EU-Krisengipfel zum Brexit Die letzten Meter der Zitterpartie?
Am Donnerstag werden sich Bundeskanzlerin Merkel und die übrigen EU-Chefs mit der britischen Bitte befassen, den Brexit zu verschieben. Aber der Geduldsfaden ist schon ziemlich dünn.
Ausgerechnet David Davis hat recht behalten. Immer wieder hat der streitbare Ex-Brexit-Minister von der Seitenlinie geunkt, eine Einigung über den britischen EU-Austritt werde erst in letzter Minute unter Dach und Fach sein - wenn überhaupt. Und genau so ist es gekommen. Nur gut eine Woche vor dem Brexit-Termin am 29. März suchen London und Brüssel immer noch einen Weg, das Jahrhundertprojekt einigermaßen geordnet und vernünftig abzuwickeln.
Pünktlich wird es wohl nicht mehr klappen, so viel war vor dem EU-Gipfel am Donnerstag bereits klar. Die letzte Entscheidung ist dort ebenfalls noch nicht zu erwarten. Die Zitterpartie, die Tausende Unternehmen und Millionen Bürger in Unsicherheit stürzt, dürfte sich bis kurz vor Toresschluss hinziehen. Der Ausgang: offen.
Die britische Premierministerin Theresa May hat bei der Europäischen Union einen Antrag auf Verschiebung des Austritts bis 30. Juni gestellt. Zähneknirschend musste die Regierungschefin in einem Brief an Ratschef Donald Tusk am Mittwoch einräumen, dass das britische Parlament den über 18 Monate ausgefeilten Brexit-Vertrag immer noch nicht gebilligt habe. Und das trotz der Nachverhandlungen mit der EU Anfang vergangener Woche.
Es sei ihre feste Absicht, den Abgeordneten das Abkommen abermals zur Zustimmung vorzulegen, schrieb May. Und sollte das Parlament diesmal Ja sagen, dann werde der Vertrag sicher auch ratifiziert. "Nur wird dies offenkundig nicht mehr vor dem 29. März 2019 abgeschlossen sein", erläuterte May nüchtern. Deshalb ersuche sie um eine Verlängerung der zweijährigen Austrittsfrist nach Artikel 50 der EU-Verträge. Gezeichnet ist der Brief an den "lieben Donald" mit "yours ever" - auf ewig dein, Theresa May.
Die Europawahl steht an
Am Donnerstag werden sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs versuchen, das Beste aus Mays Bitte zu machen. Dabei dürfte sich eine Debatte über den neuen Wunschtermin entspinnen. Denn aus Sicht der EU-Kommission sind die gewünschten drei Monate Aufschub nur möglich, wenn Großbritannien an der Europawahl Ende Mai teilnähme. Da May das nicht will, müsste die Frist eigentlich vor dem ersten Wahltag 23. Mai enden.
Aber wichtiger noch ist die Grundsatzfrage: Machen alle 27 bleibenden Staaten den Aufschub mit? Tusk gab bereits am Mittwoch ein Signal. Aus seiner Sicht sei "kurze Verschiebung" möglich, sagte der Ratschef, der für die Orchestrierung des Gipfels verantwortlich ist. Nur der Nachsatz hatte es in sich: "Voraussetzung ist allerdings ein positives Votum im Unterhaus über das Austrittsabkommen."
Den Haken an die gewünschte Brexit-Verschiebung will die EU demnach erst machen, wenn die Bedingung erfüllt ist. Das könne man nach erfolgreichem Votum nächste Woche im Umlaufverfahren machen, fügte Tusk geschäftsmäßig hinzu. Nur ist nach wie vor völlig unklar, wie die Mehrheit im britischen Parlament doch noch zustande kommen soll.
Die Fronten im Parlament scheinen seit Wochen betoniert
Die harten Brexit-Befürworter in Mays eigener Konservativer Partei lehnen den Deal ab, weil sie eine zu enge Bindung an die EU fürchten. Die Labour-Opposition ist dagegen, weil ihr die Bindung nicht eng genug ist. Und die nordirische DUP, auf deren Stimmen May angewiesen ist, blockiert aus Furcht vor einem Sonderstatus für Nordirland. Nun sollen Zeitdruck und Angst vor Chaos die Mehrheitsverhältnisse doch noch in Bewegung bringen - so hoffen May und die EU seltsam einmütig.
Und wenn das nicht klappt? Bundeskanzlerin Merkel betont immer wieder, dass sie einen ungeordneten Brexit unbedingt vermeiden will, würde er doch nicht nur britische, sondern auch deutsche Unternehmen in Turbulenzen stürzen. Nach Angaben von Diplomaten herrscht im Kreis der EU weitgehend Konsens. Ist kein Ausweg in Sicht, müsste man wohl nächste Woche auf einem Sondergipfel neu abwägen.
Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian stellte allerdings am Mittwoch die etwas nebulöse Drohung mit einem Veto in den Raum. Wenn May nicht "ausreichende Garantien" für die Glaubwürdigkeit ihrer Strategie vorlege, würde Frankreich womöglich einen Brexit ohne Abkommen vorziehen. Die Warnung ist klar: Die Geduld ist langsam ausgereizt.
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Kurioserweise sieht May das ganz genauso. In einer Rede am Mittwochabend an die Briten sagte sie: "Sie wollen, dass diese Phase des Brexit-Prozesses endlich vorbei und erledigt ist. Ich stimme zu. Ich bin auf Ihrer Seite."
- Nachrichtenagentur dpa