-Marke gekommen. Am Sonntag könnten sie stärkste Kraft werden – und Meloni würde nicht nur die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte ihres Landes werden. 100 Jahre nach Benito Mussolinis Marsch auf Rom wäre eine postfaschistische Partei an der Macht – mit Schützenhilfe von Berlusconis Forza Italia und Salvinis Lega. Wie hat sie das geschafft?

"Vom Demokratiebewusstsein her könnte keine Konstellation schwieriger sein", glaubt Politikwissenschaftler und Italien-Kenner Roman Maruhn. Meloni betont zwar, dass "Nostalgiker des Faschismus" keinen Platz in ihrer Partei haben. Maruhn gibt auf diese Äußerungen aber nicht viel. Denn besonders weitreichend sei die Distanzierung der Politikerin von rechtsextremem Gedankengut nicht.

Bereits in ihrer Jugendzeit machte Meloni politische Erfahrungen am äußeren rechten Rand: Der Vater, nach Melonis Angaben Kommunist, verließ die Familie früh und zog auf die Kanaren. Die junge Giorgia dagegen trat Anfang der Neunziger mit 15 der Jugendorganisation der neofaschistischen Partei MSI bei, 1946 gegründet mit ehemaligen Weggefährten von Mussolini. Später war sie in rechten studentischen Vereinigungen aktiv, während sie unter anderem als Journalistin, Kellnerin oder Kindermädchen gearbeitet haben soll.

"Entspanntes Verhältnis zum Faschismus"

2006 zog sie erstmals in das italienische Parlament ein. Ihre Partei war mittlerweile die Alleanza Nazionale, in der die MSI aufgegangen war. Noch zu diesem Zeitpunkt sagte sie in einem Interview, sie habe ein "entspanntes Verhältnis zum Faschismus". Er sei nun mal ein Teil der italienischen Geschichte.

Zwei Jahre später nimmt ihre politische Karriere dann richtig Fahrt auf: Unter Silvio Berlusconi wird Meloni mit 31 Jahren Ministerin für Jugend, nachdem ihre Partei mit der von Berlusconi fusioniert hatte. Drei Jahre später zerbrach das Bündnis – und Meloni gründete die neue rechte Partei Fratelli d'Italia (FI) – in Anlehnung an die erste Zeile der italienischen Nationalhymne.

Die ersten Jahre der jungen Partei verlaufen wenig erfolgreich: Mit gerade einmal 1,96 Prozent zieht die Partei bei der Parlamentswahl 2013 ins Abgeordnetenhaus ein, 2018 liegen die FI bei 4,4 Prozent. Es sind die prägenden Jahre der linkspopulistischen Fünf Sterne und der rechtsextremen Lega.

Immer Opposition

Doch 2022 scheint der Vormarsch der beiden Parteien gestoppt, vermutlich weil sie mittlerweile zum Establishment zu gehören: Zwei Regierungen haben die Fünf Sterne mittlerweile unter Giuseppe Conte geprägt, zum Teil mischte die Lega mit Salvini als Innenminister mit. Vor allem die Konstellation der letzten Regierung unter Mario Draghi kommt Meloni nun zugute: Der ehemalige EZB-Chef hatte eine Einheitsregierung mit Beteiligung der Fünf Sterne, Lega, Forza Italia sowie der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und weiteren linken Splitterparteien gebildet.

Melonis Partei blieb dagegen in der Opposition – und damit aus Sicht vieler Wähler wohl unverbraucht. Stärkster Verfolger von ihr könnte am Sonntag die PD des ehemaligen Regierungschefs Enrico Letta werden. Doch die linken Parteien sind nach dem Ende der Draghi-Regierung zerstritten: Die Einheitsregierung war zerbrochen, nachdem die Fünf Sterne im Juni ein Gesetz des Regierungschefs nicht mittragen wollten. Seitdem ist es dahin mit der Einigkeit links der Mitte – und das komplizierte italienische Wahlsystem sorgt dafür, dass ein Zusammenschluss wie im rechten Lager rechnerisch mehr Erfolg verspricht.

Diskussionen um Hitler-Äußerungen

Somit könnte Melonis Stunde gekommen sein: Denn ihre Vergangenheit scheint viele Italiener nicht zu stören. "Es hat bis heute in Italien keine große Debatte über den Faschismus gegeben", bilanziert Italien-Kenner Maruhn. In den vergangenen Wochen war die Politikerin stark darauf bedacht, als wählbare Konservative aufzutreten. Doch kurz vor Ende des Wahlkampfs geriet ihre Partei in Bedrängnis: In der Presse kursierten Äußerungen eines Parteikollegen, der Adolf Hitler vor acht Jahren als "großen Staatsmann" bezeichnet hatte. Meloni suspendierte ihren Kollegen.

Für glaubhaft hält Maruhn die Wandlung von Meloni nicht: "Wenn es hart auf hart kommt, distanzieren sich Meloni und ihre Partei nicht vom Faschismus." Es lässt sich eine Linie ziehen von den extrem rechten Bewegungen des Landes seit 1946 bis hin zu Meloni. Das Logo der Fratelli d'Italia ziert etwa eine grün-weiß-rote Flamme – ein Erinnerungssymbol an Mussolini. Der italienische Journalist und Extremismusexperte Paolo Berizzi hält sie daher für deutlich gefährlicher als etwa die Matteo Salvini. Verglichen mit Meloni sei der nur ein Opportunist. "Salvini war die Kopie, Meloni ist das Original", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".

Streitpunkt Ukraine und Putin

In jedem Fall könnte Meloni das Bild des Staates bei einem Wahlsieg gehörig umkrempeln: Das nationale Recht soll nach ihrem Willen über den Vorgaben der Europäischen Union stehen. Darüber hinaus wirbt sie für ein Präsidialsystem, in dem das italienische Staatsoberhaupt direkt gewählt werden soll. Zu ihrem Lieblingsfeinden zählen auch die EU und Deutschland, obwohl sich die 45-Jährige mittlerweile zur EU und dem Euro bekennt. Experten sehen Parallelen zu der Politik des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán, zu dem Meloni gute Kontakte hat.

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Doch in dem rechten Lager herrscht nicht überall Einigkeit: Bisher steht Meloni klar an der Seite der Ukraine, während Salvini und Berlusconi in der Vergangenheit große Putinfreunde waren. Erst kürzlich löste der ehemalige Ministerpräsident Empörung aus, als er davon sprach, dass der russische Präsident von seinem Stab in den Krieg "hineingedrängt" wurde. Salvini warb bereits dafür, die Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Meloni will davon bisher nichts wissen. Das könne sich allerdings ändern, sagte der Politikwissenschaftler Günther Pallaver t-online. Mehr dazu lesen Sie hier.

"Keine Einigkeit"

"Dieses Bündnis vermittelt keine Einigkeit", glaubt Roman Maruhn. Es sei aus seiner Sicht trotz der Bekenntnisse unklar, ob die Parteien überhaupt eine Regierung bilden können. Wenige Tage vor der Abstimmung glauben mehrere Meinungsforscher inzwischen nicht mehr, dass es für einen überdeutlichen Sieg reichen wird. Ein Wahlsieg Melonis bleibe zwar noch immer das wahrscheinlichste Ergebnis. Doch die Lage ist schwer einzuschätzen: Umfragen dürfen kurz vor dem Wahlsonntag in Italien nicht mehr veröffentlicht werden, zudem gelten viele Wähler noch als unentschlossen oder wollen überhaupt nicht abstimmen.

Ein Grund zum Aufatmen sei das für Roman Maruhn nicht: Der schlimmste Fall wäre aus seiner Sicht, wenn das rechte Lager eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments einfährt. Dann wären Verfassungsänderungen möglich, ohne das italienische Volk zu befragen.

Verwendete Quellen
  • Interview mit Roman Maruhn
  • Material der Nachrichtenagenturen dpa, AFP und Reuters
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