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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Neuvorstellungen & Fahrberichte Götterdämmerung: Pagani Huayra
Ein Besuch in der Automobil-Manufaktur von Pagani ist ein außergewöhnliches Erlebnis, vor allem wenn für eine exklusive Testfahrt zur Verfügung steht – unser Autor Christian Sauer hatte das Vergnügen.
Wir müssen schon zweimal hinschauen um den Weg zu einem der exklusivsten Automobilhersteller der Welt zu finden. Versteckt im Gewerbegebiet eines kleinen Vororts von Modena, auf halben Weg zwischen der "Konkurrenz" von Ferrari und befindet sich der Firmensitz von Pagani Automobili. Bis auf die gläserne Fassade geradezu unscheinbar präsentiert sich das zweistöckige Gebäude, in dem der Argentinier Horacio Pagani mit seinem kleinen Team automobile Kunstwerke schafft. Der 57-jährige Designer und Konstrukteur kam bereits in den 1980er Jahren nach Italien und arbeitete unter anderem bei Lamborghini. 1992 gründete er sein eigenes, nach ihm benanntes Unternehmen, wo er dank eines eigenen Autoklav-Ofens selbst Carbonteile "backen" konnte. Damit war er ein Pionier dieser heute nicht mehr wegdenkbaren Technologie, die ihm auch Aufträge von Ferrari und Lamborghini einbrachte. Daneben nahm sich Horacio Pagani viel Zeit, um seinen Traum eines neuen Supersportwagens zu realisieren. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollte es dauern, bis der Pagani "Zonda C12" erstmals das Licht der Öffentlichkeit erblickte. >>
Es war ein Einstand nach Maß: Das Premierenwerk von Pagani hätte nicht spektakulärer sein können. Die Formensprache erinnerte an das aerodynamische Design der früheren Gruppe-C-Rennwagen und die filigranen Details des überwiegend aus Kohlefaser bestehenden Straßensportwagens waren einzigartig. Die Qualität der Materialien und deren Verarbeitung ließen keine Zweifel an dem Perfektionismus von Horacio Pagani.
Beim Antrieb setzte er von Beginn an auf eine Kraftquelle aus Deutschland – exklusiv liefert Mercedes-AMG seitdem V12 Power "Made in Germany". Die Leistung stieg von anfangs noch unter 400 PS auf über 700 PS beim "Zonda R". Wenn auch die Höchstgeschwindigkeit mit circa 350 km/h hinter der des Bugatti "Veyron" zurückblieb, überholte er ihn zeitweise beim Anschaffungspreis. Unter einer Million Euro verließ am Ende der Produktion kein "Zonda" mehr die Manufaktur. Wie sollte das noch gesteigert werden? >>
Die Antwort heißt "Huayra". Der ungewöhnliche Name steht in der Sprache südamerikanischer Indianer für den Gott des Windes, während der Zonda "nur" nach einem Wind benannt war. Die Idee für dessen Nachfolger entstand bereits im Jahr 2003 und wurde als Projekt C9 parallel zur Weiterentwicklung des "Zonda" vorangetrieben. Das Design ist nicht nur atemberaubend, sondern beschert dem Huayra dank ausgeklügelten Details auch eine außerordentlich gute Aerodynamik. Der komplett verkleidete Unterboden mit Diffusor am Heck sorgt für Unterdruck und somit dafür, dass die nur 1,16 Meter flache Flunder bei höheren Geschwindigkeiten regelrecht auf dem Asphalt zu kleben scheint. Auf einen großen Spoiler, der von oben Anpressdruck generiert, verzichtet Pagani und setzt stattdessen insgesamt vier sogenannte Flaps an der Front sowie am Heck ein. Die Klappen werden automatisch gesteuert und stellen sich bei Bedarf blitzschnell einzeln in den Wind, um den Luftfluss zu optimieren. Ähnlich wie die Airbrakes von Bugatti und McLaren unterstützen die Pagani-Flaps auch beim Verzögern. Die Hauptarbeit dabei übernimmt allerdings eine Carbon-Keramik-Bremsanlage von Brembo.
Wer einen Blick unter die riesige Heckhaube wagt, findet dort nicht nur die zwei Gepäckabteile links und rechts in den Seitenschwellern vor der Hinterachse mit handgefertigten Lederkoffern, sondern auch das Herz des Pagani. Es ist ein V12 Biturbo mit sechs Litern Hubraum und einer maximalen Leistung von 730 PS bei 5800 Umdrehungen. In Verbindung mit dem geringen Leergewicht von lediglich 1350 Kilogramm garantiert der Zwölfzylinder spektakuläre Fahrleistungen. Bis Tempo 100 vergehen nur 3,3 Sekunden, bis 200 sind unter 10 Sekunden angesagt und circa 360 km/h Spitze wären theoretisch möglich.
Garniert wird es vom äußerst hochwertigen Qualitätseindruck der erlesenen Materialien und deren penibler Verarbeitung. Das spüren wir bereits, als die weit aufschwingenden Flügeltüren den Blick ins Cockpit freigeben. Die Basis für die automobile Traumwelt mit kreativem Styling bildet das ebenso leichte wie hochstabile Rückgrat des Huayra, ein Kohlefaser-Monocoque. Zusammen mit dem sichtbaren Carbon, Titan und Aluminium aus dem Flugzeugbau entsteht ein exklusives Ambiente. Ähnlich wie beim Bugatti Veyron sind alle Komponenten spezielle Sonderanfertigungen und so in keinem anderen Fahrzeug wieder zu finden. >>
Die Mischung aus Retro und Postmoderne mag vielleicht nicht jedem zusagen, aber passt unserer Meinung nach ausgezeichnet zum Exterieur des Huayra. Unumstritten ist die herausragende Haptik – es ist ein Fest für die Sinne.
Trotz der omnipräsenten Leichtbau-Philosophie von Horacio Pagani ist der Huayra dennoch kein Asket. An Bord gibt es neben einer Klimaanlage auch ein Highend-Soundsystem samt Navi. Die wichtigsten Funktionen kann der Fahrer wie bei Ferrari vom Lenkrad aus bedienen. Pagani verzichtet allerdings auf einen Start-Knopf und inszeniert stattdessen den Zündschlüssel aus Alu in Form der Huayra-Karosserie als zentrales Kunstelement in der Mittelkonsole. Ebenfalls eine Reminiszenz an die automobile Tradition ist die "offene Schaltkulisse", auf die viele Supersportwagen mit automatisiertem Getriebe und Schaltpaddel heutzutage verzichten. Die hat der Huayra zwar auch hinterm Lenkrad, aber dennoch gibt es für das sequentielle 7-Gang-Getriebe einen Schalthebel an gewohnter Stelle und die transparente Technik lässt sich kaum attraktiver präsentieren.
Überraschend zurückhaltend gibt sich nach dem Start des Zwölfzylinders der Sound aus der Titan-Auspuffanlage. Das Ensemble mit vier im Quadrat angeordneten Endrohren ist inzwischen ein Markenzeichen von Pagani geworden und garantiert von hinten einen hohen Wiedererkennungswert. Der Automatikmodus legt die Gänge weich und zügig ein, die Sportsitze sind bequem und bieten zugleich einen guten Seitenhalt. Länger und breiter als der Zonda sind ebenso der Radstand beziehungsweise die Spur, was dem Fahrverhalten des Huayra zu Gute kommt. Das adaptive Fahrwerk lässt sich per Liftfunktion anheben und auch die mechanischen Komponenten können sich sehen lassen. Ausgeglichen und harmonisch ist der Huayra abgestimmt, was das Fahren sehr angenehm macht. Wer einen brettharten und zickigen Racer sucht, ist bei Pagani falsch.
Passend dazu entfaltet das Triebwerk seine Leistung linear und ohne böse Überraschung durch plötzlich einsetzende Turbolader. Das enorme Drehmoment von 1000 Nm Drehmoment ab 2250 Touren bietet nahezu permanent Kraft im Überfluss. Spontan reagiert der Motor selbst auf kleinste Gasbefehle. Das perfekt abgestimmte Gesamtpaket weckt geradezu das Begehren, noch schneller zu fahren. Schaltung, Fahrwerk, Lenkung, Bremsen und dazu diese beeindruckende Klangkulisse, die durch die fauchenden Turbolader geprägt ist. Was will man(n) mehr?! Vielleicht doch eine noch schärfere Version oder einen offenen Huayra Roadster? Bei Pagani scheint nichts unmöglich. So oder so müssen Kaufinteressenten mit einem Investment von mindestens einer Million Euro und langen Wartezeiten rechnen. Die Detailverliebtheit und der hohe Anteil sorgfältiger Handarbeit haben eben ihren Preis.