Götterdämmerung: Pagani Huayra
Versteckt im Gewerbegebiet von San Cesario sul Panaro, einem kleinen Vorort von Modena, auf halben Weg zwischen der "Konkurrenz" von Ferrari in Maranello und Lamborghini in Sant’Agata Bolognese, befindet sich der Firmensitz von Pagani Automobili.
Wieder nahm man sich dort viel Zeit, um den Huayra als zweites Fahrzeug in der noch jungen Unternehmens-Geschichte zu perfektionieren. Das hat sich gelohnt, denn der Pagani ist in vielen Aspekten überragend.
Das Triebwerk entfaltet seine Leistung linear und ohne böse Überraschung durch plötzlich einsetzende Turbolader. Das enorme Drehmoment von 1000 Nm Drehmoment ab 2250 Touren bietet nahezu permanent Kraft im Überfluss.
Die Verbindung von lediglich 1350 Kilogramm Leergewicht und einer enormen Leistung von 730 PS / 1000 Nm Drehmoment garantiert spektakuläre Fahrleistungen. Bis Tempo 100 vergehen nur 3,3 Sekunden, bis 200 unter 10 Sekunden und circa 360 km/h Spitze wären theoretisch möglich.
Wind war nicht nur der Namensgeber, sondern auch das Element, das den neuen Pagani prägte. Moderne Flugzeugturbinen und -flügel inspirierten Horacio Pagani ebenso wie Leonardo da Vincis altes Credo, dass Kunst und Wissenschaft eine Einheit bilden sollten.
"Sound-Design" à la Pagani: Titan-Auspuffanlage mit vier Endrohren und spezielles Klangbild mit Turbofauchen. Das Design ist nicht nur atemberaubend, sondern beschert dem Huayra dank ausgeklügelten Details auch eine außerordentlich gute Aerodynamik. Der komplett verkleidete Unterboden mit Diffusor am Heck sorgt für Unterdruck.
Dadurch scheint die nur 1,16 Meter flache Flunder bei höheren Geschwindigkeiten regelrecht auf dem Asphalt zu kleben. Auf einen großen Spoiler, der von oben Anpressdruck generiert, verzichtet Pagani bewusst.
Die Flaps – vier Klappen an Front und Heck – werden einzeln auf Basis verschiedener Daten wie Querbeschleunigung und Gaspedalstellung automatisch gesteuert. Ab Tempo 80 stellen sie sich bei Bedarf blitzschnell einzeln in den Wind, um den Luftfluss zu optimieren.
Während unseren Testfahrten gab sich der Pagani mit seinem Heckantrieb und Pirelli-Walzen selbst in den engen Gassen von Modena harmonisch und gut berechenbar. Allein die Sicht nach hinten ist mäßig – aber wer will mit ihm rückwärts fahren oder gar parken?
Der von uns gefahrene Huayra mit dunkelroter Lackierung ist der einzige Presse-Testwagen weltweit. Kein Wunder, seit Beginn der Produktion im Frühjahr 2012 wurden insgesamt erst weniger als 20 Exemplare gebaut.
Nein, das ist nicht die Emilia Romana bei Modena, sondern Kalifornien. Der Huayra ist viel rumgekommen und erfüllt nun auch die strengen Zulassungsvorschriften in den USA. Dafür mussten zahlreiche Crashtests absolviert werden – das Monocoque blieb jeweils ganz.
Das "Land der unendlichen Möglichkeiten" ist schnell einer der wichtigsten Märkte für Pagani geworden. Sehr viele der Exoten werden auch nach Asien verkauft, obwohl dort hohe Steuern den Preis teilweise mehr als verdreifachen.
In Hongkong sind über 20 Supersportwagen von Pagani registriert und in Dubai besitzt ein Pagani-Fan inzwischen gar sieben Fahrzeuge des exklusiven Herstellers – was kostet denn schon die Welt – wir würden uns schon mit einem begnügen.
Garniert wird das Fahrerlebnis der besonderen Art vom äußerst hochwertigen Qualitätseindruck der erlesenen Materialien und deren penibler Verarbeitung. Obwohl ein Hang zur Verspieltheit nicht zu bestreiten ist, gelingt die Bedienung nach einer ersten Orientierung problemlos.
Carbon wohin man schaut: Das hochstabile Rückgrat des Huayra-Monocoque besteht, wie die superleichte Karosserie, aus dem Wunderstoff. Auf Wunsch gibt es statt unzähligen Lackfarben auch transparenten Klarlack.
Das Interieur mit einer Mischung aus Retro und Postmoderne mag vielleicht nicht jedem zusagen, aber passt unserer Meinung nach ausgezeichnet zum Exterieur des Huayra. Auch für das Cockpit gibt es nahezu unbegrenzte Möglichkeiten zur Individualisierung.
Unumstritten ist die herausragende Haptik: Das sehenswerte Ensemble mit aus dem Vollen gefrästen Kippschaltern, hat dieses typisch mechanische Klicken. Jede Naht des feinen Leders sitzt perfekt und möchte berührt werden – es ist ein Fest für alle Sinne.
Wer einen Blick unter die riesige, sich gegenläufig öffnende Heckhaube wagt, findet dort nicht nur die zwei Gepäckabteile links und rechts in den Seitenschwellern vor der Hinterachse mit handgefertigten Lederkoffern, sondern auch das Herz des Pagani.
Der Zwölfzylinder-Biturbo-Motor wird exklusiv für den Pagani Huayra bei Mercedes-AMG in Affalterbach bei Stuttgart hergestellt. Wer als Besitzer mal in die Werkstatt muss, kann jede Mercedes-Werkstatt aufsuchen, die sich auch um andere AMG-Motoren kümmert.
So spektakulär der Supersportwagen ist, so unspektakulär sieht sein Geburtsort auf den ersten Blick aus. Doch bei Pagani verbinden sich Hightech und Handarbeit par exellence.
Qualität ist bei Pagani Chefsache und hat höchste Priorität. Jedes Einzelteil des Huayra wird akribisch genau dokumentiert. In dicken Aktenordnern finden sich die Seriennummern und Fotos sämtlicher Bauteile jedes bislang gebauten Paganis.
Der 57-jährige Designer und Konstrukteur Horacio Pagani kam bereits in den 1980er Jahren mit einem Empfehlungsschreiben von seinem argentinischen Landsmann, Rennfahrerlegende Juan Manuel Fangio, nach Italien und arbeite unter anderem bei Lamborghini.
Doch er konnte die damals finanziell angeschlagene Marke mit dem Stier als Wappentier nicht davon überzeugen, mehr Geld in die Entwicklung von Kohlefaserwerkstoffen zu investieren. So entschied er sich, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und gründete 1992 sein eigenes, nach ihm benanntes Unternehmen.
Der Vorgänger des Huayra war der Zonda. Wie beim neusten Meisterstück von Horacio Pagani glich kein Exemplar dem anderen, jedes Fahrzeug war und ist ein individuelles Unikat, was die anspruchsvolle Kundschaft aus aller Welt zu schätzen weiß.
Seine Leistungsfähigkeit stellte der Zonda als R-Version auf der Nürburgring-Nordschleife mit einer Spitzenzeit von 06:47 Minuten eindrucksvoll unter Beweis. Mit dem Huayra will sich Pagani demnächst den prestigeträchtigen Weltrekord zurückerobern.
Nicht nur optisch ein Eyecatcher, sondern dank des geringen Gewichts und des deutschen Herzes auch fahrdynamisch ein Highlight – der Huayra bietet nur Superlative. Das zweite Meisterstück von Horacio Pagani ist eins der bemerkenswertesten Automobile unserer Zeit.